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Sitzen, damit es weitergeht: Mitglieder der "Letzten Generation" bei einem Protest am 6. Juli in Berlin.

© Reuters/Christian Mang

Eine Verteidigung der „Letzten Generation“: Die Blockierer bringen uns weiter

Jeden Tag aufs Neue erregen die Klima-Aktivisten die Gemüter. Warum ihr Protest dennoch legitim ist – und wie die Politik reagieren sollte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Adrian Schulz

Ein Kulturkampf war es, der sich da ums Auto abspielte. Psychologen verzeichneten bei Gesprächen über das Thema „starke latente Spannungen, unausgetragene Konflikte, affektive Verfestigungen und Bereitschaft zu kämpferischen Auseinandersetzungen“. Ein „Spiegel“-Titel behauptete gar, die Fahrer würden „gefesselt“. Die Rede ist von der Anschnallpflicht. Sie wurde 1976 eingeführt und rettet bis heute Leben.

Als Autofahrer hat man es auch dieser Tage nicht leicht – vor allem in Berlin. Fast täglich fesseln einen die Aktivisten der „Letzten Generation“ durch ihre Blockaden im Stau. Und dann stellen sich Lokalpolitikerinnen wie die Friedrichshainer Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann auch noch auf die Seite der Blockierer!

Die Proteste sind, wie man neudeutsch sagt: umstritten. Das ist gut so. Und das muss so sein. Sogar manchen „Fridays for Future“-Mitgliedern geht der Ungehorsam ihrer radikalen Verwandtschaft zu weit. In einem internen Positionspapier kritisierten sie deren „erpresserischen Ansatz“. Das spricht vielen Autofahrern aus der Seele.

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Entschiedener Klimaschutz hilft auch Autofahrern

Aber politisches Handeln ist immer konfrontativ. So funktioniert die Gesellschaft: In ihr gibt es Zielkonflikte. Und so funktioniert der Planet: Er lässt uns keine Wahl. Sachzwänge – von denen sprechen vor allem Konservative doch sonst so gerne.

Würde der Staat die Freiheit des Marktes nicht durch Steuern beschränken, könnte er zum Beispiel keine Straßen bauen. Und soll er verhindern, dass die Erde, wie der UN-Klimabericht vorhersagt, sich um 2,7 Grad erwärmt, ja dass bald ganz Brandenburg abfackelt: Dann muss dieser Staat, dessen „Ampel“ notorisch auf Gelb steht, mit aller Macht daran erinnert werden, dass wir einen entschiedenen Klimaschutz brauchen. Der hilft auch Autofahrern.

[Lesen Sie auch: Sind Gruppen wie Letzte Generation zu radikal? „Protest muss nicht immer rechtmäßig sein“ (T+)]

Falsche Verzagtheit beim Protestieren ist eine deutsche Malaise. In Frankreich gehört die persönliche Auseinandersetzung zur selbstverständlichen Bürgerpflicht, Straßenblockaden sind dafür ein übliches Mittel. Schauen wir in den Bundestag: Üben sich die Auto-Lobbyisten dort etwa in Zurückhaltung?

Die Aktivisten handeln nicht aus Leichtsinn

Die „Letzte Generation“ zeigt Zivilcourage. Sie transformiert die Straße vom Schauplatz bloß symbolischer Proteste zu einem Ort glutheiß geführten Streits; zu einem Ort, an dem es konkret unbequem wird; und zwar in erster Linie für die Aktivisten selbst. Sie handeln nicht aus Spaß und nicht aus Leichtsinn. Ihre Arbeit ist bitter nötig.

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Die Aufregung vieler Autofahrer ist verständlich. Warum also nehmen Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Innensenatorin Iris Spranger sie nicht ernst? Statt härtere Strafen für die Blockierer zu fordern, sollten sie sich für ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket stark machen – oder einen kostenlosen Nahverkehr.

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