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Die US-Firma Ben and Jerry's und Sea-Watch e.V. machen gemeinsame Sache. Ihr Ziel: dass Berlin mehr Geflüchtete aufnimmt.

© Lena Heckl Fotografie

Eiscreme für die Seenotrettung, Hafermilch fürs Klima: Warum Firmen zu Aktivisten werden

Viele Unternehmen legen Wert auf soziale Kampagnen. In Berlin macht Ben & Jerry’s gemeinsame Sache mit Sea-Watch. Warum tun Firmen das - und warum machen NGOs mit?

Was haben Eiscreme und Seenotrettung gemeinsam? Etliche Berliner dürften sich diese Frage gestellt haben, als sie im Juni durch ihre Social-Media-Feeds scrollten. Der Eishersteller Ben & Jerry’s lancierte in Berlin eine ungewöhnliche Kampagne: „Berlin, zeig deine Menschlichkeit“ steht etwa auf der Unternehmens-Website, „Hilf den Menschen in Moria!“ wird als Werbung in Berliner und Brandenburger Twitter-Accounts eingestreut. 

Teilweise sind die Forderungen in das Corporate Design der Firma eingebettet: im Comic-Stil gezeichnete Kühe vor himmelblauem Hintergrund. Wie kommt es, dass ein US-Unternehmen an den Berliner Senat appelliert, Flüchtlinge aus den überfüllten Lagern in Griechenland aufzunehmen? 

Was auf den ersten Blick nach einer Imagekampagne mit politischem Anstrich aussieht, ist ein Beispiel dafür, dass Unternehmen sich zunehmend als politische Akteure sehen und das auch zeigen wollen. „Wir haben eine Verantwortung für die Gesellschaft, in der wir leben“, fasst Nils Knoop die Motivation zusammen. Er ist bei Ben and Jerry’s für Integrated Marketing und Communications im deutschsprachigen Raum verantwortlich. 

Der Eishersteller setzt sich seit seiner Gründung 1978 auch für soziale Belange ein, zuletzt etwa mit Kampagnen gegen Rassismus, Homophobie und für den Klimaschutz. Um das umzusetzen, beschäftigt Ben & Jerry’s im deutschsprachigen Raum ein kleines Team, zwei Mitarbeiter davon nennt er „social activists“. Sie sollen die soziale Mission des Unternehmens vorantreiben. „Wir gucken: Wo gibt es Ungerechtigkeiten und wo können wir eingreifen und was verändern?“, sagt Knoop.

Jan Dirk Kemming, Professor für Medienmanagement und Kommunikation an der Hochschule Fresenius und Chief Creative Officer bei Weber Shandwick, sagt, der Zweck solcher Kampagnen gehe über Marketing weit hinaus: „Marken verstehen sich zunehmend als zivilgesellschaftliche Akteure.“ Dieser aus den USA stammende Trend, zu dem er forscht, habe sich verstärkt, seit Trump Präsident ist, und sei nach Deutschland übergeschwappt. Unternehmen, so erklärt es Kemming, träten zunehmend als „gute Bürger“ auf.

Marketing auf dem Rücken von Aktivisten?

Etwas grobschlächtiger als Ben & Jerry's ging kürzlich die Berliner Kondomfirma Einhorn vor. Am 12. Juni hätte im Olympiastadion das von ihr initiierte „Festival der Demokratie“ stattfinden sollen. Mindestens 60 000 Menschen sollten dort Petitionen unterzeichnen, Ticketpreis: 29,95 Euro. Es hagelte Kritik. Der Ticketpreis sei zu hoch, manche vermuteten einen Marketingcoup auf dem Rücken der Klimabewegung. 

Das Festival fiel wegen Corona aus, Einhorn aber hatte sich ins Gespräch gebracht. Und der schwedische Hafermilchhersteller „Oatly“ plakatierte vergangenes Jahr großformatig in der Berliner Innenstadt die Aufforderung, eine Petition zu unterzeichnen, damit auf Lebensmittelverpackungen der CO2-Fußabdruck angegeben werden muss.

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Dass sich die richtige Haltung im richtigen Moment auch finanziell lohnen kann, ist klar. Eine Civey-Umfrage für ein von Kemming mitherausgegebenes Buch hat 2019 ergeben, dass jeder zweite Deutsche es begrüße, wenn Unternehmen politisch Haltung zeigen. 

Knoop von Ben & Jerry’s streitet nicht ab, dass es auch gut für den Umsatz sein kann, Position zu beziehen: „Wir glauben daran, dass die Leute darauf achten, welche Werte Unternehmen vertreten – und bevorzugt bei diesen kaufen.“ Das sei aber nicht die treibende Kraft hinter den Kampagnen, betont er. Für seine Aktivitäten setzt Ben & Jerry’s auf den Austausch mit Aktivisten. 

Nils Knoop von Ben and Jerry's.
Nils Knoop von Ben and Jerry's.

© promo

Für die Flüchtlingshilfe-Kampagne kooperiert Ben & Jerry’s mit dem Seenotrettungsverein Sea-Watch und der Initiative #LeaveNoOneBehind, die sich für die coronabedingte Evakuierung der Flüchtlingscamps einsetzt. Vor fast zwei Jahren habe man sich erstmals mit Sea-Watch über Kooperationsmöglichkeiten ausgetauscht – ein loser Kontakt, der sich über die Zeit gefestigt habe.

