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In Madrid oder Paris gibt es schon hunderte Leihroller, hierzulande sollen sie bald erlaubt werden.

© Reuters

Elektrokleinstfahrzeuge: Helmpflicht für Fußgänger?

Das Zulassen von Fahrzeugen für den Gehweg wäre ein verheerendes Signal - und ein Angriff auf die soziale Gerechtigkeit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Hönicke

Nicht alles, was wie ein Fortschritt aussieht, ist auch einer. Als zukunftsgewandt feiert das Bundesverkehrsministerium sein Bestreben, "Elektrokleinstfahrzeuge" ab Frühjahr 2019 für Rad- und Fußwege freizugeben. Während man über E-Roller auf Radwegen zumindest reden könnte, wenn diese denn endlich mal vernünftig angelegt würden, wäre das Zulassen von Fahrzeugen für den Gehweg ein weiterer Sargnagel in das Konzept der lebenswerten Innenstadt.

Dort, wo es keine Einfamilienhäuser mit Gärten gibt, wo stattdessen die Wohnungen immer teurer und kleiner werden, sind die Menschen darauf angewiesen, einen beträchtlichen Teil ihrer sozialen Existenz auf öffentlichen Räumen wie Gehwegen und Plätzen auszuleben. Genau dieser Raum wird ihnen von den Herstellern von Elektrofahrzeugen streitig gemacht, und das Verkehrsministerium will ihm nachgeben. Ein verheerendes Signal. Was soll denn "nachhaltig" daran sein, ausgerechnet die umweltfreundlichste Bewegungsart überhaupt in Bedrängnis zu bringen?

Kein glaubwürdiger Beitrag zur Verkehrswende

Die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung ist in ihrer beabsichtigten Ausgestaltung auch kein glaubwürdiger Beitrag zur proklamierten Verkehrswende. Dann müsste man den benötigten Platz von dem Verkehrsträger nehmen, den man einschränken möchte. Doch ans Auto traut sich das Verkehrsministerium nicht heran, es sei "nicht hinnehmbar", den Parkdruck noch weiter zu erhöhen. Stattdessen werden die Verkehrsarten weiter unter Druck gesetzt, die doch eigentlich die Verkehrswende auf ihrem Rücken tragen sollen - bigotter geht es kaum.

Müssen Fußgänger also bald schon Helme tragen, wenn sie den Bürgersteig betreten wollen? Auf jeden Fall würden sie künftig auch in ihrem eigenen Lebensraum dem ständigen Risiko eines Verkehrsunfalls ausgesetzt. Mancher mag elektrische Roller und Skateboards auf dem Gehweg als Spielzeug belächeln. Doch sie sind in letzter Konsequenz Motorfahrzeuge, die dort nicht hingehören. Das Verkehrsministerium sieht das anders - und weckt so weitere Begehrlichkeiten, die Logistikbranche etwa hat ihre Lieferroboter schon in Stellung gebracht. So droht das Recht des Fahrens in den letzten Rückzugsraum von jenen zu dringen, die besonders aufs Laufen angewiesen sind: Kinder, Alte, Schwache, Arme. Die würden weiter an den Rand gedrängt. Aus dem Weg, hier fahre ich, ich kann es mir leisten!

Bisher ist der Gehweg ein egalitärer Ort, jeder ist hier gleich. Besonders problematisch ist vor diesem Hintergrund die geplante pauschale Ausnahme für kommerzielle Anbieter wie Touristenführungen per E-Roller auf Gehwegen. Wenn wenige Auserwählte künftig dem gemeinen Pöbel per Roller auf den Leib rücken, ist das mehr als eine Verkehrsfrage. Es ist ein Angriff auf die soziale Gerechtigkeit.

Das darf nicht sein. Die Stadtgesellschaft muss sich gegen Fahrzeuge auf dem Gehweg zur Wehr setzen - um ihrer selbst willen.

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