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Der Tatort auf der A100 am Mittwoch.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Erst Jagd, dann Gebet, dann Festnahme: Was wir über das Attentat auf der Berliner Stadtautobahn wissen

Samrad A. machte auf der Stadtautobahn Jagd auf Motorradfahrer. Ein Opfer kämpft um sein Leben. Der Täter sitzt in der Psychiatrie. Ein Überblick.

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Etwa zwei Stunden vor der Tat setzt Sarmad A. noch zwei Facebook-Posts ab. Auf einem Foto schaut er direkt in die Kamera, rotes Polo-Shirt, fester Blick, neben ihm ein schwarzer Opel Astra, Berliner Kennzeichen. Auf Arabisch schreibt er einen Text, in dem es heißt, er wolle am Freitag Palästina betreten, und: Gott ist groß. Allahu akbar.

Außerdem schrieb A. das Wort „Märtyrer“, darunter posten andere Nutzer arabische Segenswünsche. Mit dem schwarzen Astra wird A. später am Abend, um kurz vor 19 Uhr, eine Anschlagserie auf der Berliner Stadtautobahn verüben. Er rammt zwei Motorräder, einen Roller und Autos.

Sechs Menschen werden verletzt, drei schwer, einer kämpft noch um sein Leben. Die Behörden gehen von einem islamistisch-religiösen Motiv des 30 Jahre alten Irakers aus. Womöglich ist er psychisch labil. Was bislang über die Anschlagsserie und ihre Folgen bekannt ist – ein Überblick.

Wie lief die Fahrt auf der A100 ab?

Gegen 18.35 Uhr war Sarmad A. mit hohem Tempo auf der Stadtautobahn A100 in Richtung Neukölln unterwegs, auf Höhe der Anschlussstelle Detmolder Straße rammte er einen ersten Motorradfahrer. Auf Höhe des Innsbrucker Platzes verursachte er einen weiteren Unfall, in Höhe Alboinstraße noch einen – und er kam mit seinem Opel Astra zum Stehen.

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Er rammte während der Fahrt insgesamt drei Zweiräder und zwei Autos. Er habe „gezielt Jagd auf Motorräder gemacht“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, später. Zwei habe er erfolgreich gerammt, einen Motorroller touchiert.

Auf einem Motorroller saß ein Feuerwehrmann, der nach Dienstschluss nach Hause gefahren sein soll. Er erlitt bei dem Zusammenstoß schwerste Verletzungen an Kopf und Wirbeln, schwebt immer noch in Lebensgefahr. A. stieg nach dem letzten Angriff aus seinem Auto aus, rollte auf der Autobahn einen Gebetsteppich aus und begann zu beten.

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Ein Streifenpolizist, zufälligerweise mit arabischem Hintergrund, näherte sich Sarmad A., sprach ihn an, zog ihn vom Fahrzeug weg und nahm ihn fest. Die Courage des Beamten sei beeindruckend, heißt es. Denn zuvor hatte Sarmad A. gedroht, dass sich gefährliche Gegenstände in der Kiste auf seinem Auto befänden. Er habe sinngemäß gedroht, alle zu töten, die sich ihm nähern. Die Kiste wurde von Spezialkräften mit einem Wassergewehr geöffnet. Ein zwischenzeitlicher Sprengstoffverdacht erhärtete sich nicht, auch Sprengstoffspuren wurden nicht gefunden.

Wer ist Sarmad A.?

Der 30 Jahre alte Iraker wurde 1990 in Bagdad geboren. Fotos von seiner Facebookseite zeigen einen jungen Mann, der Vollbart ist gestutzt, die Haare an den Schläfen herrunterrassiert, das schwarze Haupthaar wellig. Er kam im Flüchtlingssommer 2015 nach Finnland, hatte dort einen Asylantrag gestellt.

Dieses Bild postete Sarmad A. auf Facebook. Mit diesem Auto rammte er später mehrere Motorradfahrer auf der A100.
Dieses Bild postete Sarmad A. auf Facebook. Mit diesem Auto rammte er später mehrere Motorradfahrer auf der A100.

© Facebook/Sarmad A.

Im März 2016 kam er nach Berlin, lebte ab August in einer Gemeinschaftsunterkunft in Treptow-Köpenick. Seit Oktober 2019 wohnte er bei seinem Bruder in Reinickendorf. A. war der Polizei bereits bekannt.

2018 fiel er in der Flüchtlingsunterkunft mit Körperverletzungsdelikten auf. Bei einem Vorfall bedrohte er auch Polizisten und rollte, wie jetzt auf der Autobahn, einen Gebetsteppich aus. Das Verfahren endete damals mit einem Freispruch wegen phasenweiser Schuldunfähigkeit, sagte Generalstaatsanwältin Margarete Koppers am Mittwoch im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses.

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Der Iraker kam im August 2018 in die Psychiatrie, wurde aber nach kurzer Zeit wieder entlassen. Warum er bald wieder herauskam, blieb unklar. Laut Staatsanwaltschaft hat er einen Duldungsstatus – dieser läuft bis Dezember 2020. Nachbarn berichten, dass Sarmad A. sich schon vor der Tat auffällig verhalten habe.

