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Zukunftsfragen. Bislang dürfen Jugendliche in Berlin nicht ab 16 Jahren das Abgeordnetenhaus wählen. Dabei geht es auch um Generationengerechtigkeit.

©  dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Es scheitert an der Opposition im AGH: In Berlin keine Mehrheit für Wahlen ab 16 Jahren

In anderen Bundesländern geht's, in der Hauptstadt nicht. Jugendliche dürfen wohl auch 2021 erst mit 18 Jahren das Abgeordnetenhaus wählen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Am 19. November 1972 war es soweit. Zum ersten Mal durften in der Bundesrepublik Deutschland 18- bis 20-Jährige an einer Bundestagswahl teilnehmen. Das war auch ein Erfolg der Studenten- und Antikriegsbewegung, die die westdeutsche Republik durcheinandergewirbelt hatte. In den folgenden 47 Jahren hat sich zwar viel verändert und die Jugend begehrt wieder auf, weil sie Angst um die Zukunft des Planeten hat. Doch das „Wahlalter 18“ blieb weitgehend unangetastet. Jedenfalls für die Bundestags- und die meisten Landtagswahlen.

Nur die Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie die Flächenländer Brandenburg und Schleswig-Holstein erlauben es 16- und 17-Jährigen, die Bürgerschaft oder den Landtag zu wählen. Und in elf Bundesländern darf diese Altersgruppe an den Kommunalwahlen teilnehmen. In Berlin wurde das Wahlrecht ab 16 Jahren für die Bezirksverordnetenversammlungen 2005 eingeführt. Damals war es eine gemeinsame Initiative von SPD, PDS (heute Linke), Grünen und FDP.

„Die Senkung des Wahlalters ist ein Angebot, sich früh an demokratischen Verfahren zu beteiligen und eigene Interessen geltend zu machen“, wurde die Wahlrechtsänderung begründet. „Damit wird dem Recht und der Fähigkeit junger Menschen entsprochen, für sich selbst und das Gemeinwesen Verantwortung zu übernehmen.“ Für das Abgeordnetenhaus galt dieses Argument offenbar nicht. Im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün ist die Absenkung des Wahlalters für die Wahl des Landesparlaments kein Thema, obwohl sich alle drei Regierungsparteien dazu bekennen.

Es fehlen 15 Stimmen aus der Opposition

Das Problem ist, dass sich CDU, AfD und FDP nicht dafür gewinnen lassen, die notwendige Verfassungsänderung mitzutragen. Die erfordert eine Zweidrittelmehrheit, dafür fehlen 15 Stimmen aus der Opposition. FDP-Generalsekretär Sebastian Czaja verspricht zwar, dass seine Partei „das Thema nachhaltig weiterverfolgen" wird. Doch mit der Herabsetzung des Wahlalters sei es nicht getan, das lasse sich an der extrem niedrigen Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen bei Kommunalwahlen erkennen. Es müssten erst neue Möglichkeiten gefunden werden, junge Menschen zum Gang an die Urne zu motivieren. Dabei könne die Online-Stimmabgabe helfen, die bei den U-18-Wahlen getestet werde, sagt Czaja.

Die CDU will es vorerst beim Mindestwahlalter von 18 Jahren für die Abgeordnetenhauswahl belassen. „Wir wären gesprächsbereit, wenn mehr junge Menschen bereit und in der Lage sind, an der demokratischen Willensbildung teilzunehmen“, sagt der CDU-Abgeordnete Danny Freymark. Um das zu erreichen, sollte an allen Berliner Schulen jedes Jahr eine „Woche der Demokratie“ stattfinden oder jeder Berliner Schüler einmal das Abgeordnetenhaus besuchen. Laut Umfragen, sagt Freymark, wollten 40 bis 50 Prozent der jungen Leute nicht schon mit 16 Jahren wählen und nur jeder Vierte 16- und 17-Jährige sei politisch interessiert.

Der erste Versuch scheiterte 2011

Für Marc Vallander, rechtspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, ist die Volljährigkeit eine klare Grenze: „Wer noch nicht alle staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen darf, kann auch nicht alle Rechte erhalten.“ Es sieht also ganz danach aus, als wenn sich in dieser Wahlperiode keine Mehrheit mehr für eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre findet.

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Ein erster Versuch, die Berliner Verfassung zu ändern, war im Mai 2011 gescheitert. Der Antrag kam damals von den Grünen, wurde eineinhalb Jahre im Parlament diskutiert und es hätte die Chance gegeben, dass die rot-rote Koalition gemeinsam mit Grünen und einigen Abgeordneten von CDU und FDP eine Zweidrittelmehrheit erreicht. Doch dann stellte sich die SPD-Fraktion mehrheitlich quer, weil wenige Monate vor der Abgeordnetenhauswahl eine so tiefgreifende Reform des Wahlrechts nicht durch eine „Zufallsmehrheit“ im Parlament zustande kommen sollte.

50.000 Jugendliche in Berlin dürften wählen

Ein Jahr später taten sich Linke, Grüne und Piraten zusammen. Aber die CDU, damals Regierungspartner der SPD, machte nicht mit. Wegen der Koalitionsräson sahen sich die SPD nicht in der Lage, einer Verfassungsänderung zuzustimmen. Drei Jahre ließ die rot-schwarze Koalition die Initiative der Opposition am langen Arm verhungern. Bis zum Ende der Wahlperiode im Herbst 2016 wurde der Antrag auf Herabsetzung des Wahlalters im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt.

Seitdem ruht der See still. Das Vorbild Österreich zieht offenbar auch nicht. Dort wurde im Juni 2007 das Wahlrecht ab 16 Jahre für alle Wahlen eingeführt. Unter Rechts- und Politikwissenschaftlern wird das Thema in Deutschland seit vielen Jahren kontrovers diskutiert. Nur das kommunale Wahlrecht ab 16 Jahre ist vom Bundesverwaltungsgericht für unbedenklich erklärt worden. Bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl in Berlin im Herbst 2021 würden etwa 50 000 16- und 17-jährige Deutsche von einer Herabsetzung des Wahlalters profitieren.

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