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Landwirt in Ärger. Christoph Schulz hält die Regeln für überzogen.

© Felix Hackenbruch

Es droht ein Ernteausfall: Die Schweinepest zwingt Brandenburgs Bauern zum Stillstand

Landwirte dürfen die Felder nicht bestellen – und sind wütend auf die Politik. Amtstierärzte sagen, es wird Jahre dauern, das Virus loszuwerden.

Christoph Schulz sitzt am langen Holztisch auf seinem Hof in Atterwasch und trinkt eine Tasse Kaffee. Für den 34-jährigen Landwirt eine ungewöhnliche Situation. Normalerweise würde er den ganzen September rund um die Uhr auf seinem Traktor sitzen.

800 Hektar bewirtschaftet er, die Ernte muss eingefahren, die Äcker gepflügt, Winterkulturen ausgesät, der letzte Grünschnitt gemäht werden. Dazu wollen Hunderte Hennen, 250 Schweine und 300 Rinder versorgt werden. Doch seit rund zwei Wochen hat der Bauer viel Zeit. „Stand Still“ nennen es die Behörden, „Berufsverbot“, sagt Schulz.

18 Tage ist es her, dass etwa acht Kilometer Luftlinie von seinem Hof ein Spaziergänger ein verendetes Wildschwein findet. Der Kadaver ist bereits verwest, das Tier muss seit Wochen tot sein. Wenige Stunden später steht fest, dass es sich um den ersten nachgewiesenen Fall der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Deutschland handelt.

Plötzlich stehen die brandenburgischen Landkreise Spree-Neiße und Oder-Spree im Fokus der Welt. Mit dem Fund stellt China den Import von Schweinefleisch aus Deutschland ein, der Schweinefleischpreis bricht zusammen.

Zwar ist die Krankheit, die sich über Blut verbreitet und infizierte Tiere zu 95 Prozent tötet, für den Menschen ungefährlich. Bei einer Übertragung auf Hausschweine müsste jedoch der ganze Bestand eines Betriebs gekeult werden, denn auch in Fleischprodukten hält sich das Virus über Monate.

100 Hektar Mais drohen auf den Feldern zu verschimmeln

Inzwischen sind rund 30 infizierte Tiere gefunden worden, Krisenstäbe in Potsdam und den Landkreisen eingerichtet. Ein Kerngebiet rund um die Fundorte wurde definiert und mit einem mobilen, elektrischen Zaun abgesperrt, darüber hinaus gibt es ein Risikogebiet.

Um das Kerngebiet wurde der Zaun errichtet – nun wird nach weiteren toten Tieren gesucht.
Um das Kerngebiet wurde der Zaun errichtet – nun wird nach weiteren toten Tieren gesucht.

© Bernd Settnik/dpa

Auf einer Nutzfläche von 33.000 Hektar gilt: Jäger dürfen nicht mehr in die Wälder, Bauern nicht mehr auf ihre Felder, weil sie sonst Schweine aufschrecken könnten, die die Krankheit weitertragen.

Für Christoph Schulz ist das eine Katastrophe. Seit mehr als 300 Jahren ist sein Hof nahe der polnischen Grenze in Familienbesitz. Neben Eltern, Frau und den drei Töchtern leben noch zwölf Mitarbeiter vom Hof.

Statt Doppelschichten müssen sie wohl bald in Kurzarbeit. Dabei stehen noch rund 100 Hektar Mais auf seinen Feldern – und drohen zu verschimmeln. Gegen den Ausfall ist er versichert. Viel schlimmer ist das generelle Bewirtschaftungsverbot.

„Wir sind in einem Produktionszyklus mit der Natur“, sagt Schulz. Dass er jetzt die Winterfrüchte Gerste, Roggen und Weizen nicht in die Erde bringen kann, wird er in rund neun Monaten spüren. Entweder mit einem kompletten Ernteausfall oder mit niedrigen Erträgen.

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Jeden Tag, den er nun die Saat nicht in den Acker bringt, können sich die Pflanzen weniger vor dem ersten Frost entwickeln. Eine Sommersaat, bei der er erst im Frühjahr sät, hat aufgrund der sandigen Böden und der zunehmenden Trockenheit in der Lausitz keine Chance, sich zu entwickeln. „Wir können nicht wie die Gastronomie nach dem Corona-Lockdown einfach die Herdplatte wieder anmachen“, sagt er. Die Natur gebe in der Landwirtschaft die Regeln vor.

Schulz braucht nicht nur das Korn, den Rest der Pflanzen verarbeitet er zu Futterstroh und nutzt sie für seine Biogasanlage. Auf seinem Hof ist er breit aufgestellt – doch ohne den Ackerbau steht alles still. „Hier wird einer der stärksten Betriebszweige, die wir in der Region noch haben, abgewürgt“, sagt Schulz.

