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Harmonie – nein danke. Elvira Bach lebt seit 1982 in Berlin.

© imago images/Charles Yunck

„Elvira, was ist mit dir?“: Gier zieht die Energie aus den Häusern

Eine Malerin kommt während des Lockdowns auf ungewohnte Gedanken: Isolation Berlin.

Elvira Bach ist Malerin, lebt in Charlottenburg und arbeitet in Kreuzberg. Anfang der 80er Jahre kam sie nach Berlin, zählte zu den Jungen Wilden. Ihre Werke wurden in vielen internationalen Ausstellungen, unter anderem auf der Documenta und im New Yorker Museum of Modern Arts gezeigt. Starke Frauen sind ein häufiges Motiv. In der Stille des Lockdowns tritt sie auf dem blauen Sofa in ihrem Atelier eine Reise an. Elisabeth Binder hat ihre Eindrücke aus dem Lockdown protokolliert.

Ich liege auf meinem Sofa, und das ganze Leben zieht an mir vorbei. Irre ist das. Gedanken kommen, die ich mir vorher nie machen konnte. Plötzlich sehe ich alles mit anderen Augen. Mit neuen Augen. Alles, was ich je gemacht habe, ist wieder da. Alle Bilder, die ich gemalt habe. Und ich staune: Das habe ich wirklich geschafft? Und das auch? Manchmal kommt der Impuls, dass ich Werke verschenken möchte. Einfach nur so, um der Freude willen. Zweckfrei.

Diese Stille gibt mir Gelegenheit, mein Leben noch einmal anders zu betrachten. Man muss etwas erlebt haben, um Künstler zu sein. Das Leben darf nicht nur schön sein. Nicht harmonisch. Dann kann man nichts ausdrücken. Die Welt ist doch grauenhaft. Sie gefällt mir schon lange nicht mehr. Endlich kommen die Menschen zum Nachdenken.

Meine Hoffnung, meine Zuversicht, alles, woran ich glaube, liegt in meinen Bildern. Vielleicht kann ich noch zwei oder drei gute Bilder malen. Im Grunde bin ich froh, dass so etwas wie Corona passiert ist. So konnte es doch einfach nicht weitergehen: Immer höher, schneller, weiter. Alles nur Kommerz – das geht mir schon lange auf den Wecker.

Aus den Räumen in der Nachbarschaft sind alle verschwunden

Mein Atelier ist viel kleiner geworden, dafür ist die Miete viel höher. Ringsum sind alle verschwunden aus den Räumen in der unmittelbaren Nachbarschaft, die Glasmaler, die Holzmanufaktur, die Fotografen, alle weg. Es ist dunkel geworden, wohin ich auch blicke. Keiner weiß mehr, wem das Haus gehört, in dem sich mein Atelier befindet.

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Die Gier zieht die Menschen und die Energie raus aus den Häusern. Das macht mir zu schaffen. Vor Tagen habe ich mich einfach mal in eine Unterführung gelegt. Ich war gut zu sehen, und ich dachte: Es müsste doch jemand anhalten. Ein Auto kam und fuhr vorbei. Niemand hat gefragt: Elvira, was ist mit dir?

Schlimmeres, als ein Kind zu verlieren, gibt es nicht. Das ist das Allerschlimmste. Es ist anstrengend, so dazuliegen und das Leben vorbei ziehen zu lassen. Auf einmal sieht man die Dinge anders. Was man früher nicht wahrgenommen hat, wird plötzlich sichtbar. Für eine Kunstaktion soll ich mich in ein Schaufenster legen. Nackt. Aber so stark bin ich nicht mehr. Ich lege mich in alten Kleidern dorthin.

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