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Berlin: Es lebe der Luxus!

Konsumkritik? Diesmal nicht. In ihrem Essay erinnert unsere Autorin an die Sinnlichkeit des Shoppings und erklärt den Reiz des KaDeWe, des exklusivsten Erlebnisorts der Stadt.

Diese Aktion wird Wellen schlagen. Die Schaufenster eines Kaufhauses verwandeln sich in eine Kunstgalerie. Zu sehen ist eine Installation, die es so nicht im Haus zu kaufen gibt. Genau das passiert in diesem Frühjahr im KaDeWe. Die in Seoul geborene Künstlerin Jeongmoon Choi zeigt vom 23. April bis zum 20. Mai rund um das Gallery Weekend eine Installation aus Fäden und Schwarzlicht, in der sich immer wieder das Motiv der Welle spiegelt. „Welle“ ist auch ihr Name. Wellen tragen Dinge aufs Meer hinaus, rollen an Land, Modewellen lösen einen kollektiven Kaufrausch aus. Wellen sind auch Symbole für Umformungen.

Im KaDeWe hat der Prozess der Umformung bereits vor längerer Zeit begonnen mit dem großen Umbau, der das Haus schrittweise an die Spitze der globalen Shopping Experience katapultieren soll. Umbauten sind natürlich immer auch ein bisschen ungemütlich. Da ist es ganz egal, ob Handwerker die eigene Wohnung geentert haben, ob ein öffentlicher Raum umgemodelt wird oder eben eine lieb gewordene Institution wie das KaDeWe. Veränderung muss mal sein, damit es anschließend umso schöner wird.

Veränderung ist aber nicht nur äußerlich vonnöten, etwa in Gestalt von frisch gestrichenen Wänden oder neu gefliestem Boden. Im Laufe der Jahre ändern sich Sehweisen, Raumempfinden, aber auch Konsumgewohnheiten. Nichts, was man in einem luxuriösen Kaufhaus erwirbt, braucht man wirklich zum Überleben. Das tägliche Brot gibt es vielleicht nicht so edel traditionell nach alter Väter Sitte gebacken wie in einer legendären Feinschmeckeretage, aber immerhin sauber und industriell gefertigt auch im Supermarkt. Trinkbares Wasser kommt zur Not sowieso aus der Wand. Und Klamotten gibt es selbst bei vielen Discountern. Das Wort Konsumtempel mag abgegriffen klingen, aber es beschreibt doch einen Aspekt des Shoppens, der im Laufe der Zeit immer wichtiger geworden ist. Hier wird etwas zelebriert, das mit einem schnöden Einkauf oder einer objektiv notwendigen Anschaffung oft nur sehr am Rande zu tun hat. Auch wer den Kühlschrank und den Kleiderschrank voll hat, wird sich von tiefsitzenden Anlagen dazu verleiten lassen, dem archaischen Sammler- und Jägertrieb nachzugeben. Einfach nur, weil es guttut. Weil es eine angenehme Art sein kann, Freizeit zu verbringen.

„Na, was geschossen?“ Die etwas flapsige Frage der Kollegin, die einem beim Verlassen des Kaufhauses entgegenkommt, erklingt nicht von ungefähr. Bezeichnet sie doch einen der Urtriebe, die den unwiderstehlichen Weg auf die grünen Auen des Konsums erklären.

Ältere Berliner erinnern sich noch an die „Weißen Wochen“, die einst zu Beginn eines Jahres Schnäppchenjäger in den Lichthof lockten. Moderne Marketingexperten wenden sich mit Grausen, wenn dermaßen altmodische Erinnerungen hochkommen, heute gar, da an exakt diesem Ort teure Taschen internationaler Luxusmarken feilgeboten werden. Dabei ist auch das Schnäppchen in der Regel nichts, was man wirklich braucht, sondern nur eine Trophäe, die Zeugnis gibt von einem besonderen Talent zur Jagd. Wer sich daran freuen kann, betrachtet eine Shopping-Tour mehr als Erlebnis denn als nutzbringenden prosaischen Einkauf.

