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Da war die Welt noch in Ordnung. Paolo Savaris inmitten von Freunden aus New Jersey, die er regelmäßig zum CSD-Umzug einlädt.

© privat

Eisdiele am Nollendorfplatz: Bitterer Beigeschmack

Eigentlich will Paolo Savaris nur Eis am Nollendorfplatz verkaufen. Doch dann hat er ein lesbisches Paar vertrieben – und seitdem mächtig Ärger.

Die Sitzecke vor Paolo Savaris’ Eisdiele „Dolce Freddo“ ist sein größter Stolz. Ohne Nägel und Schrauben gezimmert, tief im Boden verankert. Schilder weisen darauf hin, dass es verboten ist, darauf irgendetwas außer Eis zu essen. Es ist auch verboten, Vögel zu füttern oder Fahrräder anzuschließen. Und erst recht, wild herumzuknutschen. Sonst gibt es Ärger mit Savaris. Und es läuft vielleicht wieder ab wie Anfang Mai 2009. Damals erhielt die Sitzecke in Schöneberg bundesweite Aufmerksamkeit. Savaris hat dort zwei Lesben das Küssen verboten. Die Situation eskalierte und droht heute seine Existenz zu zerstören.

Die zwei Frauen sagen in einem Youtubevideo: „Wir haben uns einen schnellen Kuss gegeben.“ Paolo Savaris, 47 Jahre alt, sagt: „Und dann sind die Hände hingewandert, wo sie in der Öffentlichkeit nicht hingehören. Ich gehe ja auch nicht in ein Restaurant, um dort Sex zu haben.“

Weitere Homosexuelle meldeten, dass sie von Savaris angegangen wurden. Der Öffentlichkeit war schnell klar: Paolo Savaris ist homophob. Es gibt in diesem Kiez kaum eine schlimmere Brandmarke.

Savaris hat aufgehört, die Hassmails und verbalen Attacken zu zählen. Was ihn besonders hart traf, sammelte er in einem Schuhkarton. Darauf steht mit Edding geschrieben: „La Grande Guerra“ – Der große Krieg. Im Schuhkarton liegen Zeitungsartikel, in denen es um den mutmaßlich schwulenfeindlichen Eishändler aus Schöneberg geht.

Eine Woche nach dem Vorfall verabredeten sich 1000 Menschen zum „Kiss-In“ vor dem Laden. Savaris kann noch genau zeigen, wo auf seiner Sitzecke er stand, um Gehör zu finden. Ein Video zeigt die Szene. Savaris versucht die Vorwürfe zu entkräften, die Menge brüllt, buht, pfeift ihn nieder. Als die Polizei empfiehlt, seinen Laden zu schließen, sperrt er sich ein, dunkelt alles ab, tigert im Kreis.

2011 war Savaris’ 27. Saison am Nollendorfplatz. Und seine schlechteste. „Nach dem Vorfall hatten wir 40 Prozent Einbußen. Es wird immer schlimmer“, sagt er. Nachbarn berichten, dass man bei Dolce Freddo früher zehn Minuten auf ein Eis habe warten müssen. Heute steht nur noch selten jemand vor der Theke. „Ich werde von Passanten angeguckt, als hätte ich jemanden umgebracht“, sagt Savaris. In den letzten Jahren seien viele Homosexuelle gekommen, um mit Intimitäten zu provozieren. Er habe freundlich reagiert. Bastian Finke vom schwulen Überfalltelefon von Maneo bestätigt: „Uns sind seitdem keine weiteren Fälle bekannt.“

Paolo Savaris vor seiner Eisdiele.
Paolo Savaris vor seiner Eisdiele.

© Mike Wolff

Die Pizzeria neben dem Dolce Freddo hieß früher Dolce Pizza und wäre deshalb beinahe mit in den Konflikt gerutscht. Jörg Brockmann, bis vergangenen August noch Betreiber des Imbisses, sagt: „Ich bin froh, dass ich da raus bin. Savaris ist ein aufbrausender Typ und muss immer alles unter Kontrolle haben.“ Homophob aber, nein, das sei Savaris nicht.

Das sagt auch Meik-Eugen Kurz, der seit elf Jahren neben Savaris’ Eisdiele arbeitet, und seit 21 Jahren bei ihm Eis kauft. Er sagt: „Ich gehe immer mit meinem Partner händchenhaltend hin. Savaris begrüßt uns mit ,Ciao Bellos’.“ Gegenüber den zwei Frauen habe Savaris nur sein Hausrecht ausgeübt. „Wir schicken auch Leute weg, wenn sie sich vor unserem Laden die Zehennägel reinigen wollen. Toleranz ist wichtig, aber man muss anderen nicht aufs Auge drücken, was sie nicht sehen wollen.“ Auch weitere Homosexuelle aus der Maaßenstraße kommen gut mit Savaris klar, wollen aber nicht reden, weil sie fürchten, dass die Kundschaft ausbleibt, sollten sie ihn in Schutz nehmen.

Paolo Savaris trägt eine Art Bomberjacke, darunter ein weit geöffnetes Hemd. „Ciao Bella“ ruft er einer Passantin zu. Mit 19 Jahren ist der Norditaliener in den Kiez am Nollendorfplatz gezogen. „Wenn ich etwas gegen Schwule und Lesben hätte, wäre ich keine 30 Minuten geblieben.“

Ob homophob oder nicht, Savaris macht sich mit seiner Art nicht immer nur Freunde. Er sagt auch „Kauf doch woanders“, wenn jemandem das Eis zu klein ist, fragt: „Habt ihr kein Zuhause“, wenn am Tresen geknutscht wird. Er trägt ein Mussolini-Feuerzeug mit sich herum, weil man so etwas in Italien lustig finde. Die Sitzecke, auf der er die Mädchen zur Räson gerufen hat, verteidigt er wie ein Kleingärtner. Die Verbotsschilder hat er sich von den Deutschen abgeguckt. Sie zeigen seine Hilflosigkeit, Herr über den öffentlich genutzten Raum zu werden, der eigentlich seiner ist. Martin Schwarzbeck

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