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Wer auf welchem Grundstück was zu sagen hat, erfährt man vom Grundbuchamt.

© Julian Stratenschulte/dpa

Es fehlen mehr als 1,6 Millionen Euro: Berlins Grundbuchämter arbeiten seit einem Jahr umsonst

58 Euro kostet eine Auskunft – normalerweise. Doch in Berlin werden Gebühren für Grundbuchämter nicht abgerechnet. Schuld ist ein Computervirus.

Ohne sie geht auf dem Immobilienmarkt so gut wie nichts. Ob Informationen zu Eigentumsverhältnissen oder laufenden Hypotheken eines Grundstücks: Auskunft geben die acht Grundbuchämter der Stadt. Jedoch: Für die wohl am häufigsten erteilte Dienstleistung der Behörde, das sogenannte elektronische Abrufverfahren, werden seit knapp einem Jahr keine Gebühren mehr abgerechnet.

Das bestätigte eine Sprecherin des für den Gebühreneinzug zuständigen Kammergerichts auf Anfrage. Monatlich gehen dem Landeshaushalt ihren Angaben zufolge im Schnitt 135.000 Euro verloren. Macht mehr als 1,6 Millionen Euro seit Auftreten des Problems – bislang.

Denn: Wann die Gebühren – pro Abruf inklusive der Kosten für die Genehmigung 58 Euro – wieder eingezogen werden können, ist derzeit unklar. Auf Anfrage erklärte die Sprecherin: „Ein konkretes Datum für die Aufnahme der Abrechnung für Automatisierte Grundbuchabrufe kann noch nicht benannt werden, diese steht jedoch unmittelbar bevor.“ Konkreter wurde sie auch auf Nachfrage nicht.

Mit Blick auf die bereits entstandenen und sich fortlaufend erhöhenden Mindereinnahmen erklärte sie: „Die Automatisierten Grundbuchabrufe sind protokolliert und werden sodann in Rechnung gestellt.“ Für das Land Berlin und den coronabedingt extrem angespannten Haushalt sei kein finanzieller Schaden entstanden, „da die noch nicht abgerechneten Forderungen weiterhin bestehen und geltend gemacht werden“.

Ursache ist der "Emotet"-Angriff auf das Kammergericht

Tatsächlich liegt die Verjährungsfrist für den Einzug der Gebühren bei drei Jahren. Der Gebühreneinzug finde „lediglich zeitverzögert statt“, offene Forderungen könnten bis zum Eintreten der Verjährungsfrist „unbegrenzt geltend gemacht werden“, erklärte die Sprecherin weiter.

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Bleibt die Frage nach den Hintergründen der Störung. Klar ist: „Initiale Ursache für den Ausfall des Grundbuchfachverfahrens“ ist der Angriff des Emotet-Virus auf das Computer-Netzwerk am Kammergericht Ende September 2019. Der Sprecherin zufolge fiel das Programm zum Einzug der Gebühren zeitgleich mit der Attacke aus. Weil beim Wiederaufbau des IT-Netzwerks am Kammergericht „zuvörderst die Rechtsprechung in das Zentrum“ allen Handelns gestellt worden war, „mussten andere Arbeitsbereiche zwangsläufig zurückstehen und werden sukzessive abgearbeitet“, erklärt sie weiter.

Coronabedingte Verzögerungen seien aufgrund des Shutdown im Kammergericht und anderen Behörden nicht zu vermeiden gewesen. Als Gründe nennt die Sprecherin „begrenzte personellen Ressourcen und die notwendige Priorisierung von Aufgaben“.

Aus Sorge um die Sicherheit

Dahinter steht aber wohl noch ein ganz anderes Problem: Das bis dato für den Gebühreneinzug genutzte Programm „Solum STAR“ scheint aktuellen Vorgaben des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nicht zu entsprechen. Darauf deutet eine umständlich formulierte Antwort der Kammergerichtssprecherin hin.

Demzufolge hätten sowohl die IT-Abteilung der ordentlichen Gerichtsbarkeit (IToG), die bis zur Virus-Attacke allein für die IT des Kammergerichts verantwortlich war, sowie das im Nachgang der Attacke damit betraute IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ) einen „Vorgehensvorschlag zur Inbetriebnahme von Solum STAR“ entwickelt. Weil „eine BSI-konforme Lösung für die neu aufzusetzende Infrastruktur einschließlich der erforderlichen Sicherheitskonzepte geschaffen werden musste, sei „Sicherheitsgesichtspunkten eine umfassende Betrachtung“ zugebilligt worden, erklärte die Sprecherin.

Verklausuliert formuliert legt sie damit nahe, dass das ITDZ eine Wiederinbetriebnahme von „Solum Star“ bislang verhinderte – wohl aus Sorge um die eigene BSI-Zertifizierung.

Das Verhältnis zwischen IToG und ITDZ gilt seit geraumer Zeit als angespannt, zumal die IT der Justiz zuletzt immer wieder mit Störungen für Schlagzeilen sorgte. Bildschirme froren ein, Systeme stürzten ab, die Anmeldung war nicht möglich. Intern kritisierte unter anderem der Präsident des Landgerichts, die Lage werde von den für die Lösung der Probleme verantwortlichen Stellen geschönt dargestellt. Tatsächlich sind die Ursachen für die Störungen unklar. Mehrere Tagesspiegel-Anfragen zu den Vorfällen ließ das ITDZ unbeantwortet.

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