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Grünen-Vorsitzende Annalena-Baerbock und Grünen-Spitzenkandidat Sven Giegold.

© AFP/ Tobias Schwarz

Europa-Wahl in Berlin: Die Hauptstadt wird grün

Mit knapp 28 Prozent haben sich die Berliner Grünen als stärkste Partei durchgesetzt. Die SPD stürzt auf 14 Prozent ab. Eine Analyse.

Von
  • Ulrich Zawatka-Gerlach
  • Sabine Beikler

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Das Goethe-Zitat gibt die Stimmungslage bei Grünen und Sozialdemokraten, die in Berlin gemeinsam regieren, am besten wieder. Bei der Europawahl kamen die Grünen auf 27,8 Prozent der Stimmen. Das sind 8,9 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Die Landes-SPD stürzte dagegen auf 14 Prozent ab und verlor im Vergleich zur vorigen Europawahl 10 Prozentpunkte.

Aber auch die Christdemokraten und die Linken müssen Verluste hinnehmen. Die CDU kam in Berlin auf 15,2 Prozent (minus 4,8 Prozentpunkte), die Linken nur auf 11,9 Prozent (minus 4,3 Prozentpunkte). Die AfD konnte im Land Berlin um 2,2 Prozentpunkte auf 9,9 Prozent zulegen, die FDP um 1,9 Prozentpunkte auf 4,7 Prozent. Stark zugenommen haben die sogenannten „anderen Parteien“, die insgesamt 16,3 Prozent der Wähler für sich gewannen. Allen voran Die „Partei“, die mit 4,8 Prozent mehr Stimmen bekam als die Freien Demokraten mit 4,7 Prozent. Achtungserfolge erzielten die Tierschutzpartei (2 Prozent), die VOLT Partei und „Demokratie in Europa“, die vom ehemaligen griechischen Finanzminister Ioannis Varoufakis angeführt wird (beide 1,2 Prozent). Die Piraten mussten sich mit 0,8 Prozent der Wählerstimmen in Berlin begnügen.

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Auf der Wahlparty sprangen die Berliner Grünen vor Freude über die ersten guten Hochrechnungen hin und her, die später in einem vorläufigen Endergebnis von 27,8 Prozent mündeten. Der Berliner Grünen-Parteichef Werner Graf nannte das Ergebnis auf Bundes- und Landesebene phänomenal. Seine Partei habe jetzt eine große Verantwortung, den Klimaschutz voranzubringen. Und der Auftrag für die Partei heiße auch, „mit voller Kraft gegen die Rechten im EU-Parlament“ zu arbeiten.

Die Berliner Wirtschaftssenatorin und Bürgermeisterin Ramona Pop (Grüne) sagte, das Ergebnis sei überwältigend. Eine Verdoppelung des Ergebnisses bundesweit im Vergleich zur Europawahl 2014 zeige, welchen Rückenwind es für den Klimaschutz und für Zukunftsthemen gebe. In Berlin gebe es eine deutliche Mehrheit für Rot-Rot-Grün. „Darauf sollten wir aufbauen, verantwortlich regieren und Klimaschutz, Mobilitätswende wie Ausbau des Fahrradverkehrs gemeinsam wie im Koalitionsvertrag festgelegt umsetzen“, sagte Pop.

Wenn die Grünen in Berlin und ganz Deutschland derartig punkten, dann zeigt das auch die Verzweiflung der Menschen, die sich eine radikal andere Zukunft wünschen und nicht den Schongang der etablierten Parteien. Jetzt sind die Grünen große Hoffnungsträger.

schreibt NutzerIn marliesa

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Sehr deutlich markiert das Ergebnis, dass es bei dieser thematischen Wahl um Klimaschutz ging. Vor allem die in Berlin starken Demonstrationen „Fridays for future“, bei denen vor der Europawahl allein in Berlin rund 15000 junge Leute auf die Straße gingen, verdeutlichten, dass sich junge Menschen auf der ganzen Welt für eine radikale Kursänderung in der Klimapolitik einsetzen. Deutschlandweit gingen laut den Veranstaltern rund 320 000 Menschen auf die Straße. Bisheriger Rekord. Ein weiterer Aspekt bei der Europawahl war die Forderung der Grünen nach einer offenen Gesellschaft gegen den Rechtsruck und steigenden Rechtspopulismus in Europa. Das hat die Wähler offenbar angesprochen.

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Bei diesem Ergebnis können die Berliner Grünen sicher sein, dass mindestens vier Berliner Kandidaten, nämlich Reinhard Bütikofer, Hannah Neumann, Erik Marquardt und Sergey Lagodinsky ins EU-Parlament ziehen werden.

