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Überall was zu entdecken - hingucken und nachfragen: Moderatorin und Journalistin Eva-Maria Lemke

© Doris Spiekermann-Klaas

Eva-Maria Lemke trainiert Zivilcourage: Mit Haltung immer mitten rein

"Abendschau"-Moderatorin Eva-Maria Lemke legt sich auch gern mal mit Leuten an – bei Twitter und in ihrem Kiez rund um die Potsdamer Straße. Ein Spaziergang.

Von Carsten Werner

Ein Ausflug in die Berliner Stadtnatur an einem kühlen, leicht angeregneten Morgen, der will gut vorbereitet sein. Die Lemke hat vorsorglich Kaffee gemacht und mitgebracht, dazu Kuhmilch im Gläschen. Die kleine grüne Oase des Café Eule im Gleisdreieckpark zwischen Schöneberg, Tiergarten, Kreuzberg und Mitte hat „Abendschau“- und „Kontraste“-Moderatorin Eva-Maria Lemke als Treffpunkt gewählt, weil hier „alles ist wie im eigenen Schrebergarten, aber ohne Stress mit Rindenmulch und so“; auch vor der Kleingartenordnung hat sie einigen Respekt. Im Park hier läuft sie gerne – „also im Sinne von gehen, also: spazieren gehen“. Jetzt serviert sie erst mal dampfenden Kaffee.

Die Spatzen vermissen die Gäste, ein Specht wagt sich zwischen leere Tische - "Echt, ein Specht?!" Die kleine interkulturelle Gastronomie im Selfmade-Stil, hochprofessionell und bei Sonne bestens besucht, hat eine ZDF-Kollegin aufgezogen, die was anderes machen wollte als Büro und Schlagerwelt. „Eine schöne Perspektive für später mal“ nennt Fernsehfrau Lemke das nachdenklich augenzwinkernd – „man weiß ja nie in unserem Geschäft“.

@dielemke“ nennt sie sich selbstbewusst bei Twitter, da hat sie 25.000 Follower, noch mal 20.000 bei Facebook – auch diese digitale Welt ist ihre Hood –, da kumpelt, likt und diskutiert sie gelegentlich leidenschaftlich mit Fans und Kritikern, mahnt und motzt aber auch, wenn ihr platter Hass und simple Parolen zu weit gehen.

Ihre digitale Zivilcourage hat sie bis Anfang 2018 bei den ZDF-Nachtnachrichten „heuteplus“ trainiert: „Ich habe mir damit die Nächte um die Ohren gehauen, wollte rausfinden: Diskutieren wir selbst in einer Blase, muss man vielleicht echt Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen haben?“ Den einen oder anderen Troll hat sie dann auch mal angerufen und festgestellt: „Nee, da ist auch in Duisburg-Marxloh kein Bürgerkrieg, da brennen keine Mülltonnen – sondern da hat jemand Wahnvorstellungen. Und wenn fünf Leute dem auf Twitter beipflichten, dann können das seine eigenen Accounts sein, die sich gegenseitig liken.“

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Lemke weiß, dass solche Aktivitäten von Journalisten umstritten sind – aber „es ist ja idiotisch, anzunehmen, dass Journalisten immer vollkommen unvoreingenommen sind“, sagt sie offen. „Das ist niemand. Wir haben alle unsere Erfahrungen und nehmen die auch mit zur Arbeit. Die muss man nicht verbergen, aber auch bewusst mit ganz anderen Lebenswirklichkeiten umgehen.“

Ein Twitter-Fight pro Woche

Um bei Twitter auch mal gegenzuhalten, dafür hat sie klare Maßstäbe: „Auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse kann man sich eine Position erlauben und eine andere als Quatsch titulieren. Man muss nicht jeden Wirrkopf als ,die andere Seite‘ adeln. Und ich finde halt, man kann als gemeinsame Grundlage für alles ganz gut unser Grundgesetz nehmen. Und dann gibt es Äußerungen, die sind indiskutabel. Da vermisse ich, auch bei einigen Kollegen, manchmal eine gewisse Vehemenz.“ Die hat ihr selbst viele Fans und Freunde im Netz beschert – Feinde auch. Lemke hat gemerkt, dass das auch stresst: „So einen Fight gestatte ich mir nur noch einmal pro Woche.“

Anlässe bietet dazu vor allem ihre Arbeit für das ARD-Politmagazin „Kontraste“. Im Netz ist der Austausch mit den Leuten direkter: „Lineares Fernsehen ist sau-unbequem, das gibt sich natürlich heute keiner mehr, das tut sich niemand mehr an“, macht sie sich keine Illusionen: „Dieser Zug ist so was von abgefahren. Aber man kann die Leute woanders erreichen“, Kontakte statt Quote sozusagen, „bloß zusätzliche 100.000 Follower, das ist eine völlig neue Währung, die immer noch kaum registriert wird“.