Genau beim Erlebnis aber liegt die Zukunft des Shoppens. Und da liegt auch die Zukunft analoger Shopping-Oasen. Zu einer solchen gestaltet der niederländische Star-Architekt Rem Koolhaas das Kaufhaus des Westens um. Nerds mögen es bequem und zeitsparend finden, nachts am Computer ihren Bedarf online zu decken. Lustvoll ist das aber nicht. Wo bleibt der Spaß am Probieren, am Tasten, am Präsentieren? Wo kann man guten Rat finden, wie in der großen Umkleidekabine bei der freundlichen Fremden mit dem unbefangenen Blick, wenn man sich zum Einkauf zu Hause vor dem Computer verbarrikadiert?

Dass der Einkauf zum Erlebnis wird, ist eigentlich nicht neu. Das hat gerade beim KaDeWe eine viel längere und tiefere Wurzel als selbst bei vergleichbaren Häusern derselben Gruppe, dem Oberpollinger in München oder dem Alsterhaus in Hamburg. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Haus in der geteilten Stadt zu einem Leuchtturm westlichen Lebensstils, zum Sehnsuchtsort der DDR-Bürger, zum Stolz der West-Berliner, zur Sehenswürdigkeit in einer vom roten Meer umgebenen Inselstadt, ein Schaufenster des Westens. Ins KaDeWe ging man nicht nur, um einen neuen Mantel zu erstehen oder eine Torte für den Sonntagsbesuch. Dorthin strebte man im Kalten Krieg, um sich seiner selbst zu vergewissern. Ist es noch richtig, zu bleiben? Mochte es im Schatten der Mauer auch manchmal düster und unwirtlich und gefährlich wirken, hier glänzte strahlend und beruhigend der Westen in Reinform. Sicher, die älteren Verkäuferinnen waren oft von einem ganz anderen Schlag, als die vielsprachigen ätherischen Wesen, die heute die Kreditkarten der globalen Kundschaft so anmutig entgegennehmen, als handele es sich dabei um eine neue Laufsteg-Disziplin. Sie hatten damals manchmal eine etwas raue, aber durchaus auch herzliche Art der Kommunikation, der Betriebsrat des Hauses genoss stadtweit einen respektgebietenden Ruf. Das Haus war eben das Lieblingsziel vieler West-Berliner, gerade auch, wenn es etwas zu feiern gab. Und sei es auch nur den Beginn des Wochenendes mit frisch gebackenen Brötchen vom Zuckerbäcker Lenotre aus der 6. Etage.

Man muss nur mal mit Auswärtigen ins Gespräch kommen über Berlin. Wie schnell blitzen da einschlägige Erlebnisse auf. Die schwedische Bestseller-Autorin Viveca Sten etwa weiß zu erzählen, dass sie bei einem Kurztrip hierher einen Samstagvormittag gern mit Berliner Freunden und Verwandten in der Feinschmeckeretage beim Sekt verplaudert. Andere zieht es unwiderstehlich zum „Kartoffelacker“ oder ins neue „Berliner Zimmer“, wo es heimische Spezialitäten auf hohem und also vergleichsweise leichtem Niveau gibt. Bis 2022 sollen die Bauarbeiten gehen, und 2000 der 8000 Quadratmeter in der Feinschmeckeretage sind jeweils von den Umbauten betroffen. Das spürt man an der temporären Verkleinerung bestimmter Abteilungen, derzeit etwa beim Obst oder beim Brot. Dafür wird man demnächst auch abends im KaDeWe speisen können in den neuen Restaurants, die entstehen. Insgesamt 180 Millionen Euro sollen investiert werden in das Haus, das mehrheitlich zu 50,1 Prozent der Central Group aus Thailand und zu 49,9 Prozent der österreichischen Signa Gruppe gehört. Damit wird der Rote Teppich ausgerollt für die zukünftige Einkaufskultur. Das archaische Jagen und Sammeln wird zum Teil eines futuristischen Gesamterlebnisses.

