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Nicht von der Stange. Crossfit ist ein Mix aus verschiedenen Sport- und Fitnessarten. Zum Trainieren werden herkömmliche Geräte benutzt, aber auch Lkw-Reifen. Das Anfeuern ist ein Muss.

© Paul Zinken

Einmal anbrüllen, bitte: Thrill und Drill statt Fitnessstudio

Training im Sportstudio ist oftmals öde. Viele Berliner trainieren deshalb im Fitness Bootcamp oder im Park bei Schnee und Eis.

Ilias schnauft, mit letzter Kraft spannt er die Muskeln an, dann muss er sich doch fallen lassen von der Eisenstange. Neben ihm reißt Janosch seinen Körper hoch, als wäre es das Einfachste überhaupt. 20, 21, fertig. Nach den Klimmzügen schnappen sich beide je einen zehn Kilo schweren Basketball und machen eine Kniebeuge und werfen den Ball hoch an die Wand, 21 Mal. Danach geht es wieder an die Stange, diesmal muss die Kraft nur für 15 Klimmzüge reichen, im nächsten und letzten Durchgang für neun. Trainer Florian steht mit der Stoppuhr daneben und feuert die beiden an, im Hintergrund scheppert Rockmusik.

Ilias und Janosch betreiben die junge Sportart Crossfit, ein Kraft- und Ausdauertraining mithilfe von Alltagsgegenständen und Sportgeräten. Es ist eine Mischung aus Turnen und Fitnessstudio. Mehrmals wöchentlich treffen sie sich in einem 60-Quadratmeter-Raum in Schöneberg. In der Ecke liegen alte Lkw-Reifen, hängen Springseile, am Rand liegen Hanteln. Wer hier herkommt, hat keine Lust, in normalen Fitnessstudios zu trainieren. „Ich kann mich hier viel besser auspowern und bin mit Leuten zusammen, die mich anfeuern“, sagt die 27-jährige Anne aus Wilmersdorf. Hier erhalte sie ein ganz anderes Körpergefühl.

Mit Crossfit liegen Anne, Ilias und Janosch im Trend, den die Senatsverwaltung für Sport schon vor Jahren festgestellt hatte: Immer mehr Berliner wenden sich ab vom herkömmlichen organisierten Sportangebot, treffen sich in Parks, in gemieteten Räumen, nutzen kleine kommerzielle Angebote oder Personal Trainer, um sich fit zu halten. Drei Viertel der Sportaktivitäten fallen laut der Studie in die Kategorien „Ausdauer/Outdoor“ und „Gesundheit/Fitness“.

„Wir beobachten einen Individualisierungstrend“, sagt Sportsoziologe Stefan Hansen von der Humboldt-Universität. „Die Menschen suchen nach dem Besonderen, womit sie sich und ihre Identität darstellen können und sich von der Masse abheben.“ Zwar verstünden sich auch immer mehr große Vereine als Dienstleister, sie arbeiteten professioneller und kooperierten mit Sportwissenschaftlern, sagt Hansen. Dennoch hätten Vereine oft ein altbackenes Image und könnten sich aufgrund der ehrenamtlichen Struktur nur langsam ändern und Trends aufgreifen. Deshalb trainierten viele nicht mehr in der Mannschaft, sondern flexibel mit eigener Zeiteinteilung – ob Ultramarathon im Grunewald, Mountainbiking in den Müggelbergen oder Langlauf auf dem Tempelhofer Feld.

Dementsprechend groß ist das Angebot in der Stadt. Selbst bei Schnee findet das Fitness-Bootcamp von Katrin Hentschel statt. Die Trainerin verpasst den Sportlern ein Ganzkörper-Workout. Statt an Hantelbänken und Ergometern lässt sie an Parkbänken, Baumstämmen, Treppen und auf Wiesen trainieren. „Ausdauerspiele bringen den Puls ordentlich auf Trab, anschließende Kraftübungen lassen die Muskeln brennen“, sagt Hentschel. Vom militärischen Drill, wie ihn der Name Bootcamp vermuten lässt, ist im Tiergarten nichts zu spüren. Kein Anbrüllen, kein Robben durch den Dreck. Das Ziel sei, Fitness und Durchhaltevermögen zu steigern und Höchstleistungen zu erreichen, sagt Hentschel.

Darum geht es auch Florian Haseloff. der seit Ende vergangenen Jahres Crossfit in Schöneberg anbietet. Er guckt sich seine Kunden an, korrigiert selbst die Haltung einzelner Finger. Die Übungen sind skalierbar, also an das Können der Einzelnen anpassbar. Wer beispielsweise keine Klimmzüge kann, macht eben erst mal etwas Leichteres. Mittlerweile ist es kurz vor 19 Uhr, die Tür zu dem kleinen Raum in der Malzfabrik geht auf, die nächste Gruppe kommt. Janosch und Ilias sind fertig mit dem Workout. Florian schreibt an die Wand, wie lange sie gebraucht haben, alles soll vergleichbar sein. „Ich fühl’ mich total kaputt“, sagt Ilias, „aber gut.“

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