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Die Gemeinde der Ernst-Moritz-Arndt-Kirche debattiert über belastetes Inventar.

© Thilo Rückeis

Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde in Zehlendorf: Berliner Kirchengemeinde diskutiert über Luther-Büste von Nazikünstler

Die Ernst-Moritz-Arndt-Kirche muss nicht nur von ihrem Namen trennen, sondern vielleicht auch von einem umstrittenen Kunstwerk aus der NS-Zeit.

Die evangelische Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde trägt gleich dreifache Last. Nicht nur um ihre Adresse, die Onkel-Tom-Straße, ist eine Anti-Rassismus-Debatte entbrannt. Die Gemeinde muss sich zudem mit ihrem geschichtlichem Erbe aus der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen.

Und sie diskutiert über ihre bereits 2019 beschlossene Umbenennung – denn Ernst Moritz Arndt wird heute wegen antijüdischer Bemerkungen als Antisemit abgelehnt.

Intensiv setzt sich die „EMA“-Gemeinde auch mit belasteten Ersteinrichtungsgegenständen der 1935 eingeweihten Kirche auseinander, die vor allem aus der NS-Zeit stammen. Dazu gehört eine Luther-Büste, die der Berliner Maler und Bildhauer Hans Haffenrichter (1897–1981) erschaffen hat.

Haffenrichter hat auch Porträt-Büsten von Hitler und Göring gestaltet und war Mitglied im „Kampfbund für deutsche Kultur“, wie der Tagesspiegel-Checkpoint zuerst berichtete. Der Hobby-Historiker Herrmann Fricke aus Hannoversch Münden hatte offensichtlich nach Recherchen auf der Internetseite der Gemeinde einen entsprechenden kritischen Brief nach Zehlendorf geschrieben.

Kirchenausstattung soll erforscht werden

„Noch in diesem Jahr soll ein Förderantrag bei einer deutschen Stiftung gestellt werden, der es Bauforschern sowie Architektur- und Kunsthistorikern ermöglichen soll, eine umfassende Geschichte der Kirche und ihrer Ausstattung zu schreiben.

Dazu zählt auch der Lutherkopf von Haffenrichter, der – wie Sie sicher wissen – in der Wissenschaftsliteratur bereits mehrfach behandelt wurde“, antworteten nun Michael Häusler, Historiker der Gemeinde sowie der Professor für christliche Archäologie an der Universität Halle-Wittenberg, Gunnar Brands.

Beide gehören dem Gemeindekirchenrat an. Der Antwortbrief der Gemeinde, der jetzt versandt werden soll, liegt dem Tagesspiegel vor.

Die umstrittene Luther-Büste des Bildhauers Hans Haffenrichter.
Die umstrittene Luther-Büste des Bildhauers Hans Haffenrichter.

© EMA

„Der Geschichte unserer Gemeinde und Kirche sind wir uns – so wie viele andere Gemeinden, deren Kirchen in dieser Zeit entstanden sind – sehr bewusst“, heißt es weiter.

Der letztjährige Beschluss des Gemeindekirchenrats, den Namen der Gemeinde abzulegen, ließe das bereits erkennen; ebenso die Gründung eines „Arbeitskreises Kirche und Kunst“, der sich mit den wenigen bauzeitlichen Ausstattungsgegenständen der Kirche beschäftigt.

Luther-Büste steht neben der Garderobe

Der Lutherkopf steht im Vorsaal des Gottesdienstraumes, auf einem Sockel neben der Garderobe. Den meisten Kirchenbesuchern sei er zuletzt nicht weiter aufgefallen.

Zu dem Künstler, der ihn schuf, schreibt die Gemeinde weiter an Herrmann Fricke: „Haffenrichter ist tatsächlich eine ambivalente Gestalt – er hat, wie Sie richtig anmerken, zahlreiche NS-Größen porträtiert und war Mitglied der Reichskunstkammer, zugleich hat er seit 1921 auch am Bauhaus studiert, unter anderem bei Oskar Schlemmer, und war im Deutschen Werkbund aktiv.“

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Und: „Eine pauschale Beurteilung seiner Person als ,Nazi-Künstler‘ und seiner vielen Werke als ,Nazi-Kunst‘ ist insofern zu undifferenziert.“ Nicht jedes Kunstwerk aus den 1930er Jahren sei automatisch Nazikunst, sagt Häusler.

Debatte auch um Richard Wagner: Antisemit, dessen Opern gehört werden

Haffenrichter ist ambivalent, er habe viele Seiten, die man diskutieren und abwägen werde, sagt Michael Häuser dem Tagesspiegel. Die Frage sei auch, wie man Künstler und Werk betrachte, so würden Wagner-Opern gehört, obgleich Wagner Antisemit war, sagt Häusler.

Auch das Deckengemälde der Kirche enthält mit seinen heroischen Männerbildnissen klare Bezüge zur NS-Ästhetik.
Auch das Deckengemälde der Kirche enthält mit seinen heroischen Männerbildnissen klare Bezüge zur NS-Ästhetik.

© EMa

Wetterfahne mit Preußenadler und eisernem Kreuz

Es gibt auch anderes Zeitgeschichtliches, was Besuchern der „EMA“-Kirche kritisch ins Auge fällt: Die Wetterfahne mit Preußenadler und eisernem Kreuz, „die preußische und christliche Symbolik zugleich enthalten“; die Wetterfahne stehe unter Denkmalschutz, ist jedoch gerade bei einem Sturm leicht beschädigt worden.

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Auch das Deckengemälde, das expressionistische Züge trage – aber eben mit seien heroischen Männerbildnissen klare Bezüge zur NS-Ästhetik aufweisen, sei wie die Luther-Büste im Gesamtzusammenhang zu sehen, sagt der Historiker Häusler.

„Wir sind uns der Sache sehr bewusst und setzen uns mit allem kritisch auseinander.“ Ob dann schnelles Entfernen oder kritisches Damit-Befassen die bessere Lösung sei, soll nun besprochen werden

Virtuelle Führung in Arbeit

Pfarrerin Ute Hagmayer hatte in ihrem Antwortbrief an Fricke geschrieben, dass es im Zusammenhang mit der Umbenennung der Kirchengemeinde natürlich „bemerkenswert“ sei, „dass ausgerechnet eine Luther-Büste des NS-nahen Malers und Bildhauers Hans Haffenrichter in unserer Kirche vorhanden ist“.

Zur rund 4000 Glieder umfassenden Gemeinde gehören viele ältere Zehlendorfer Bildungsbürger, Alt-68er und junge Familien, die an den grünen Stadtrand gezogen sind. Derzeit entwickelt die Gemeinde einen virtuellen Rundgang – da wird man sicher einige der jetzt diskutierten Stücke sehen.

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