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Eine Herberge für Kunstfreunde und Jogger: Frühstück mit Charles und Camilla

Im Salon des Sammlers: Das Hotel „Hansablick“ in Tiergarten hat sich über drei Jahrzehnte zum Geheimtipp für Berlin-Besucher entwickelt.

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Camilla und Charles hocken, 70 Zentimeter groß, auf einem Eisenbänkchen. Ihre Beine baumeln in der Luft. Die Dame trägt ein zitronengelbes Kleid mit schwarzen Dreiecken, der Prinz einen eierschalfarbenen Anzug mit braunem Schlips. Sie legt ihre geöffnete Lektüre auf das stramme Knie, schaut verträumt an ihm vorbei. Er hat rote Haare. Vielleicht sehen der echte Thronfolger und seine Gattin etwas anders aus. Aber genau an ihrem Hochzeitstag, am 9. April 2005, hatte Karl J. Brugger das Keramikpärchen der Bildhauerin Evelyne Almayrac für sein Hotel „Hansablick“ erworben, wo die beiden Figuren und 90 weitere Kunstwerke – Zeichnungen, Skulpturen, Gemälde – den Publikumsbereich der Herberge in einen Sammler-Salon verwandelt haben. Da lag die assoziative Namensgebung, naja, fast auf der Hand.

Tatsächlich passen in diesem Altbau, Flotowstraße 6 im Hansaviertel, zahlreiche Elemente nicht wirklich zueinander. Dass aus einer wilden Stilmischung über drei Dekaden ein stimmiges Domizil entstanden ist, macht die Merkwürdigkeit des Garni-Gasthauses aus. „Für mich das beste Hotel in Berlin!!! Vielen Dank dafür, dass es Sie so gibt“, schreiben enthusiastische Besucher ins Gästebuch. Und: „Das letzte europäische Hotel ohne Musikterror beim Frühstück!“ Oder: „Ein Juwel!“ Buffet-Variationen, Atmosphäre und Service erreichen Spitzenbewertungen: „Liebes Personal, ich war schon in sehr vielen Hotels der Welt, aber hier bin ich begeistert.“ Konterkariert werden solche Hymnen allerdings durch die Realität des ersten Augenscheins.

"Betreuung durch Herrn Prinz ist fürstlich"

Vor dem Haus reckt sich ein Buddybär, zugeeignet dem Hotelchef von Otmar Alt, Stammgast des Hauses und Vater aller Buddybären. Das gemütliche Frühstückszimmer mit ledergepolsterten Stühlen enthält ausschließlich bunte Gemälde, Grafiken und Skulpturen des geborenen Berliners Alt. Kunstfreunde, die das Buddybären-Wesen nicht als lokalpatriotische Witzkultur, sondern als göttliche Strafe für die Bausünden der Wendejahre betrachten, müssen sich dann schon im zweiten, sachlichen Frühstücksraum, in der Ledersessel-Lounge und an der Rezeption auf Werke anderer renommierter Zeitgenossen konzentrieren: von Uecker, Christo, Beuys, Lüpertz bis zur dreibeinigen „Himmelskamera“ Micha Ullmans und Werner Stötzers Marmorskulptur einer Liegenden, genannt nach dem Rinnsal „Nieplitz“.

Zur Ernüchterung des Augenscheins gehören auch die schmucklose Hausfassade und der banale Neubau gegenüber, obwohl von manchen Hotelfenstern aus, immerhin, die trauerweidenumflorte Spree bis ans Moabiter Ufer gesichtet wird. In hell möblierten, einfachen Gästezimmern zu Preisen unter 100 Euro, mit Parkett, sind Stuck- und Kachelelemente der ursprünglichen Ausstattung des Hauses zu sehen. Erklärt all das die Superlative der Wertschätzung? Die Ruhe an dieser Straßenecke in Tiergarten ist auffällig, gewiss, man findet unglaublicherweise Bordsteinparkplätze, und das Hotel offeriert seinen Bewohnern einen hauseigenen Plan für zwei Joggingrouten, zum Schloss Charlottenburg (neun Kilometer ohne KfZ-Kontakt!) und für die „Regierungsroute“. Das Hansablick-Geheimnis liegt wohl im Zusammenspiel seiner Angebote, koordiniert durch ein sechsköpfiges Team, das seit fast 20 Jahren zusammenarbeitet (die Zimmerreinigung wurde ausgelagert); mit einem liebenswürdigen, leisen Rezeptionschef, von dem die Gäste schwärmen: „Betreuung durch Herrn Prinz ist – wie der Name sagt – fürstlich.“

Erinnerungen an die verschlafene Insel

Karl Brugger, der Hansablick-Patron, ist ein anderer Typ, markig und rotgesichtig. 1953 im Allgäu geboren, war er zehn Jahre lang als Oberkellner beim Hotel Hamburg, Nähe Kurfürstenstraße, bevor sich ihm 1986 in einem erhaltenen Block des alten Hansaviertels die Chance zur Selbstständigkeit bot. In dem Mietshaus, das vor dem Krieg Kaufleute, Verkäufer, Arbeiter, Schlosser, Ärzte, Fabrikbesitzer und Schauspieler bewohnt hatten, darunter viele Juden, existierte zu Zeiten West-Berlins, der „fürchterlich verschlafenen Insel der Glückseligen“, neben verbliebenen Privatwohnungen ein abgewracktes Jugend-Hostel, das zuletzt für eine WG von Sozialarbeit-Studenten mit entlassenen Gefangenen genutzt wurde.

Brugger startet sein Projekt an der Seite eines Partners für drei Jahre, danach solo. Investiert in supersimple Zimmer mit Gemeinschaftsbad, die nach der Wende (wegen des boomenden Bedarfs) gleich noch mal geteilt werden. Baut einen Lift, bietet zunächst 20 Kammern an, vom Hochparterre bis hinauf zum ersten und zweiten Stock – über viele Durststrecken. Auf alten Fotos wirken die damals gemusterten Tapeten samt Bettgestellen auf Teppichboden mit Duschkabine wie Kulissen einer Marthaler-Inszenierung. Und er gewinnt seine Multiplikatoren-Klientel: über Künstler und Architekten, die ihre Arbeiten schon mal als schönes Geschenk zurücklassen; über Mundpropaganda und die nahe Akademie der Künste.

Das Kiez-Quartier jenseits der Touristenphobie

2006 expandiert das Hansablick in die andere Hälfte des Gebäudes, der wohnliche Publikumsbereich wird ausgebaut. Winz-Kabuffs für Gäste ließen sich damals nicht mehr verkaufen, sagt der Direktor heute, die Zimmer wurden wieder vergrößert, über 35 verfügt er mittlerweile. Touristen-Phobie, von der heute öfter die Rede ist, hat für dieses Kiezhotel nur in der Startphase eine Rolle gespielt: als noch Schulklassen und Montage-Arbeiter hier logierten, als die Holztreppen irre knarrten, bei Nacht gefeiert wurde und die Anwohner protestierten. Damals wäre der Hotelbetrieb beinahe rausgeflogen, daraufhin suchte man sich ruhigere Kundengruppen. Brugger, der selbst in einem oberen Stockwerk residiert, genießt das Wohlwollen seiner Mitbewohner. „Ich freue mich, wenn ich heimkomme, ein Hotel im Haus zu haben,“ sagt einer seiner Nachbarn, „da bin ich immer willkommen.“ Und auch DHL freut sich: Päckchen für abwesende Anwohner landen, schwupps, an der 24-Stunden-Rezeption.

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