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Eine Stadt und ihre Gönner: Potsdamer Missfallen

Sie haben viel Geld, und sie wollen es geben. Millionen spenden sie für die Rekonstruktion der historischen Mitte. Doch immer wieder bricht in Potsdam Streit darüber aus, wie gut die Mäzene es mit der Stadt meinen. Günther Jauch hat beschlossen, dass es jetzt reicht. Über Großzügigkeit und Kleinlichkeiten.

Er hält sich an Einzelheiten auf. Redet von den Säulen am Südportikus. Den Kupferbahnen, die das Dach bedecken. Den Fenstern, die von oben Tageslicht hineinlassen in das Schloss. Ein Schloss, das Günther Jauch sich seit Jahren an diesen Ort gewünscht hat. Das er gewissermaßen erzwungen hat. Vor zehn Jahren ließ er mitten auf den verwaisten Platz das Fortunaportal bauen, den Eingang zum Schloss. Acht Jahre blieb das Portal ein Durchgang ins Nichts. Schon deshalb konnte das Nichts nicht bleiben.

Jetzt steht der Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses vor der Vollendung. Jauchs Kalkül ist aufgegangen. Die dreieinhalb Millionen Euro, die er für das Fortunaportal spendete, haben erbracht, was sie sollten. Ein Ganzes.

Doch am Fenster in der 17. Etage des Hotels Mercure, des ehemaligen DDR-Interhotels, das nur einen Steinwurf entfernt die Schlossbaustelle überragt und für dessen Abriss er jüngst öffentlich warb, sagt Jauch nicht, wie sehr er sich freut, dass das Stadtschloss bald wieder steht. Er lässt den Blick wandern über die roten Dächer des barocken Zentrums und die Schlossbaustelle. Seit 17 Jahren lebt er nun in der Stadt. Er sagt, dass es doch sehr langsam gegangen sei mit dem Wiederaufbau.

Wiederaufbau. Andere in Potsdam nennen es Zerstörung.

Je deutlicher die historische Mitte Potsdams wieder zu erkennen ist, desto größer werden die Spannungen in der Stadt. Da sind die Mäzene. Menschen wie Jauch. Individualisten, Einzelkämpfer, reiche Leute. Und da ist die kommunale Politik, in der es einen Konsens darüber, was Potsdam ist und was aus Potsdam werden soll, offenbar nicht gibt. Da sind die Einheimischen. Deren Interessen sind nicht dieselben wie die von jährlich 18,5 Millionen Tagestouristen. Und da sind schließlich die Hinzugezogenen mit ihren großen Sonnenbrillen und den neuen Elektrofahrrädern, sie trinken Latte Macchiato in den hübschen Cafés des Holländischen Viertels und scheinen darauf zu warten, dass etwas geschieht.

So ist Potsdams historische Innenstadt in den vergangenen Jahren schön, aber auch ein bisschen kulissenhaft geworden. Das fällt vor allem Leuten wie Sascha Krämer, Kreischef der Linkspartei, auf. Er ist Potsdamer mit Sinn und Herz für die Stadt, Gegner einer Disneysierung. „Die Stadt lebt von den Kontrasten“, sagt er.

Bedeutet das auch, dass der Dauerkonflikt nicht aus der Welt zu schaffen ist?

Krämer würde den reichen Neu-Potsdamern gar nicht unterstellen, das historische Potsdam in eine Kulisse ihres großbürgerlichen Lebensstils verwandeln zu wollen. Er weiß, dass die Prominenten die Stadt dafür nicht brauchen. Der Konflikt liegt woanders. Aber wo?

Es geht dabei, so viel ist klar, nicht nur um den Umgang mit Geschichte. Wenn selbst ein Erfolg wie der Schlossneubau für den Initiator Jauch zur Enttäuschung geworden ist und millionenschwere Mäzene, um die man Potsdam beneidet, sich abwenden, ernüchtert, verstört, frustriert, dann drängt sich die Frage auf: Was ist los in Potsdam?

Zuletzt war es Hasso Plattner. Der Mitgründer des Software-Weltkonzerns SAP hat Potsdam für bislang 200 Millionen Euro ein Universitätsinstitut gestiftet. Ohne seine 20-Millionen-Euro-Spende für die historische Fassade sähe das Schloss nicht nach einem Schloss aus. Und als das Geld der öffentlichen Hand für ein Kupferdach angeblich nicht reichte, beglich er auch diese Rechnung.