Statt auf dem Golfplatz entspannt man sich dann vielleicht auf der neuen Dachterrasse. Eine unkonventionelle Rolltreppenlandschaft soll neue ästhetische Fortbewegungserlebnisse vermitteln. Vorboten auf die schöne neue Einkaufswelt gab es schon früher. Bei der „Shopping Night Out“, die einige Jahre lang jeweils im September von Ladenschluss bis Mitternacht gefeiert wurde, erwies sich das KaDeWe regelmäßig als Vorreiter, wenn es darum ging, die Gäste mit anregenden Getränken, Häppchen, Sondereditionen und speziellen Angeboten zu zerstreuen. Erst kürzlich lockte das Haus unter dem Motto „Super Asia“ zu kulturübergreifenden Shopping-Erfahrungen. Im Lichthof blitzten die Smartphones begeistert auf bei den opulenten Löwentänzen. Es gab Kräuter Shots zu probieren oder exotischen Matcha-Tee oder auch eine neuartige Maniküre. In der Accessoire-Abteilung wurden Yoga-Matten ausgebreitet und unter Anleitung neue Figuren gelernt, eine Kalligrafin schrieb Namen in der japanischen Zeichenschrift „Katakana“, Erinnerungsfotos konnten in einer Sharing Box verewigt werden, und zwischen edlen Koffern war sogar eine Pingpong-Platte aufgestellt. Besonders Männer haben ja lange noch das Thema Einkaufen als Arbeit empfunden. Hier konnten sie live erleben, wie es auch als Zerstreuung funktionieren kann. Schon vor den asiatischen Superwochen konnten Fashionistas in der neu und elegant gestalteten Designer-Abteilung an Tablets mitbestimmen, welcher junge Nachwuchs-Designer einen der begehrten und einkommensträchtigen Plätze im Haus bekommen sollte. Umgekehrt freuen sich betuchte Touristen über Statement-Souvenirs, in denen man bei der nächsten Party in New York oder Beijing punkten kann.

Wer anderswo auf der Welt gelegentlich in großen Kaufhäusern einkauft, wird sie manchmal etwas krempelig finden. Das liegt auch daran, dass im KaDeWe im Laufe der Umbauarbeiten immer mehr Luftigkeit eingekehrt ist, eine Großzügigkeit, die atmen lässt und zur Entspannung beiträgt. Inzwischen staubt es bei den Umbauarbeiten ja nicht mehr wie in den 90er Jahren noch. Die über 100-jährige Grande Dame unter den Shopping-Häusern hält sich cool und clean und lässt sich nicht anmerken, wie hinter provisorischen Wänden gesägt und gehämmert wird.

Dass man sich den Alltag mit schönen Dingen noch lebenswerter macht, gehört in Asien eher zum Lebensstil als im Land der Sparweltmeister. Insofern ist es wohl ein Glücksfall, dass der einstige Leuchtturm der freien westlichen Welt mit einer kräftigen Kapitalspritze aus dem Fernen Osten zum globalen Vorzeigeprojekt wird. Längst bilden die Chinesen unter den ausländischen Kunden die größte und kaufkräftigste Gruppe. Viele gut situierte Neu-Berliner bringen Reise-Erfahrungen aus aller Welt mit. Die alten Formate funktionieren da auf Dauer nicht. Dafür gewinnt das Haus im Zuge der Umformung etwas vom alten Marktplatz zurück, von jenem zentralen Ort der Kommunikation, des Handels, den es immer schon gab. Erneuerung mit Seele könnte man das nennen. Die Wellen des Fortschritts tragen die archetypischen Erfolgsmodelle zukunftsfroh verwandelt zurück.

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