Wie Schulz geht es rund 50 Betrieben in dem Gebiet, sie dürfen nicht einmal mehr Gülle auf ihre Felder fahren oder den frisch gesäten Raps spritzen. „Demütigend“, findet es Schulz, dass jeder Pilzsammler durch die Wälder streifen dürfe, aber er, der das Land seit Jahren bewirtschaftet und das Verhalten der Tiere kennt, darf nicht aufs Feld.

Die Politik fürchtet, Bauern könnten weitere Funde vertuschen

In der Bauernschaft ist man sauer auf die Politik, die Regeln seien nicht verhältnismäßig und unlogisch. Vor allem stört sie das fehlende Vertrauen der Behörden. „Ich könnte mit meinem Traktor ja bei der Suche nach Kadavern helfen“, sagt Schulz.

Doch offenbar glaube die Politik, dass Bauern aus Furcht vor den Folgen weiterer ASP-Fälle die toten Tiere nicht melden könnten. Nicht einmal im Krisenstab sei man vertreten. Auch in der Kommunikation fühlen sich die Landwirte übergangen.

„Erst eine Woche nach dem Fund hat das Veterinäramt bei uns angerufen“, sagt Schulz und kritisiert die Behörden. Seit Monaten habe man vor dem Virus gewarnt, habe Hilfe beim Zaunbau zur Wildschweinabwehr an der polnischen Grenze angeboten und auch jetzt rund um das Kerngebiet – niemand sei darauf eingegangen.

Mitarbeiter des Landesbetriebes Forst Brandenburg errichten nahe dem deutsch-polnischen Grenzfluss Neiße einen festen Zaun gegen die Afrikanische Schweinepest.
Mitarbeiter des Landesbetriebes Forst Brandenburg errichten nahe dem deutsch-polnischen Grenzfluss Neiße einen festen Zaun gegen die Afrikanische Schweinepest.

© Patrick Pleul/dpa

Zudem habe man frühzeitig darauf gedrängt, dass mehr Schwarzwild gejagt werde. Doch weil der Preis für Wildschweine im Keller war, lohnte sich das für private Jäger nicht. Selbst der Landesbetrieb Forst Brandenburg habe die Bejagung eingestellt. „Ich kann das nicht verstehen, dass eine Landesbehörde nur nach wirtschaftlichen Faktoren arbeitet“, sagt Schulz.

30 Kilometer weiter nördlich in Diehlo, einem Vorort von Eisenhüttenstadt, müssen die Behörden nun Schadensbegrenzung betreiben. Ansonsten ist hier nicht viel los, ein paar Plakate machen mobil gegen Windkraftanlangen. Nun kreisen mehrere Hubschrauber über dem Dorf, ein Wagen nach dem anderen fährt vor dem Gasthaus „Zum grünen Baum“ vor.

„Morgens mache ich jetzt Corona und nachmittags Schweinepest“

Mehr als 30 Personen sind gekommen, viele tragen Rucksack, die meisten Wanderschuhe, manche auch Gummistiefel und Hut. Zeckenschutzmittel wird versprüht, orangene Westen, Äpfel und Schokoriegel verteilt. Es sind fast alles Beamte aus der Kreisverwaltung, auch Auszubildende.

„Ist nichts weiter als organisiertes Wandern“, sagt ein älterer Kreis-Mitarbeiter und nimmt sich einen Holzstab, mit dem er im Geäst stochern kann. Die Suche wird als Arbeitszeit angerechnet, aber was sich jetzt auf seinem Schreibtisch stapelt, muss er später abarbeiten.

Eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamts sagt: „Morgens mache ich jetzt Corona und nachmittags Schweinepest.“ Die Suche im Unterholz findet sie nicht so lustig, beim ersten Mal hat sie sich in den Brombeersträuchern viele Kratzer geholt.

Ihre Aufgabe ist es, außerhalb des Kerngebiets nach Kadavern zu suchen. Finden sie hier infizierte Tiere, wissen die Behörden, dass sich die Krankheit weiter ausgebreitet hat als nur innerhalb des Zauns. Es ist eine Suche mit der Hoffnung, nichts zu finden.

Bislang habe man nur lebendige Tiere gefunden, aus der Bevölkerung allerdings gab es panische Anrufe. Es war jedoch nur ein toter Dachs. Begleitet werden die Beamten von Jägern und einer Hundestaffel aus Rheinland-Pfalz. Instruiert werden sie vor Ort von Karen Grützmacher, amtliche Tierärztin und zuständig für Seuchenbekämpfung.

Die Afrikanische Schweinepest ist für 95 Prozent der Tiere tödlich.
Die Afrikanische Schweinepest ist für 95 Prozent der Tiere tödlich.