In Bildern: Die Kunstsammlung des Hasso Plattner

Jetzt mag Plattner über sein Engagement in Potsdam öffentlich nicht mehr reden. Und wenn er dann doch nicht umhin kommt wie vor ein paar Tagen, als er am Neuen Markt seinen „Jahrhundertschritt“ enthüllt, versucht er sich in Gelassenheit. Die Präsentation war lang geplant, Plattner hält Wort. In dunklem Hemd, Anzughose und Turnschuhen ist er als erster der offiziellen Gäste erschienen, ganz unkompliziert. Plattner lässt sich eine Tasse Kaffee bringen, die er im Stehen trinkt. Bei dem kleinen Festakt hält er eine kurze, pointierte Rede. Und er, den trotz seiner 68 Jahre ein jungenhafter Schalk, eine fröhliche Neugier umgibt, ist selbst am begeistertsten, als er den weißen Stoff von der monumentalen Plastik des ostdeutschen Künstlers Wolfgang Mattheuer zieht.

Das Grundstück, auf dem sie jetzt eine Weile steht, gehört Plattner. Das macht für ihn viel aus mittlerweile. „Hier kann mir keiner was, hier muss ich mich nicht rechtfertigen“, sagt er.

Der Satz sagt viel aus über sein Verhältnis zu der Stadt, von der er am Anfang so schwärmte. Es hat gelitten, er hat gelitten. Plattner sagt zwar, sein Ärger klinge exponentiell ab, mit der Betonung auf exponentiell. Was ja nur heißt, dass es sehr schnell geht mit dem Abklingen, aber bis zum endgültigen Verschwinden lange, sehr lange dauert. Schon kurz darauf bricht es aus ihm heraus: „Ich mache mich hier nicht zum Affen.“

Noch vor wenigen Wochen hatte er Potsdam ebenfalls ein Geschenk machen wollen. Am Ort des Hotel Mercure wollte der Milliardär eine Kunsthalle bauen. Darin die Werke ostdeutscher Künstler zeigen, mit dem „Jahrhundertschritt“ davor. Und er wollte seine private Sammlung von Meisterwerken der Klassischen Moderne dort zusammenführen. Als Vermächtnis. Dafür hätte er das Mercure-Grundstück vom Eigentümer, einem US-Immobilienfonds, erworben, den 17-stöckigen Plattenbau abgerissen und dem Stadtschloss einen modernen Bau entgegensetzt. Nach einer heftigen Debatte in der Stadt sagte Plattner ab, kündigte entnervt an, die Kunsthalle auf seinem abgelegenen Privatgelände am Jungfernsee zu bauen. Wenn überhaupt.

Mäzene und Mätzchen der Bauverwaltung

Harte Worte sind in der Debatte gefallen. Ein Widersacher bei der Linken, der Stadtverordnete und ehemalige OB-Kandidat Hans-Jürgen Scharfenberg sagt, dass viele „kein Verständnis“ für den Abriss des Mercure aufbrächten. Und er meint die Alteingesessenen, die mit dem Hotel persönliche Erinnerungen verbinden – und sei es, wie bei Scharfenberg, die an die eigene Diplomfeier als Absolvent der Akademie für Staat und Recht. Viele hätten das Gefühl, es müsse alles weg, was mit der DDR zu tun habe, und das habe eben, so Scharfenberg, auch etwas „mit Würde zu tun und mit Diskreditierung“.

Dass die Linke in Potsdam den Mercure-Abriss ablehnte, war zu erwarten gewesen. Das verschreckte Plattner weniger als die Unlust anderer an seiner Gabe. Er habe Verbitterung, Neid und selbst Hass erfahren, sagt Plattner. Es gebe in der Stadt eine „Grundströmung unter der erfolgreichen Oberfläche“, von der er vorher nichts geahnt habe. Da war der Präsident der Landesarchitektenkammer, der einen öffentlichen Wettbewerb mit den Worten forderte, „wir sind nicht mehr bei Königs“. Andere glaubten Plattner, „demokratisches Vorgehen“ nahelegen zu müssen. Selbst was er aus seiner Sammlung ausstellen würde, sollte er sich absegnen lassen. Wenn wir die Kunsthalle überhaupt wollen, so kam es rüber, dann, wie wir sie für richtig halten.

Noch vor wenigen Jahren wäre dieser Ton in Potsdam undenkbar gewesen. Keine andere Stadt Ostdeutschlands konnte einen solchen Ansturm der Reichen, Schönen, Einflussreichen verzeichnen. Sie kamen, und sie gaben. Unternehmer und Versandhaus-Gründer Werner Otto spendete für den Wiederaufbau der Garnisonkirche, steckte mehrere Millionen in die Restaurierung der zwei Türme des Belvedere auf dem Pfingstberg. Zur Rettung des romantischen Aussichtsschlosses trug die Hermann-Reemtsma- Stiftung bei, sie förderte außerdem die Sanierung der Villa Quandt. Und auch weniger bekannte Wohlhabende spendeten erkleckliche Summen für die Wiederherstellung von Kleinoden in den preußischen Schlössern und Parks.