Er habe auf der Straße vor dem Wohnhaus laut gebetet und herumgeschrien. Anwohner hätten auch die Polizei alarmiert, diese soll den Mann aber nicht mehr angetroffen haben. Später soll er am Auto geschraubt haben. Fotos davon veröffentlichte er kurz vor der Tat auf Facebook.

Warum glauben die Ermittler an ein islamistisches Motiv?

Laut Staatsanwaltschaft sollen die Äußerungen von A. nach der Amokfahrt ein islamistisches Tatmotiv nahelegen. So habe er unter anderem „Allahu akbar“ gerufen, sagte ein Sprecher Berliner Staatsanwaltschaft. Es gebe außerdem Hinweise auf Verbindungen ins islamistische Milieu.

Möglicherweise hat sich Sarmad A. in der Flüchtlingsunterkunft radikalisiert. Der Iraker habe in Kontakt zu einem als Gefährder bekannten Islamisten gestanden, heißt es aus Sicherheitskreisen. Der Gefährder werde dem Spektrum der Terrormiliz „Islamischer Staat“ zugeordnet.

Ein Polizist bereitet den Einsatz einer Drohne vor auf der A100 in Höhe der Ausfahrt Alboinstraße.
Ein Polizist bereitet den Einsatz einer Drohne vor auf der A100 in Höhe der Ausfahrt Alboinstraße.

© Paul Zinken/dpa

Laut ersten Erkenntnissen soll Sarmad A. die Tat allein begangen haben. „Es gibt bislang keine Hinweise auf weitere direkt beteiligte Täter“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft am Mittwoch. A. selbst war bislang nicht als Gefährder gelistet, eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Auch dem Staatsschutz sei er nicht bekannt gewesen, sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Abend dem rbb. "Er war zwar Kontaktperson eines Gefährders aus einer Wohnbekanntschaft, aber er ist polizeilich bisher mit Körperverletzung und Widerstand gegen Vollzugsbeamte aufgefallen", so Geisel.

Auch über ein Netzwerk im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Täter sei nichts bekannt, sagte Geisel. "Nach gegenwärtigen Erkenntnissen gibt es kein Netzwerk, das im Hintergrund arbeitet, aber wir werden sehen, was da noch an Ermittlungsergebnissen kommt", so der Innensenator. "Klar ist aber, Berlin ist im Fokus solcher terroristischer Anschläge." Es gebe keinen Grund für Entwarnung. "Deshalb sind wir gut beraten, unsere Sicherheitsbehörden so aufzustellen, dass solche Anschläge, sollten sie von Netzwerken geplant werden, möglichst abgewehrt werden können."

Kontakte zum Umfeld des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri habe der 30-jährige tatverdächtige Iraker nicht gehabt: "Nach gegenwärtigen Erkenntnissen ist das nicht der Fall", sagte Geisel. "Er hat mit einem Gefährder, der in Berlin lebt und unter Beobachtung des Staatsschutzes steht, vor einiger Zeit in einem Wohnheim zusammengelebt. Das scheint im Moment die einzige Verbindung zu sein."

Weswegen wird gegen den Tatverdächtigen jetzt ermittelt?

Gegen Sarmad A. wird wegen versuchten Mordes in mindestens drei Fällen ermittelt. Es könnten noch weitere hinzukommen, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Der Iraker wurde am Dienstag einem Haftrichter vorgeführt. Der ordnete an, dass Sarmad A. nicht in Untersuchungshaft, sondern in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden soll.

Die eigens eingesetzte Ermittlungsgruppe „Motorrad“ hatte zuvor Hinweise auf eine psychische Labilität feststellen können, hieß es.

Welche Folgen hatte die Amokfahrt für den Verkehr in Berlin?

Ab 19 Uhr am Dienstagabend bis zum frühen Mittwochnachmittag waren Teile der A100 vollständig gesperrt. Die Sperrung im Abschnitt zwischen Wexstraße und Schmargendorf wurde erst gegen 14 Uhr aufgehoben. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei die Untersuchungen vor Ort zum größeren Teil beendet.

Wegen der Ermittlungen der Polizei gab es Sperrungen auf der südlichen Stadtautobahn.
Wegen der Ermittlungen der Polizei gab es Sperrungen auf der südlichen Stadtautobahn.

© Paul Zinken/dpa

Die Kriminalpolizei hatte zuvor für die Untersuchungen ganze Fahrbahnen gesperrt und auch eine Drohne für Video- und Fotoaufnahmen aus der Luft eingesetzt. Während die Drohne flog, mussten aus Sicherheitsgründen beide Fahrtrichtungen der Autobahn gesperrt werden.

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Die Ausweichstrecken waren wegen des hohen Verkehrsaufkommens überlastet. Der stark beschädigte Opel Astra von Sarmad A. stand zuletzt auf der Autobahnausfahrt Alboinstraße.

Welche Reaktionen gab es auf die Amokfahrt des Irakers?

Die Berliner Landespolitik äußerte sich bestürzt über die Amokfahrt. Neben dem Regierenden Bürgermeister äußerte sich auch Innensenator Andreas Geisel (SPD): „Ich bin bestürzt, dass Unbeteiligte aus dem Nichts heraus Opfer einer Straftat geworden sind“, sagte Geisel. „Wenn ein Auto gezielt auf Motorradfahrer auffährt, haben diese keine Chance. Ich hoffe, dass die drei Schwerverletzten sich rasch wieder erholen.“ (mit dpa)

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