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Der Linkenpolitiker Ferat Kocak, der selbst Opfer der Anschlagsserie wurde, bei einer Kundgebung gegen Rechtsextremismus.

© imago images / Christian Mang

Ermittlungsfehler und zu wenig Kommunikation: Betroffene und Politiker bemängeln Bericht zu Neuköllner Anschlagsserie

Am Montag soll der Zwischenbericht zu den Anschlägen im Innenausschuss diskutiert werden. Politiker und Betroffene halten die Ergebnisse für unzureichend.

Betroffene der rechtsextremen Anschlagsserie von Neukölln und Politiker von Grüne und Linke haben verhalten bis enttäuscht auf den Zwischenbericht der Expertenkommission reagiert – und setzen weiterhin auf einen Untersuchungsausschuss. Die auf Initiative von Innensenator Andreas Geisel (SPD) einberufene Kommission sollte sich mit möglichen Versäumnissen bei den Ermittlungen befassen.

Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses ist der 28-seitige Bericht am Montag Thema. Dessen Kernaussage ist: Wegen unterschiedlicher Sichtweisen von Ermittlern und Opfern auf die Verfahren sei das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden massiv verloren gegangen, nötig sei daher eine bessere Kommunikation und die Einbindung von Betroffenen, örtliche Initiativen und des Bezirksamts

Niklas Schrader, Innenexperte der Linksfraktion, der für einen Untersuchungsausschuss ist, beklagte, dass die Kommission den umfangreichen Fragenkatalog „nicht einmal ansatzweise“ untersucht habe. „Es zeichnet sich ab, dass diese Kommission kein geeignetes Instrument ist, die Missstände in den Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Neuköllner Anschlagsserie umfassend zu untersuchen“, sagte Schrader. Als positiv wertete der Linke-Politiker, dass die Kommission aktiv Kontakt zu den Betroffenen der Anschlagsserie aufgenommen habe.

Schrader bemängelte jedoch, dass die Kommission Zweifel an der Integrität der Polizei auf Presseberichte zurückgeführt hat. „Die bereits bekannten Fehler der Sicherheitsbehörden sind real. Die vielen extrem rechten Vorfälle in der Polizei auch. Das bleibt unerwähnt“, sagte er. „Mit gutgemeinten Vorschlägen für eine bessere Kommunikation mit den Betroffenen kommen wir aber nicht weiter. Aufgabe der Kommission ist es nicht, die Sicherheitsbehörden gegen Kritik zu verteidigen, sondern größtmöglich aufzuklären.“

Grünen-Innenexperte Benedikt Lux nannte es hilfreich, dass die Perspektive und die Kritik der Geschädigten wiedergegeben wird. Er begrüßte auch den Vorschlag für eine Konzeption zum gemeinsamen Umgang von Behörden und Neuköllner Initiativen mit rechtsmotivierten Straftaten. Lux bedauerte aber, dass der Abschlussbericht der Soko Fokus nicht überprüft werden soll. Der habe aber etliche Fragen aufgeworfen und nicht beantwortet.

So sei die Spur zu einem Polizisten mit AfD-Parteibuch, der zwar nicht mit dem Neukölln-Komplex befasst gewesen sei, aber wohl Dienstgeheimnisse verraten haben solle, noch nicht ausreichend abgeklärt.

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Weitere Punkte, mit denen die Kommission beauftragt worden war, seien noch ungeklärt, etwa der Verdacht auf Treffen eines Polizisten mit einem der Neonazis oder wie die fehlende Warnung des Linke-Politiker Ferat Kocak vor einem Anschlag rechtlich bewertet werde.

Weitere Kommission soll rechte Netzwerke in der Polizei prüfen

Um dem Verdacht rechter Netzwerke nicht nur in der Polizei, sondern auch in anderen Behörden nachzugehen, müsse sich eine weitere unabhängige Kommission oder die künftige Polizeibeauftragte kümmern. Hier spiele auch - wie von der Neukölln-Kommission angemerkt - eine Rolle, ob Daten von Opfern auch aus dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten illegal stammen könnten.