Und alle kauften Immobilien. Sanierten die Turmvillen italienischen Stils, die vornehm-imposanten Mietspaläste aus der Gründerzeit, die Barockhäuser der Innenstadt. Was sie außer einer lukrativen Wertanlage trieb? Der Effekt.

Wer durch Krieg und DDR-Regime beschädigte, in ihrer Existenz gefährdete oder gar getilgte Baukultur wiederherstellte, dessen Engagement zeigte unmittelbar Wirkung. Jetzt könnte ein Sättigungsgrad erreicht sein. Denn auch diese Entwicklung verläuft exponentiell. Je weiter man gekommen ist, desto schwerer ist es, Neues zu erreichen.

Wie weit man es in Potsdam bereits geschafft hat, lässt sich im Büro des Oberbürgermeisters sehen. Dort, neben dem Eingang, fällt der Blick dessen, der eintritt, auf einen Druck: Potsdams historische Innenstadt zu ihren besten preußischen Zeiten. Das Schloss mit seinem wohl gelungenen Vorplatz, das Alte Rathaus, der Palast Barberini, die Garnisonkirche – alles da. Oberbürgermeister Jann Jakobs scheint diese Ansicht sehr zu lieben. Er sagt: „Ein halbwegs historisch Bewanderter betritt diese Stadt voller Ehrfurcht.“ Und er meint damit auch sich selbst. Im Stadthaus an der Friedrich-Ebert-Straße trifft man dieser Tage auf einen entspannten Sozialdemokraten. Der spricht vom „Gesamtkunstwerk Potsdam“, aber auch von der Zeit, die es dafür braucht. Das umstrittene Mercure-Hotel hätte er gewiss gern abgeräumt, doch er hat gelernt, mit Potsdams speziellen Widrigkeiten zu leben – einer Stadtverwaltung und einer zerklüfteten Stadtverordnetenversammlung. Letztere hat bislang mehrheitlich für den Mercure-Abriss und die Wiedergewinnung des historischen Zentrums gestimmt. Trotzdem gab es erste Anzeichen einer Störung bereits vor etwa fünf Jahren.

Die Bauverwaltung schikanierte den Denkmalsanierer Jauch hingebungsvoll mit überzogenen Auflagen, ein renommierter Baurechtler attestierte der Behörde Willkür mit System. Jauch quittierte das mit einer Kehrtwende. Er verkündete, er investiere jetzt lieber „in Köpfe statt in Steine“. Seitdem finanziert er das christliche Kinderhilfsprojekt „Arche“ im Potsdamer Plattenbauviertel Drewitz, einem sozialen Brennpunkt.

In Bildern: Die Kunstsammlung des Hasso Plattner

Ein anderer Bauherr, der Anwalt Jörg Zumbaum, derzeit Insolvenzverwalter des Grand Hotel Heiligendamm, wurde in Verruf gebracht, nachdem er für rund drei Millionen Euro die Villa Gericke am Pfingstberg saniert hatte. Das Denkmal war derart vom Schwamm befallen, dass Zumbaum es auch hätte abreißen dürfen. Stattdessen ließ er restaurieren, in Abstimmung mit den Ämtern. Denen fiel erst danach auf, dass er einen Bauantrag gebraucht hätte. Auch Zumbaum zog sich zurück. Seine Pläne, vier Millionen Euro in eine Stiftung für den Wiederaufbau der verwilderten Kaiserlichen Matrosenstation Kongsnaes nahe der Glienicker Brücke zu investieren, ließ er fallen.

Jann Jakobs versprach, die Wohltäter von nun an besser zu pflegen. „Wie einen Schatz“, sagte er. „Das Klein-Klein, das hier jahrelang gemacht wurde, muss aufhören.“ Davon jedoch spüren die Wohltäter wenig, wen man auch fragt.