© Lino Mirgeler/dpa

Auf Karten zeigt sie die abzusuchende Fläche, erteilt den Jägern die Erlaubnis, ihre Schusswaffen gegen erkennbar kranke Tiere zu nutzen. „Wir suchen Flurstück für Flurstück ab“, sagt sie, vor allem in Wäldern und Senken vermutet sie etwaige tote Tiere. Sie geht davon aus, dass die Suche noch Wochen dauern wird. Und wenn etwas gefunden wird? „Dann müssen wir den Zaun neu ziehen und die Suche von vorn beginnen.“

Der Albtraum für Behörden und Landwirte. Alle hoffen, dass der temporäre Zaun bereits richtig steht – und dass er die Wildschweine im Gebiet hält. Daran gibt es jedoch große Zweifel. Löchrig und viel zu klein sei der Zaun, monieren Kritiker.

Tatsächlich ist das in aller Eile errichtete Konstrukt nicht viel mehr als ein paar hüfthohe Schnurmaschen an dünnen Plastikstäben. An vielen Stellen ist nicht mal Strom auf dem Zaun, weil zu viel Grün in die Schnüre wuchert und weil Anlagen teils mutwillig zerstört werden.

Ein paar hundert Meter vor Diehlo haben Unbekannte sogar den Stromkasten geklaut. „Am Zaun an der Oder haben sie uns in diesem Jahr bereits 16 Kästen gestohlen“, sagt ein Techniker, der den neuen Kasten im Boden verschraubt. Ob er glaube, dass der Zaun Wildschweine im Kerngebiet halte? „Das wissen wir nicht – aber wir müssen es versuchen.“

Sobald man sich sicher ist, dass das Virus nicht außerhalb des Kerngebiets sei, werde man einen stabileren und höheren Zaun errichten, verspricht die Amtstierärztin vom Landkreis Oder-Spree, Petra Senger. Sie koordiniert den Krisenstab im Kreis, seit dem Tag des ersten ASP-Fundes arbeite sie täglich von 3 bis 23 Uhr.

Die Amtstierärztin geht von jahrelangen Folgen aus

Trotzdem steht das Management in der Kritik, die Landesregierung fordert schnelleres und effektiveres Eingreifen. Der Druck ist hoch, die gesamte deutsche Schweineindustrie ist in Gefahr. „Davon versuchen wir uns abzuschütteln“, sagt Senger. Die 58-Jährige ist seit 1985 im Veterinäramt, seit 2017 ist sie die Leiterin. Senger hat BSE, die Vogelgrippe und viele andere Seuchen erlebt. Die Schweinepest sei damit nicht vergleichbar, findet sie. „Eine Mammutaufgabe.“

Allein für die Kadaversuche außerhalb des Zauns rechnet sie mit Monaten, danach brauche es eine konzertierte Aktion im Kerngebiet. Ihre Prognose: „Monate sind nicht die Kategorie, in der wir denken. Es wird Jahre dauern, bis wir das Virus besiegt haben.“

Mit diesem Zaun sollen die infizierten Tiere in einem bestimmten Gebiet festgesetzt werden.
Mit diesem Zaun sollen die infizierten Tiere in einem bestimmten Gebiet festgesetzt werden.

© Felix Hackenbruch

Vom Vorgehen ist sie überzeugt, man orientiere sich an Belgien, wo ein ASP-Ausbruch vor zwei Jahren mit diesen Maßnahmen eingedämmt werden konnte. Dafür seien jedoch die Beschränkungen der Landwirtschaft „zwingend notwendig“, selbst eine Saat im Frühjahr sei fraglich. „Was in Corona der Lockdown war, ist bei der ASP der Stand Still“, sagt Senger. Man müsse jetzt Ruhe in das Ausbruchsgebiet bekommen und herausfinden, was dort genau los sei.

Christoph Schulz hat dafür kein Verständnis. „Wir laufen jetzt seit mehr als zwei Wochen toten Schweinen hinterher“, sagt er. So komme man nicht vor die Welle, befürchtet er. Schulz fordert, das Kerngebiet von außen nach innen zu bejagen. Außerdem will er, dass die Landwirte – gegebenenfalls auch unter Aufsicht – ihren Mais ernten und die Felder bestellen können.

Ihm rennt die Zeit davon. Die Futtervorräte werden schon knapp, weil die Behörden verbieten, das diesjährig Produzierte zu verwenden. Es könnte kontaminiert sein. Aus Polen, wo das Virus besonders schlimm grassiert, könnte er zukaufen, sagt Schulz und schüttelt den Kopf. Noch so eine sinnlose Regel, zumal selbst im Ausland das Futter teuer ist. Er hat deshalb begonnen, die ersten Rinder zu schlachten.

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