„Der Ermittlungsdruck bei den vorliegenden Straftaten muss weiter sehr hoch bleiben und erhöht werden. Sobald das Verfahren abgeschlossen ist, sollte es auch hier – soweit möglich – Transparenz hergestellt werden, auch über die Ungereimtheiten“, sagte Lux. „Der Fokus bei der Verfolgung rechtsextremer Straftaten und bei der Beobachtung rechtsextremer Strukturen muss auch Netzwerken liegen, die weit über Neukölln hinaus gehen.“ Die Frage nach Versäumnissen in den Sicherheitsbehörden werde die Politik weiter beschäftigen. Die Grünen wollten deshalb gemeinsam mit den Betroffenen und mit der Koalition einen Untersuchungsausschuss vorbereiten.

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Tatsächlich sieht es die Kommission nicht als ihre Aufgabe an, alles noch einmal aufzurollen und als „lediglich weiteres Gremium nachträglich einzelne Fehler oder Versäumnisse“ zu suchen. Vielmehr baut sie auf der Arbeit der Soko Fokus auf, die seit 2019 mit großem Aufwand alle bisherigen Ermittlungen überprüft und Fehler festgestellt hat. Innensenator Geisel hatte bei der Einsetzung der neuen Kommission im Oktober gesagt, er wolle die Ursachen dafür erkennen und beseitigen, warum es „bislang so schwer war“, die „rechtsextremen Straftaten in Neukölln beweissicher“ aufzuklären und die Täter rechtskräftig zu verurteilen.

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Ermittler rechnen der aktuellen Anschlagsserie mehr als 70 Straftaten seit 2013 zu. Darunter sind mindestens 23 Brandstiftungen, aber auch eingeworfene Fenster und Schmierereien an Hauswänden mit Morddrohungen.

Auch zuvor gab es wiederholt rechtsextreme Attentate im Bezirk: So wurden etwa 2011 zwei Brandanschläge auf das Jugendhaus der Neuköllner Falken verübt. Für die Soko Fokus sind die Neonazis Tilo P., Sebastian T. und Julian B. die Hauptverdächtigen. Die Ermittler hatten in ihrem Abschlussbericht im September aber festgestellt, dass die Aufklärung der Anschlagsserie bislang nicht mit rechtstaatlichen Mitteln erzwungen werden könne.

Generalstaatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen

Im Sommer hatte die Generalstaatsanwaltschaft von der Staatsanwaltschaft das Verfahren übernommen, mit zusätzlichem Personal ermittelt und die Indizien neu bewertet. Sie ist mit ihren kurz vor Weihnachten gestellten Haftanträgen gegen zwei der drei Hauptverdächtigen aber vorerst gescheitert. Tilo P. kam unter Auflagen auf freien Fuß, das Landgericht wollte bei Sebastian T. nicht einmal einen dringenden Tatverdacht erkennen.

Über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft muss das Kammergericht noch entscheiden. Die Kommission sieht noch einen weiteren Ansatzpunkt: Sie will prüfen, ob der Verfassungsschutz alles ausgeschöpft habe, um alle für die Aufklärung relevanten Erkenntnisse zur Anschlagsserie an Polizei und Staatsanwaltschaft zu übermitteln.

In Neukölln gibt es immer wieder mutmaßlich rechtsextreme Anschläge, wie hier auf das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak.
In Neukölln gibt es immer wieder mutmaßlich rechtsextreme Anschläge, wie hier auf das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak.

© Ferat Kocak/dpa

Enttäuscht vom Zwischenbericht ist auch Jürgen Schulte von der Britzer Initiative „Hufeisern gegen Rechts“. Der Bericht enthalte kaum Neues, sagte er. „Die Chance, die sich aus der erstmaligen Einbeziehung von Betroffenen hätte ergeben können, wird leider verspielt. Dass ihr Vertrauen in die Ermittlungsbehörden nachhaltig gestört ist, ist schon seit Jahren bekannt“, stellt Schulte fest.

