zum Hauptinhalt

Berlin: Elisabeth Schmitt-Walter (Geb. 1927)

„Siehst du, ich habe es auch ohne deine Hilfe geschafft“

„Ich will an die Oper.“ – „Nein. Du bist eine Frau, du heiratest doch sowieso.“ – „Dann gehe ich“, sagte Elisabeth, und ging fort von zu Hause, mit 18.

Mit dem Berufswunsch hatte der Vater kein Problem, Karl Schmitt-Walter war selbst ein berühmter Bariton. Er hätte ebenso reagiert, wäre sie auf die Idee verfallen, Fräulein im Amt zu werden. Entscheidend war das Geld, das er für die Ausbildung aufzubringen hatte, die letztlich für die Katz sein würde. Denn Frauen, davon ging er aus, landeten früher oder später doch am Herd und bei den Kindern. Die drei jüngeren Geschwister Elisabeths, allesamt Jungs, sollten selbstverständlich Berufe erlernen.

Der Vater sah zu Hause ja, wohin ein Frauenleben führte: Kinder, Haushalt, Erledigung der Korrespondenz für ihn. Für anderes blieb seiner Frau gar keine Zeit. Auch Elisabeth besah das Schicksal ihrer Mutter: der Mann beständig unterwegs an den Opernhäusern, hier eine Muse, da eine Geliebte, die Missmutigkeit, der Satz: „Ich kann mich nicht scheiden lassen, mir gehört nicht einmal das Bett, in dem ich schlafe.“

Also ging Elisabeth. Nahm privat Schauspiel- und Stimmbildungsstunden. Hospitierte am Theater. Trat auf. Traf Bertold Brecht und Helene Weigel. Verschwieg das Schmitt in ihrem Nachnamen, um bloß nicht als die „Tochter von“ voranzukommen. Erhielt 1946 ein Engagement in Altenburg. Der Witz allerdings: Sie heiratete schon mit 20, einen Schauspieler und Regisseur. Alle Damen waren hinter Karl Jung-Alsen her. Auch während des Silvesterfestes 1946 / 47. Er drehte sich mit dieser und jener, schaute dieser und jener ins glücklich erhitzte Gesicht. Und wandte sich dann Elisabeth zu: „Na, Fräulein Walter, wollen wir nicht auch einmal das Tanzbein schwingen?“ Sie wollte, und mitten im Schwange fragte er: „Wollen Sie mich heiraten?“

Sie liebten sich und sprachen über die Stücke. Er half ihr, dieses Lampenfieber ein wenig zu überwinden, von dem sie viel später noch, da sie längst nicht mehr am Theater war, in ihren Träumen heimgesucht wurde: Sie steht dort oben vor den Zuschauern da unten und hat den kompletten Text vergessen. Er beruhigte sie und sah dann, mit welcher Konzentration sie spielte, ihre „Mutter Courage“: ein Ereignis. „Auf der Bühne“, erzählt ihr Sohn, „verwandelte sie sich total. Ganz im Sinne Brechts. Ein Verfremdungseffekt, der sich gewaschen hatte.“ Indessen schwebte dem Frauenschwarm eine offene Beziehung vor. Elisabeth nicht. Sie ließen sich scheiden, jedoch ohne Feindseligkeit.

Sie schrieb eine Adaption des „Gestiefelten Katers“, eines der meistgespielten Kinderstücke damals in der DDR: Die Prinzessin darin eine Frau, die nicht heiraten will, schon gar nicht, weil ihr Vater es wünscht.

Sie spielte Shakespeares Julia und Hauptmanns Mutter Wolffen. Sie begegnete am Theater in Leipzig Helmut. Auch Helmut war Schauspieler und Regisseur, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Er folgte Elisabeth nach Münster, wo sie ein Engagement hatte, und begann, Philosophie zu studieren. Er schrieb an seiner Doktorarbeit, sie spielte. Noch im achten Schwangerschaftsmonat gab sie in Basel, in Gorkis „Wassa Schelesnowa“, die Revolutionärin Rachel und brachte kurz darauf ihren Sohn Max zur Welt. Bald spielte sie weiter und stillte Max in der Garderobe. Da saß sie dann, die Königin der Nacht, und gab ihrem Sohn die Brust.

Eine moderne Frau, die das Geld verdient, während der Mann das Kind hütet. Siehst du, dachte sie, ich habe es auch ohne deine Hilfe geschafft.

Und das war ja noch nicht alles.

Ab 1970 wirkte sie nicht mehr in festen Ensembles und nahm längere Gast-Engagements in Berlin an, die Familie zog um in ihre Kindheitsstadt. Zu dieser Zeit schon hatte sie begonnen, sprach- und lernbehinderte Schüler zu unterrichten, wurde Sprecherzieherin, ohne Studium und Ausbildung. Füllte folglich den Erzieherinnenberuf ganz und gar unkonventionell aus. Waren andere, professionelle Pädagogen, kurz davor, angesichts besonders renitenter Schüler, die Nerven zu verlieren, beruhigte sie die Kinder. Ein kleiner, wilder Junge bringt partout kein sauberes „sch“ heraus? Dann werfen wir eben einen Ball hin und her, da kann er sich bewegen, und währenddessen rufen wir uns nicht zum hundertsten Mal „Frosch“ oder „Schule“ zu, sondern auch mal „Scheiße“.

Ende der 70er Jahre erhielt sie einen Lehrauftrag an der Technischen Universität, dann an der Universität der Künste, wo sie Schauspielern Sprechunterricht erteilte. 1982 war sie die erste Frau an der UdK mit C3-Professur.

Und sie spielte weiter, Shakespeare, Lessing, Tschechow und Brecht, vor allem den. Aber auch das Neue entging ihr nicht, ob im Theater, in der Musik oder der Bildenden Kunst. In einer Konzeptausstellung in Barcelona stand sie, schon über 80, mit ihrem Sohn vor ein paar Haufen gestapelter Holzscheite. Wo andere sich kopfschüttelnd abwandten, reihte sie Assoziationen aneinander. Mit fast 90 verkündete sie: „Ich kauf mir ein iPhone.“ – „Du hast doch ein Telefon.“ – „Ja, aber ich möchte bei Whatsapp mitmachen.“ Und über allzu unbewegliche Frauen ihrer Generation: „Mit den alten Weibern will ich nichts zu tun haben. Die reden nur über Krankheiten.“ Ging weiter ins Theater. Las ihre englischen Krimis im Original. Flog zu ihrem Sohn nach Spanien. Dort auch, in den Bergen, wo sie so gern saß, liegt sie jetzt begraben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false