Sea-Watch: "Die Zusammenarbeit warf anfangs natürlich fragen auf"

„Die Zusammenarbeit mit einem Unternehmen wie B & J warf anfangs natürlich Fragen auf“, sagt Doreen Johann von Sea-Watch. Jedoch engagiere sich die Firma schon lange für Projekte, die den Zielen von Sea-Watch nahestehen. Außerdem agiere man auf Augenhöhe, Sea-Watch werde „unterstützt, aber nicht bevormundet oder inhaltlich beeinflusst“. 

Mit Rettungsschiffen wie der "Sea-Watch 3", hier vor der Küste Libyens, rettet die NGO Sea-Watch in Eigenregie Geflüchtete.
Mit Rettungsschiffen wie der "Sea-Watch 3", hier vor der Küste Libyens, rettet die NGO Sea-Watch in Eigenregie Geflüchtete.

© Sea Watch e.V./dpa

Daran, dass die Eisfirma zum multinationalen Konzern Unilever gehört, der immer wieder für ausbeuterische Lieferketten und umweltschädliche Praktiken in der Kritik stand, lasse sich „legitime Kritik üben“, sagt die Sea-Watch-Sprecherin. Doch man sei davon überzeugt, ein gemeinsames politisches Ziel zu verfolgen. Geld vom Unternehmen in Richtung des Vereins oder umgekehrt fließe dabei nicht, wie sowohl Ben and Jerry’s als auch Sea-Watch bestätigt. „Unser gemeinsames Ziel ist es, das Thema auf die Agenda zu bringen“, sagt Knoop. 

Die Expertise der Initiativen sei dafür unerlässlich: „Wir würden so eine Kampagne niemals ohne NGO-Partner machen.“ Nur so sei auch die strategische Entscheidung zustande gekommen, die Kampagne in Berlin umzusetzen: „Das Berliner Parlament stand sehr kurz davor, ein Landesaufnahmeprogramm zu beschließen. Und unser Budget war begrenzt. Deshalb haben wir uns gefragt: Wo können wir den größten Einfluss nehmen?“ 

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Inzwischen hat der Senat ein Landesaufnahmeprogramm für 300 Menschen beschlossen, das Bundesinnenministerium muss aber zustimmen. Die Kampagne soll sich nun auf andere Bundesländer konzentrieren.

Wissenschaftler: "Transparenter als Lobbyismus"

Die Gefahr, dass der Eindruck entstehe, der Konzern betreibe Greenwashing mithilfe von Aktivisten, sieht der Wissenschaftler Kemming in diesem Fall nicht: „Die Grenze verläuft bei der Glaubwürdigkeit“, die sei hier gegeben. Ben & Jerry’s, das sich seit 2015 für Geflüchtete engagiert, trete stets „sehr glaubwürdig“ auf, sei ein „absoluter Extremfall“. Kemming sagt: „In seinen Kampagnen ist Ben and Jerry’s kaum noch von einer NGO zu unterscheiden.“

Das Ben-and-Jerry's-Logo mag auf der Sea-Watch-Website etwas deplatziert wirken. Doch sind Kampagnen dieser Art verwerflich? „Ich finde nach Prüfung aller relevanten Kriterien nichts, was dagegenspricht, dass Marken als politische Akteure auftreten“, sagt Kemming. 

Aktivitäten dieser Art seien transparenter als Lobbyismus, den Unternehmen jahrelang betreiben – von dem der Verbraucher aber nur selten etwas mitbekomme. Lediglich wenn ein Unternehmen dabei falsche Tatsachen vortäusche oder stark manipulativ agiere, sei das problematisch. Für die Unternehmen können die Einmischungen auch Risiken bergen. „Die Öffentlichkeit sanktioniert unglaubwürdiges Verhalten“, sagt Kemming.

Politische Kampagnen können auch schiefgehen - bei BP klafften das beworbene Image und die Wirklichkeit zu weit auseinander

Schief ging es etwa, als BP versuchte, sich das Image eines nachhaltigen Konzerns anzueignen. 1998 benannte sich die Firma sogar um. Aus „British Petroleum“ wurde „Beyond Petroleum“. Zwei Jahre später strömte Öl aus der „Deepwater Horizon“ in den Golf von Mexiko – einer von BP geleasten Bohrplattform. Das gesuchte nachhaltige Image und die ölverseuchte Wirklichkeit lagen in diesem Fall zu weit auseinander. 

Ein zweites Risiko ist das, Kunden zu verprellen, denen die politische Botschaft nicht gefällt. Das werde laut Kemming vorab kalkuliert: "Jede professionelle Kommunikationsabteilung wird diesbezüglich Risikoabwägungen anstellen.“ Ein Unternehmen kann demnach etwa in Kauf nehmen, bestimmte Teile der Kundschaft abzuschrecken.

Für Ben & Jerry’s jedenfalls scheint es kein Problem zu sein, Kunden zu verlieren, die nicht mit der Botschaft einverstanden seien. „Wenn wir keine Kommentare aus dem rechten Lager bekommen, haben wir irgendetwas falsch gemacht“, sagt Knoop.

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