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Fabien Martini verstarb noch am Unfallort.

© Maurizio Gambarini/dpa

Erster Prozesstag im Fall Fabien Martini: Der angeklagte Polizeibeamte Peter G. schweigt vor Gericht

Bei einem Autounfall kam Fabien Martini ums Leben. Peter G. saß damals am Steuer – äußern will er sich am ersten Prozesstag nicht.

Hier sind alle Opfer und Verlierer, kaputte Seelen, Gewinner wird es nicht geben. Fabien Martini ist tot. 

Am 29. Januar 2018 starb die damals 21-Jährige in der Grunerstraße, als ein Polizeiwagen bei einer Einsatzfahrt mit Blaulicht in ihren Kleinwagen kracht. Zwei Jahre und neun Monate später verhandelt das Amtsgericht Tiergarten den Fall

Polizeihauptkommissar Peter G., 53 Jahre alt, muss sich wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten. Ihm gegenüber sitzen die Eltern von Fabien. Die Mutter, ganz in Schwarz, hat ein Bild ihrer Tochter vor sich auf den Tisch gestellt. So, dass Peter G. es sehen muss. 

Der Polizist sagt vorerst nichts, das ist sein Recht als Angeklagter. Sein Anwalt erklärt, der Unfalltod der Frau gehe seinem Mandanten „sehr, sehr nahe“ und es tue ihm „sehr, sehr leid“

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Der Beamte, nach seinen Angaben seit fünf Monaten krankgeschrieben, saß mit schwarzem Mund-Nasen-Schutz auf der Anklagebank, der Blick gesenkt, die Schultern hängend. Er sackte immer wieder etwas zusammen. Ihm gegenüber der Vater der Getöteten. Starr sah der 51-Jährige in Richtung des Mannes, der seine Tochter totgefahren hatte. 

Verzweiflung, Zorn und Wut: In einer Prozesspause muss es heraus. „Er macht hier auf Tränendrüse und gibt meiner Tochter die Schuld, er zeigt keine Einsicht.“ 

Der Vater spielte damit auf eine schriftliche Erklärung an, die G. vor zwei Jahren verfasst haben soll. Die junge Autofahrerin habe „durch Nichtsnutzen des Blinkers die Ursache gesetzt“, soll er behauptet haben. Ihn treffe keine Schuld; er habe darauf vertraut, dass er, mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs zu einem mutmaßlichen Raub, Vorrang hatte. 

Die Biegung der Straße der konnte er nicht einsehen

„Er fuhr nach der Tunnelausfahrt mit einer Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometern in den Bildungsbereich der Grunerstraße ein, obwohl er jederzeit aufgrund der sich auf dem Mittelstreifen befindlichen Parkuhren mit Parkplatzsuchverkehr rechnen musste“, lautet die Anklage. 

Zudem habe er wegen der Biegung die Straße nicht vollständig einsehen können. Doch er habe sein Tempo nicht entsprechend angepasst. „Er setzte seine Fahrt mit unangemessener Geschwindigkeit fort.“ 

Der tödliche Crash kurz nach 13 Uhr. Peter G. kam aus dem Tunnel geschossen. Eine Augenzeugin schilderte im Prozess, sie als Fußgängerin, die die Straße überqueren wollte, sei schnell zurück in eine Parklücke gesprungen. 

Sie habe gedacht: „Oh mein Gott, das Auto hebt gleich ab!“ Sie habe „noch nie ein Auto in der Stadt so schnell fahren sehen“, sagt die 33-jährige Zeugin.

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Fabien Martini im Renault Clio wechselte langsam die Fahrspur von rechts nach links, weil sie den Ermittlungen zufolge einparken wollte. Laut Anklage blinkte sie. 

„Sie wollte zur Bank“, ein Konto eröffnen, sagte ihre Mutter am Rande des Prozesses. Drei Tage später hätte sie ein Café übernehmen können, sich einen Traum erfüllen. Doch sie hatte keine Chance, als es zur Kollision kam. Beim Aufprall soll G. noch 93 Stundenkilometer schnell gewesen sein. Fabien Martini starb um 13.35 Uhr.