"Haltung hilft da auch, Orientierung zu geben"

Lemke möchte Seh- und Lesegewohnheiten aus den sozialen Netzwerken ins Fernsehen mitnehmen: „Die alte Tante Fernsehen kann sich viel von dem abgucken: sich gerade machen und transparent sein. Zum Beispiel auch mal zeigen: Warum haben wir darüber ein langes Stück – und das andere nur als Kurznachricht? Wie arbeiten wir und wer steckt dahinter? Was für eine Haltung hat der Reporter selbst zur Sache entwickelt?“ Das ist für sie „kein Nanny-Journalismus, sondern unsere primäre Aufgabe: einordnen, gewichten, aufbereiten“. Wer das nicht möge, könne ja Agenturticker durchlesen. „Wir sind heute so überversorgt mit Informationen, die sich manchmal auch noch widersprechen. Haltung hilft da auch, Orientierung zu geben. Dann hat man schon mal eine Position zur Sache und kann sich daran abarbeiten.“

Eva-Maria Lemke beim Tagesspiegel-Kiezspaziergang durch Schöneberg im Café Eule im Gleisdreieckpark
Eva-Maria Lemke beim Tagesspiegel-Kiezspaziergang durch Schöneberg im Café Eule im Gleisdreieckpark

© Doris Spiekermann-Klaas

Festgequatscht im Schrebergarten. Schnellen Schrittes zurück Richtung Stadt, plaudert Lemke von der absurden Untauglichkeit billiger Insektenhotels, der Wichtigkeit entkoppelter Grünphasen bei der Ampelschaltung, und untersucht neugierig die hochkomplexe Sicherungskonstruktion mit Referenzmesspunkten für die U1-Brücke übers Gleisdreieck: Kameras, Messtechnik und Hydraulik sind hier teils durch recht prosaisch handbearbeitete Eimer und Plastikflaschen abgesichert. Überall was zu entdecken – man muss nur hingucken, nachfragen, weiterreden … im Herbst wird Reporterin Lemke auch Talkmasterin, zusammen mit rbb-Kollegin Jessy Wellmer in der ARD: „Kein Sitzmöbel-Plauderhalbkreis, sondern ein herzhafter Tresentalk.“

Sie ist froh, nach ein paar Jahren anstrengender Pendelei als junge Mutter mit Kleinkind zwischen Hauptstadt und Mainz wieder richtig zu Hause zu sein, hier am vielleicht brüchigsten Rand von Tiergarten-Süd und Nord-Schöneberg zwischen City West und Neubauboom, mit Straßenstrich und alter Potse. „Ich liebe meine Straße!“, ruft Lemke glücklich beim Einbiegen in die Potsdamer. Das ist ihr Kiez: „Schon seit neun Jahren, damals wollte hier noch nicht unbedingt jeder wohnen.“ Die Gegend war ein letztes Stückchen Niemandsland aus Brachen und ein paar Überbleibseln des alten Westens. Die Gentrifizierung hat hier hinter dem Potsdamer Platz etwas länger Anlauf genommen als in anderen Teilen der Stadt.

Vielfalt in den Resten vom Westen

Lemke genießt die Vielfalt: Aus dem westlichen Dead-End zu Mauerzeiten ist ein quirliger, multikultureller Park geworden. An der Potsdamer Straße haben sich Galerien, Designer und internationale Gastronomie zwischen die alteingesessenen Läden gedrängelt. „Ich dachte immer, solange ,Ave Maria‘, der Heiligenstatuen-Bedarfsladen, noch da ist, ist alles gut hier“, sinniert Lemke. Jetzt ist er umgezogen – aber nur einmal um die Ecke. Noch stimmt die Mischung. „Und das Kumpelnest ist noch da, es wird hoffentlich immer bleiben!“ Die Fleischerei Staroske ist auch noch da, das Wintergarten-Varieté hat sich berappelt, im ehemaligen Tagesspiegel-Shop stellt jetzt Fiona Bennett ihre Hüte aus.

