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Das Homeschooling sah bei den Kindern unserer Autorin weniger diszipliniert aus.

© imago images/Jochen Tack

Entwicklungsschübe durch Corona-Lockdown: Die Kinder ans Ruder lassen – zum Glück sind sie reifer geworden

Bin ich im Homeoffice überhaupt ein Vorbild, fragt sich unsere Autorin und ist dann doch ganz überrascht. Eine Familienkolumne.

Von Fatina Keilani

Die interessante Phase der gegenseitigen Beobachtung dauert in meinem Haushalt an. Der Lockdown ist zwar gelockert, die Kinder dürfen vereinzelt wieder in die Schule, aber die meiste Zeit hocken wir in unserem beengten Heim aufeinander. Ich arbeite im Homeoffice, wie der Küchentisch neuerdings heißt, und sie versuchen über die Lernplattformen der Schulen ihr Pensum zu überblicken. Wenn sie an den Kühlschrank gehen, fühle ich mich beobachtet.

Bin ich überhaupt ein Vorbild, so in Schlabberhosen und ohne Frisur? Was denken sie über meine Arbeit? Sie bekommen erstmals mit, wie ich per Telefon Informationen sammele, aufschreibe, und am nächsten Tag steht es in der Zeitung. „Es nervt voll, dass du jetzt immer da bist“, sagen die Kinder dazu nur. Klar – dauernd wird man beim Zocken gestört. Oder muss im Haushalt helfen. Zudem logge ich mich ständig in ihre Lernplattformen ein. Habe dort schon viel gelernt! Auch über die Kinder.

Deutsche Außenpolitik in acht Zeilen

Der Sohn ist offenbar Minimalist. Die Hausaufgabe „Deutsche Außenpolitik nach Versailles“ ist ihm acht Zeilen wert, für die „Analyse der Weimarer Verfassung“ benötigt er immerhin zwölf Zeilen. „Freizeitbeschäftigungen im Berlin der Zwanzigerjahre“ bringen es auf stattliche 17 Zeilen. Dabei ist er ein großer Formalist. Einheitliche Dateiformate, systematische Beschriftung, maximaler Überblick für den Lehrer. Zu den acht Zeilen sagt er: „Verlangt war eine halbe Seite handschriftlich. Da ich einen kleinen Schriftgrad genommen habe, war das locker mehr.“ Mal sehen, wie das Zeugnis wird. Er hat die Sache jedenfalls einigermaßen unter Kontrolle.

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Bei den Mädchen sieht das leider anders aus. Auch ich habe gewisse Schwierigkeiten, den Überblick zu behalten. Unglaublich, welcher Grad an Selbstorganisation von den Kindern hier verlangt wird. Online-Unterricht findet nicht statt. Ich bin so froh, dass die Kinder jetzt schon größer sind! Mein Mitgefühl gilt all jenen, die im Lockdown in Etagenwohnungen mit kleinen Kindern eingesperrt waren, ohne Garten, ohne Spielplatz. Ein Vater zweier Kleinkinder sagte mir kürzlich, sie seien zu viert in der Zweizimmerwohnung fast die Wände hochgegangen.

Sie können mehr, als man denkt

Als es hier mal zu viel wurde mit dem Stress, bat ich die 15-Jährige, das Ruder zu übernehmen. Sie war nicht etwa genervt, sondern hocherfreut. Das Ergebnis: Sie machte das Essen für alle und hinterließ eine top aufgeräumte Küche. Bombig! Meine begeisterte Reaktion verriet ihr, dass ich das nicht erwartet hatte. „Du traust mir doch sowieso nichts zu“, bekam ich zu hören. Autsch.

Das habe ich gelernt: Zwar würden die Kinder am liebsten den ganzen Tag gammeln, Netflix gucken und Chips essen, aber sie merken selbst, dass sie dann verwahrlosen. Inzwischen kann auch der Elfjährige Rasen mähen, jedes Kind kann eine warme Mahlzeit zubereiten, und als ich kürzlich unter hohem Zeitdruck schreiben musste, machte mir die Tochter ein paar Rühreier.

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