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DW enteignen: Von den rund 175.000 benötigten Unterschriften waren Ende März nach Angaben der Initiative knapp 50.000 gesammelt worden.

© Monika Skolimowska/zb/dpa

Update

Eine Stadtforscherin und zwei Juristen für die Expertenkommission: Warum die Personalauswahl der Berliner Enteignungsinitiative überrascht

„Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat am Mittwoch drei Expert:innen für die Kommission zur Umsetzung des Volksentscheids benannt. Die Auswahl ist umstritten.

Sie machen mit: Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat am Mittwoch drei Expert:innen für die Kommission zur Umsetzung des Volksentscheids benannt. Diese sollen für die Initiator:innen des erfolgreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ am Expertengremium des Berliner Senats teilnehmen. Geprüft wird, wie eine Vergesellschaftung aller Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen umsetzbar wäre.

Im Auftrag der Aktivist:innen in die Senats-Kommission gehen soll Anna Katharina Mangold, Professorin für Europäisches Recht an der Europa-Universität Flensburg. Außerdem Tim Wihl, seit April 2022 Vertretungsprofessor für Öffentliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Universität Erfurt. Die dritte Vertreterin von „DW & Co enteignen“ ist Susanne Heeg, Professorin für Geographische Stadtforschung am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Die Initiative hatte zunächst offengelassen, ob sie sich an der Expertenkommission des Senats beteiligt. Erst am Dienstagabend hatte das „Plenum“ der Initiative, unter Beteiligung von 200 Aktivist:innen, die Entscheidung zugunsten der Teilnahme getroffen.

„Reingehen und das Beste dabei rausholen“, sagte Sprecher Moheb Shafaqyar zu der Stimmungslage – auch wenn die Initiative „nicht glücklich“ sei mit der Idee einer Kommission. Aus ihrer Sicht ist dort eine Grundsatzdebatte zu erwarten über die Anwendbarkeit des Artikels 15 im Grundgesetz. Das verzögere die Umsetzung Volksentscheids. Etwas mehr als eine Million Berliner:innen hatte mit Ja gestimmt, das waren 57,6 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Allerdings war von Teilnehmer:innen der Runde am Dienstagabend zu hören, dass der Streit um eine Beteiligung in der Expertenkommission eine eher untergeordnete Rolle gespielt habe. Der Beschluss zugunsten der Entsendung der „eigenen“ drei Experten fiel wohl mit großer Mehrheit. Heftig umstritten sei indes die Zusammensetzung des Trios gewesen. Mit zwei Juristen und einer Stadtgeografin, allesamt nicht aus Berlin, und vor allem ohne ein Mitglied der Volksinitiative oder Kenner des Berliner Wohnungsmarktes habe die Initiative keinen direkten Einfluss auf die Kommission mehr, kritisierten Teilnehmer an dem Plenum.

Die Wahl von zwei Verfassungsrechtlern ist überraschend

Überraschend ist die Wahl von gleich zwei Juristen mit Expertise im Verfassungsrecht auch deshalb, weil Initiativen-Vertreter in der Gründungsphase der Kommission wiederholt Kritik an den vielen, etwa von der SPD entsandten, Verfassungsrechtlern in dem Gremium geübt hatten. Zu der Grundsatzfrage, ob eine Vergesellschaftung der Immobilien von Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen zulässig wäre, lägen bereits zahllose Rechtsgutachten führender Jurist:innen vor sowie von der Rechtsabteilung des Abgeordnetenhauses, hatte es geheißen. Die einen bejahen, die anderen verneinen diese Frage – alle denkbaren Argumente lägen aber dadurch auf dem Tisch.

Und „die juristische Auseinandersetzung wird nichts daran ändern, dass eine politische Entscheidung am Ende getroffen werden muss, durch den Senat und das Abgeordnetenhaus“, sagte die Sprecherin der Initiative, Veza Clute-Simon. Zumal „die Berliner“ schon entschieden hätten, nämlich zugunsten der Vergesellschaftung, so Sprecherin Isabella Rogner.

„Erwartungsgemäß nichts Konstruktives zur Arbeit der Expertenkommission trägt die Initiative mit ihren Personalvorschlägen bei“, kritisierte Björn Jotzo, Sprecher für Mieten und Stadtentwicklung der FDP-Fraktion. Die drei Experten hätten bereits falsch gelegen im Fall des Mietendeckels, den Berlin eingesetzt hatte und der später vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden war. Die Entscheidung des Senats, die Expertenkommission auch mit Experten der Initiative zu besetzen, sei falsch gewesen.

Die erste Sitzung der Kommission ist für Ende April geplant

Dagegen freute sich der mietenpolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Niklas Schenker, sehr über die Entscheidung der Initiative, sich an der Kommission zu beteiligen. Diese habe „wie kein anderer Akteur eine hohe Expertise in Sachen Vergesellschaftung erarbeitet“.

Tim Wihl, einer der drei Auserwählten der Initiative, hatte auf einer Diskussion mit Senatsvertretern deutlich gemacht, dass eine Vergesellschaftung als „zweite Option des Staates“ bestehe, neben dem privatwirtschaftlich geprägten Kapitalismus. Der Artikel 15 sei in das Grundgesetz gelangt aus der Überzeugung der Alliierten sowie aller Parteien – mit Ausnahme der FDP –, dass private Monopole eine unheilvolle Rolle am Ende der Weimarer Republik gespielt hätten und Hitlers Aufstieg so begünstigt hätten.

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Die SPD habe den Artikel ins Grundgesetz gebracht, auch wenn von diesem Erbe „heute nichts mehr erkennbar“ sei in der Partei. Eine Vergesellschaftung von Banken sei „im Umfeld der Finanzkrise 2008“ diskutiert worden, sagte Wihl.

Mit Spannung wird nun die erste Sitzung der Kommission erwartet, die für Ende April geplant ist. Denn das Gremium wird sich dann eine Geschäftsordnung geben, die auch über das Maß an Öffentlichkeit und Transparenz der mutmaßlich monatlichen Sitzungen entscheiden wird. Entschieden wird dann auch über den Umgang mit abweichenden Meinungen einzelner Mitglieder in dem Gremium, also wie „Minderheitsvoten“ in die Ergebnisberichte der Kommission einfließen. Die breite Debatte soll auch dazu dienen, ein Gesetz zu erarbeiten, das der erwarteten Prüfung des Bundesverfassungsgerichtes standhält.

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