In der Quartierskantine „Maiden Mother & Crone“ gibt es täglich für drei Stunden frischen Mittagstisch – urban und pur, heute ist leider geschlossen. Die schwäbische Maultaschenmanufaktur hat sich an die Yorckstraße verzogen. Dafür gibt’s jetzt einen Thailänder – und immer noch die Joseph-Roth-Diele, vor Jahren „der erste Laden hier, der W-Lan hatte“, weiß Lemke aus ihren Schöneberger Anfangsjahren. Zweimal Nudeln und Saftschorle zum Mittag bitte.

In Neukölln aufgewachsen, „als das echt noch Street war“

In der DDR geboren und mit ihren Eltern in den Westen ausgereist, ist Lemke in Neukölln aufgewachsen, „als das echt noch Street war“. In der Schule war sie eine von zweien, die zu Hause Deutsch sprachen – kein Drama damals, sondern erlebte Vielfalt: „Wir hatten eine Grundschullehrerin, die null toleriert hat, wenn man jemanden wegen seiner Herkunft angeblafft hat. Das hab ich total verinnerlicht und vielleicht deswegen auch nicht so eine Angst vor dieser angeblichen ,Überfremdung‘, ich habe das nie als einschränkend erlebt: Ich fand’s cool, dass bei meiner besten Freundin immer die ganze Familie zum Essen zusammen war – das war bei uns halt nicht so.“ Dafür hat sie ihr Kinderbücher mitgebracht, die das Mädchen nicht kannte.

Das „Separieren“ ist ihr fremd, auch jetzt fürs eigene Kind: „Immer mittenrein, und in die Kiezschule: Weil wir hier wohnen!“ Das Kind in die Waldorfschule jottwede zu schicken, „das wäre ja blöd, wenn es dann Angst kriegt, wenn am Kiosk jemand rumpampt“. Das ist ihr sehr ernst - und sehr selbstverständlich.

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Apropos: Lemkes Zivilcourage, greift die auch auf der Straße? „Ja, klar.“ Wenn Zuhälter oder Freier am Straßenstrich der Kurfürstenstraße brutal auf Frauen losgehen oder Spielplätze belagern, geht sie schon mal dazwischen. „Und wenn jemand im Firmenwagen, mit Namen und Adresse beklebt, Prostituierte sucht, gehe ich auch mal an die Scheibe und frage, ob ich kurz ein Foto machen darf.“ Lemke überlegt: „Kommt das jetzt ein bisschen so rüber, als wäre ich da als Straßensheriff unterwegs? Nee: Prostitution ist hier erlaubt, aber völlig ungeniert auf Frauensuche neben dem Spielplatz ein offensichtlich zugedröhntes Mädchen einzuladen, das sollte einem wenigstens hochnotpeinlich sein!“ Auch das sind für sie Realitätschecks außerhalb der beruflichen und sozialen Blase. Irgendwann demnächst will sie dem Kind die Frage beantworten, „warum die Frauen an der Straßenecke tanzen“.

Eva-Maria Lemke unterwegs im Gleisdreieckpark
Eva-Maria Lemke unterwegs im Gleisdreieckpark

© Doris Spiekermann-Klaas

Verkündung liegt der Frau von der „Abendschau“ nicht so – Vermittlung ist ihr Ding. Bei Versuchen als Nachrichtensprecherin, „da war immer eine Augenbraue zu hoch“, die Schnute zu schief gezogen, die Stimme kommentierte mit.

Wie die Maaßenstraße sich vom „Massenparkplatz“ zur belebten Straße entwickelt hat, gefällt ihr: „Da kann man jetzt draußen sitzen! Das war vor fünf Jahren so, als würde man gemütlich an der Bundesstraße sitzen“, freut sie sich über die umstrittene Begegnungszone zwischen Nollendorf- und Winterfeldtplatz. „Frühstück vorm Café Berio ist schon ziemlich unschlagbar“, vis-à-vis „dem Laden mit dem wohl coolsten Namen für Herrenoberbekleidung: Boyz ’R’ Us“ und der unprätentiösen, jedem Styling abholden Buchhandlung ohne Namen, über der vergilbt „Feinkost“ steht. - Aufs Handy hat sie kein einziges Mal geguckt.

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