Darf eine Eile-Fahrt zur derartigen Raserei werden? Ein Polizist, der als Beamter eines Unfallkommandos vor Ort war, erklärte als Zeuge, 70 bis 80 Stundenkilometer seien in der Stadt bei Fahrten mit Sonder- und Wegerecht ein Richtwert. „Aber es kommt auf die Verhältnisse an.“ 

Konkrete Vorgaben gibt es tatsächlich nicht, außer: Die Fahrer der Einsatzwagen dürfen andere nicht gefährden. G. und sein leicht verletzter Beifahrer seien bereits im Krankenhaus gewesen, als er vor Ort angekommen sei, sagte der 56-jährige Beamte vom Unfallkommando: „Es war ein riesengroßes Trümmerfeld.“ 

Passanten kümmerten sich als Ersthelfer um Fabien Martini

G. wurde nicht unmittelbar nach dem Unfall vernommen. „Es bestand kein Verdacht einer Straftat“, sagte der Beamte. Auch auf Alkohol am Steuer habe es keine Hinweise gegeben. 

Passanten waren es, die sich als Ersthelfer um Fabien Martini kümmerten. Die beiden Polizisten hätten auf der Straße gestanden. „Der jüngere Mann schien verwirrt, der ältere machte einen normalen Eindruck und war mit dem Funkgerät befasst“, schilderte ein 35-jähriger Zeuge im Prozess. 

Im Herbst 2018 bekam einer der Anwälte der Opferfamilie einen Tipp aus der Charité. Eine in der Klinik bei den Untersuchungen genommene Blutprobe des Fahrers habe Alkohol enthalten, hieß es. Polizei und Justiz sahen sich Vertuschungsvorwürfen ausgesetzt. In einem Laborbericht war ein Blutalkoholwert von 1,0 Promille vermerkt, gemessen in einer zwei Stunden nach dem Unfall entnommenen Probe, die vernichtet wurde. 

Vorwurf der Alkoholisierung nicht zugelassen

Anfang 2019 leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Klinikpersonal ein und beschlagnahmte per Gerichtsbeschluss die Krankenakte. Obwohl die Charité später nicht einmal ausschließen konnte, dass Blutproben vertauscht wurden, warf die Staatsanwaltschaft G. vor, er sei durch Alkohol enthemmt gewesen und deshalb gerast. Doch den zunächst erhobenen Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs durch Alkoholisierung hatte das Gericht dann nicht zugelassen. 

Ein Nachweis in diesem Punkt sei nicht zu führen, begründeten die Richter. Die Beschlagnahme der Akte und die Durchsuchung seien rechtswidrig gewesen. 

Dabei seien die ärztliche Schweigepflicht, die Grundrechte des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre sowie das Rechtsstaatsprinzip grundlegend verletzt worden. Das heißt: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren gegen Charité-Personal einfach fingiert, um ihr Ziel zu erreichen. 

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Die Eltern von Fabien sind enttäuscht von den Behörden. „Gerechtigkeit gibt es nicht“, sagt der Vater. Doch sie hoffen, dass die Fragen rund um den Verdacht auf Alkohol auf den Tisch kommen. 

Ein Nebenklage-Anwalt stellte in diesem Zusammenhang einen Antrag auf Vernehmung von zwei weiteren Zeugen: G. soll am Abend nach dem Unfall ihnen gegenüber zugegeben haben, dass er „viel getrunken hatte“, heißt es im Antrag. Der Prozess geht Donnerstag weiter. Dann soll etwa der Beifahrer von G. befragt werden. 

Ein Unfallexperte stellte in seinem Gutachten für die Staatsanwaltschaft fest, dass G. bei dem Unfall optimal reagiert hat, es lägen keine Anzeichen für eine Verzögerung durch Alkohol vor. Doch G., mehr als 30 Jahre Polizist, ist den Alkoholverdacht nie losgeworden. Jörn Badendick vom Polizeiverband „Unabhängige“ sagt: „Das lange Verfahren und die Vorverurteilungen haben bei ihm Spuren hinterlassen.“

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