Wie viel Geld er in die Villa Schöningen an der Glienicker Brücke gesteckt hat, will Mathias Döpfner nicht preisgeben. Der Vorstandschef des Axel-Springer-Konzerns, der in Potsdam lebt, hat das verfallene Haus zu einem privaten Museum ausgebaut. Neben einer Ausstellung über die deutsche Teilung zeigt Döpfner seit knapp drei Jahren in der Villa viel beachtete Kunst. Über seine Potsdamer Erfahrungen will er lieber nicht berichten. Bis auf die Anekdote, dass die „einzige schriftliche Hinwendung der Stadt“ zu ihm, dem Retter der Villa Schöningen, zwei Monate nach Fertigstellung eingegangen sei. Es war ein Bußgeldbescheid über 25 Euro, weil die Hausnummer nicht rechtzeitig angebracht worden war. Döpfner: „Lassen Sie uns einfach darüber lachen.“

"Ohne jede Logik"

Günther Jauch, bekannt für seine feine Ironie, ist das Schmunzeln „über die Potsdamer Gemengelage“ beinahe vergangen. Er hatte der Stadt gerade eine seit 20 Jahren leer stehende Ruine im Holländischen Viertel abgekauft und begann, sie mit viel Aufwand denkmalgerecht zu sanieren, als er einen Bußgeldbescheid bekam – wegen ungebührlichen Unkrautbewuchses zwischen Fassade und Bürgersteig.

„Wer hier neu herzieht, staunt erst einmal, wie es hier läuft“, sagt Jauch jetzt im Himmel über Potsdam. Er, der beliebteste Deutsche, sitzt in kariertem Hemd, Sakko, die Stadt zu Füßen in der 17. Mercure-Etage. Es ist eine Premiere, hier war Jauch noch nie, und es ist ihm in seinem Sessel nicht anzusehen, wie er die „Notdurftarchitektur“ nun wahrnimmt. Als solche hatte er das Hochhaus, das er weghaben will, auf einer Pro-Plattner-Demonstration bezeichnet. Aber deshalb ist er nicht gekommen. Diese Stadt sei ein „sehr eigener Kosmos“, sagt Jauch. Manches funktioniere „ohne jede Logik, anderes mit der immer gleichen Logik, den immer gleichen Reflexen“.

Hört man ihm zu, dann bekommt man eine leise Ahnung von der respektlosen Arroganz, die der Verwaltungsapparat verbreitet, während in den Hinterzimmern Politik nach Gutdünken gemacht wird. Von Stadtverordneten, die sich im steten Streit darüber befinden, wie sie dem Wohle aller dienen könnten und dabei den Gestaltungswillen der Gönner mit Bevormundung verwechseln. Deren Geld soll, wie bei Plattner, deshalb gern auch mal in andere Vorhaben umgeleitet werden. „Im Umleiten ist Potsdam ganz groß“, sagt Jauch.

In Bildern: Die Kunstsammlung des Hasso Plattner

Neuerdings ist in der einstigen Residenz-, Garnisons- und Beamtenstadt allem, was von oben kommt, die Ablehnung sicher. Diese Stadt, sagt Günther Jauch, sei extrem ermüdend. „Entweder man tut trotzdem etwas und ärgert sich ständig, oder man lässt es sein.“ Er selbst habe sich im Moment doch eher für Letzteres entschieden. Und doch hofft er immer noch, dass „der versammelte Bürgergeist und freiwilliges Geld die Stadt mit ihren großartigen Möglichkeiten irgendwann wieder weiter nach vorne bringen“.

Wo vorne ist, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten.

Noch ist das Krude und Verlebte, das Leute wie Jauch Mitte der 90er geschätzt und für anziehend gehalten haben, nicht vollends verschwunden. „Es sollen sich Jung und Alt wohlfühlen“, sagt Sascha Krämer, der Innenstadt-Potsdamer von der Linken. Das klingt versöhnlicher, als es vermutlich ist.

Denn Krämer sieht längst den nächsten Streit heraufziehen. Gleich neben der großen alten kuppelüberwölbten Nikolaikirche steht in der Straße am Alten Markt in Gestalt reinster Plattenarchitektur der Staudenhof. Es ist preiswerter Wohnraum, bewohnt von älteren Leuten, wie geschaffen, um den Bedarf an Stadtwohnungen für Studenten zu befriedigen, meinen Leute wie Krämer. Wie geschaffen für den Abriss, finden die Anhänger der neobürgerlichen Innenstadtaufwertung. Den Staudenhof zu erhalten, setzt eine Sanierung voraus.

Es liegt ein Unfriede über Potsdam, der viele ratlos macht. „Ich habe gedacht, dass damit verantwortlicher umgegangen wird, dass diese Stadt aus der Vergangenheit gelernt hat“, sagte Oberbürgermeister Jakobs, nachdem Plattner ihm per E-Mail die Absage für die Kunsthalle neben dem Schloss geschickt hatte.

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