Der Zwischenbericht bestätige auch, dass die Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss „notwendiger denn je ist“. Der sei zur vollständigen Akteneinsicht und zur Zeugenvernehmung berechtigt.

Betroffene bemängeln Tatortarbeit und Desinteresse von Polizisten

Statt Unverständnis für bisher ausbleibenden Ermittlungserfolge, wie von der Kommission attestiert, hätte die Betroffenen für sich Erklärungen gefunden, sagte Schulte. Demnach könne eine behörden- und verwaltungsinterne Aufklärung zu der seit mehr als zehn Jahren andauernde Ermittlungsarbeit zu keinen neuen Erkenntnissen über die Ursachen der Erfolglosigkeit führen kann.

Im Zwischenbericht selbst seien Erfahrungen von Betroffenen mit mangelnder Tatortarbeit der Ermittler oder mit Desinteresse von Polizisten beschrieben. Wobei dies nicht „Ausdruck einer rechten Gesinnung“ bei Polizisten sein müsse. Als Beispiel für das zerrüttete Verhältnis nannte Schulte den Umgang mit gestohlenen Stolpersteinen. Ein Polizist habe erklärt, dass dies für die Polizei den gleichen Stellungwert habe wie ein Fahrraddiebstahl und daher gleichbehandelt werde. „Das konstruktiv begonnene Gespräch kippte, über Monate lief die Zusammenarbeit mit dem Beamten auf Schmalspurniveau“, berichtete Schulte.

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Unzufrieden ist auch Ferat Kocak, auf dessen Auto 2018 ein Brandschlag verübt wurde und der trotz klarer Erkenntnisse von Verfassungsschutz und Polizei wegen Pannen nicht gewarnt worden war. Nachdem die von Innensenator Geisel eingesetzte Soko Fokus „die ganzen Verwicklungen für abgehakt erklärt hat, geht die Strategie aus meiner Sicht jetzt in die Richtung, einen Untersuchungsausschuss zu verhindern“, sagte der Neuköllner Linke-Politiker. „Es wird versucht, Vertrauen herzustellen, in dem Skandale für unglaubwürdig erklärt werden.“

Noch eine weitere Kommission werde keine neuen Erkenntnisse bringen. Es gehe nicht darum, alle Polizisten und Ermittler „unter Generalverdacht zu stellen – sondern diejenigen zu identifizieren, die rechtsextremes Gedankengut haben oder die Ermittlungen behindern“, sagte Kocak. „Nur durch die Aufklärung der Verwicklungen kann Vertrauen hergestellt werden.“

Auch die Anwohnerinitiative „Basta“ kritisierte die Kommunikation mit den Behörden und bezeichnete sie als „sehr einseitig“. Die Fragen der Initiative an die Behörden seien nicht beantwortet worden. Hinter den Problemen bei den Ermittlungen stecke nicht nur ein Kommunikationsproblem.

Karin Wüst von der Initiative sagte, dass man durch die hohe Zahl rechtsextremer Vorfälle in den Ermittlungsbehörden von rechtsextremen Strukturen ausgehen müsse. Die Initiative sei beunruhigt, dass diese Strukturen geleugnet würden. Sie bezeichnete den Bericht als „große Enttäuschung“.  

Versöhnlich zeigte sich Mirjam Blumenthal, Kreispartei- und Fraktionschefin der SPD in Neukölln, die selbst mehrfach Opfer rechter Anschläge geworden war. „Mehr Kommunikation wagen, um verlorenes Vertrauen wieder herzustellen ist ein guter Ansatz“, sagte sie. „Wenn die beiden Sonderermittler es schaffen die zum Teil stark beschädigte Brücke zwischen den Betroffenen und den Sicherheitsbehörden wieder aufzubauen geht das nur, wenn uns nicht nur die beiden Sonderermittler ernst nehmen.“

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