Schock bei der SPD

Die Berliner Sozialdemokraten reagierten auf das Bundes- und Landesergebnis bei der EU-Wahl geschockt. „Das Ergebnis kann man nicht schönreden, es ist ein Alarmsignal“, sagte der SPD-Landeschef Michael Müller. Positiv bewertete er, dass den Europagegnern „ein Stoppschild gesetzt“ worden sei. Der SPD-Rechtspolitiker und Vize-Kreischef in Marzahn-Hellersdorf, Sven Kohlmeier, setzte deutlich kräftigere Akzente. „Es muss endlich auch von der Berliner SPD das Signal ausgehen, dass und wie wir uns für die Berliner Wahl 2021, möglicherweise sogar eher, personell und inhaltlich aufstellen.“ Das gelte auch für die Mitglieder im Senat, forderte Kohlmeier. „Jetzt muss alles auf den Prüfstand, offen und schonungslos.“ Auch die Vize-Landesvorsitzende der SPD, Ina Czyborra, sprach von einem „dramatischen Befund“. Die Sozialdemokraten hätten vor allem beim Thema Klimaschutz die bürgerliche Mitte und viele Jugendliche verloren. Gleichzeitig warnte sie vor „gegenseitigen Schuldzuweisungen und einfachen Antworten“. Es sei „verheerend“, dass sich gerade junge Menschen „wegen wachsender Ungleichheit und wegen Tatenlosigkeit angesichts der Klimakatastrophe von den Parteien der großen Koalition abwenden“, urteilte der SPD-Landesvize Julian Zado.

SPD-Anhänger am Sonntag im Willy-Brandt-Haus.
SPD-Anhänger am Sonntag im Willy-Brandt-Haus.

© imago images / Stefan Zeitz

Die Juso-Landesvorsitzende Annika Klose ist davon überzeugt, dass „wir mit der Erneuerung der SPD noch einen langen Weg vor uns haben“. Das SPD-Vorstandsmitglied Kevin Hönicke stellte die große Koalition im Bund in Frage: „Die Übernahme der Regierungsverantwortung wurde nicht honoriert – im Gegenteil“. Während Klose aber davor warnte, jetzt die Parteichefin Andrea Nahles unter Beschuss zu nehmen, sagte der SPD-Kreischef in Reinickendorf, Jörg Stroedter: „Mit dieser Bundesspitze um Andrea Nahles gewinnen wir auch in Zukunft keine Wahl“. Am Montag wird sich der SPD-Landesvorstand mit dem Wahlergebnis befassen. Dies werde „keine erfreuliche Veranstaltung“, sagte ein führender Genosse.

Schlechte Laune bei den Linken

Die Berliner Linken versprühten am Sonntagabend auch nicht die beste Laune. Sie wollen sich am Dienstag auf dem Landesvorstand mit dem Ergebnis befassen. Die Partei verlor in Berlin gut vier Prozentpunkte im Vergleich zur Europawahl 2014. Im Wahlkampf setzte die Partei in Berlin vor allem auf eine bessere Mieten- und Wohnungspolitik. Das schien die Wähler jedoch nicht zu motivieren. „Mögliche Handlungsoptionen auf europäischer Ebene haben die Wähler so nicht gesehen“, sagte Schubert, die das Wahlergebnis „nicht für ein Menetekel für die Abgeordnetenhauswahl“ in zwei Jahren betrachtet. Die Berliner EU-Kandidatin Martina Michels wird wieder ins EU-Parlament ziehen.

Alexander Gauland, Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion, und Beatrix von Storch, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, bei der AfD-Wahlparty.
Alexander Gauland, Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion, und Beatrix von Storch, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, bei der AfD-Wahlparty.

© dpa

Lange Gesichter auch bei der Berliner CDU nach erheblichem Stimmenverlust. Der Landesvorsitzende Kai Wegner nannte das Ergebnis in Berlin und Bund enttäuschend. Man müsse jetzt die richtigen Schlüsse ziehen. „Gerade beim Thema Klimaschutz haben wir die Menschen nicht erreicht. Darüber hinaus müssen wir über unsere Kommunikationsformen diskutieren“, sagte Wegner. Er kündigte an, dass sich die Berliner Union in den nächsten Monaten mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit befassen werde. Ob die Berliner Spitzenkandidatin Hildegard Bentele ein Europamandat erhält, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Zufriedene AfD

Ihr Wahlziel, nämlich eine Verdreifachung der Stimmen, habe die FDP auf Bundesebene nicht erreicht, sagte der Berliner FDP-Generalsekretär Sebastian Czaja. In Berlin legte die Partei von 2,8 auf 4,7 Prozent etwas zu. Zufrieden sind die Liberalen damit nicht. Offensichtlich konnten die Wähler mit dem Slogan „Chance Europa“ nicht viel anfangen. Czaja sagte, man werde das Ergebnis genau analysieren.

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Dafür ist die AfD mit ihrem Zuwachs in Berlin von 7,9 auf 9,9 Prozent recht zufrieden. AfD-Landes- und Fraktionschef Georg Pazderski kommentierte die Zahlen als großen Erfolg „trotz nie dagewesener Hetze im vorpolitischen Raum und linken Terrors auf der Straße“. Nun sei die AfD „in allen wichtigen Parlamenten“ stark vertreten und werde dort „als einzige echte deutsche Oppositionspartei arbeiten und wirken“. Die AfD sei in der Parteienlandschaft nicht mehr wegzudenken, so sehr es sich die Altparteien auch wünschten.

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