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Homeschooling ist die Unterrichtsmethode der Stunde. Das gilt auch für die Kinder und Jugendlichen in Berliner Heimen.

© felix wirth/Studienkreis GmbH/obs

„Eine emotional belastende Situation“: Wie Berliner Kinder- und Jugendheime mit der Coronakrise umgehen

Für die Bewohner und Betreuer der Berliner Heime gibt es viele Herausforderungen, alle leiden wegen Kontaktsperren. Und dann heißt es plötzlich Homeschooling.

„Oh!“, ist Monika Bauersfelds Reaktion am Telefon, gefragt nach der momentanen Lage. Ihr kurzer Ausruf bringt alles auf den Punkt. Über Zustände in Kliniken, Altenheimen oder Gefängnissen wird berichtet, über Kinderheime weniger. „Wir werden gerne vergessen“, sagt die Leiterin der Sancta Maria-Einrichtung in Kladow und freut sich, dass jemand Interesse zeigt.

Schließungen wie derzeit bundesweit bei Kitas oder Schulen sind bei Kinder- und Jugendwohnheimen nicht möglich. „Wir können die Kinder nicht wegschicken und ins Homeoffice gehen. Wir sind natürlich bei ihnen“, sagt Bauersfeld. Von montags bis sonntags. 24 Stunden. „Es sind Kinder, die oftmals aus unendlich schwierigen Verhältnissen kommen. Sie sind mit sechs oder sieben Jahren hier, vielleicht auch mit vier.“

Der Heilpädagogische Kinder- und Jugendhilfeverbund Sancta Maria in Berlin befindet sich in der Trägerschaft der Hedwigschwestern. 37 Kinder leben im Sancta-Maria-Heim in Kladow, werden gefördert und betreut. In der Einrichtung in Wannsee sind es 80 Heranwachsende.

Plötzlich, in Zeiten des Coronavirus, ist der Alltag ein anderer in den altersgemischten Wohngruppen, erzählt Monika Bauersfeld: „Sie gehen natürlich nicht mehr zur Schule. Vor allem morgens müssen die Kollegen viel leisten, wenn sie mit unterschiedlichen Altersgruppen Hausaufgaben erledigen. Die Lehrer halten Kontakt, schicken Arbeitsmaterial per Mail. Schulen erwarten digitale Struktur.“ Strukturen, die sie im Heim nicht hätten. Davon stark betroffen sind acht Jugendliche zwischen zwölf und sechszehn Jahren, die keinen Laptop haben.

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„Als Oliver Schmidt anrief und die Spendenaktion vorschlug, sagte ich daher sofort juhu“, erzählt Monika Bauersfeld. Der Berliner unterstützt seit Jahren einen Zögling im Sancta-Maria-Heim als Mentor. Mittlerweile geht dieser in die siebte Klasse. Zusammen mit Freunden hat Schmidt einen Spendenaufruf gestartet, um die Laptops zu beschaffen. 4500 Euro werden benötigt, von weiteren Geldern würde das Kinderheim weitere Laptops für seine Bewohner kaufen.

Die Kollegen fangen nun an, Masken zu schneidern

Daniel Domrös ist Bereichsleiter des Evangelischen Johannesstifts und für 21 stationäre Einrichtungen in Berlin verantwortlich. 150 Kinder leben dort in Wohngruppen, im Alter von drei bis 18 Jahren, mit und ohne Behinderung. Plötzlich stand auch er vor der Herausforderung, „rasch eine digitale Infrastruktur aufbauen zu müssen.“ Die Kinder sollten nicht benachteiligt werden. „Es darf nicht heißen, sie sind im Kinderheim und konnten ihre Hausaufgaben nicht erledigen.“ Ein WLAN-Anschluss wurde gelegt, Laptops besorgt. Acht Kinder teilen sich jeweils ein Gerät.

Neben dem digitalen Homeschooling ist die emotionale Seite eine große Herausforderung in diesen Zeiten, sagt Monika Bauersfeld: „Wir erlauben derzeit keine Besuche auf dem Gelände, weil es zu unsicher ist.“ Die Kinder können ihre Eltern nicht sehen. Das führt zu reichlich Tränen. Egal, unter welchen Umständen manch einer hierhergekommen ist, Eltern bleiben Eltern.

Und Kinder vermissen sie. „Es ist eine emotional belastende Situation. Kinder werden in den Arm genommen. Auch wenn wir nicht mit Mundschutz arbeiten. Wir haben schlichtweg keinerlei Schutzmaterialien.“ Die Kollegen fangen nun an, Masken zu schneidern.

„Es gab wütende Eltern, die bei mir angerufen haben“

Seit der Kontaktsperre lebten die Wohngruppen im Sancta-Maria-Heim unter sich, sagt Bauersfeld: „Sie versuchen, sich untereinander nicht zu sehen. Sie sind sehr autonom, gehen einkaufen, spielen intern.“ Der Laughing Hearts-Verein, der sich um Berliner Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen kümmert, und der Rotary Club Spandau hatten Geld gespendet. „Davon haben wir Malbücher geholt, Stifte, Seifenblasen, eine Extraportion Schokolade, sogar eine Playstation.“

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Denn die unbändige Energie der Kinder ist nicht zu unterschätzen. Es gibt viel Frust wegen der Einschränkungen. Der muss abgeleitet, die Kinder bewegt und beschäftigt werden. Im Moment klappe alles ganz gut, meint Bauersfeld. Die Gruppen können sich auf dem Heimgelände austoben. „Die Jugendlichen fühlen sich dennoch eingeengt.“

Da bleibt nur das Telefon. Auch um Kontakt zu den Eltern zu halten. „Es gab wütende Eltern, die bei mir angerufen haben“, erzählt wiederum Daniel Domrös. Familien zu aktivieren und zu stabilisieren in Absprache mit dem Jugendamt, ist ein wichtiger Auftrag in Wohngruppen. Diese Elternarbeit fällt derzeit weg.

Rund 35 Personen arbeiten im Kladower Heim

Drei bis vier Wochen könne man die Situation schultern, so Domrös. „Das Eis ist sehr dünn. Wir rücken aber zusammen. Es ist schön zu merken, dass die Kollegen da sind.“ Kaum einer fehlt. Darf er auch nicht. „Der Berliner Senat sagt, wir sollen uns dann irgendwoher Kräfte holen“, so Bauersfeld.

Sie gibt zu bedenken: „Bei dem Fachkräftemangel, der herrscht? Da kommt niemand jetzt mal schnell aushelfen.“ Rund 35 Personen arbeiten im Kladower Heim: Erzieher, Sozialpädagogen, Wirtschaftskräfte, Hausmeister. „Den Mitarbeitern muss man mal sagen, ihr macht das toll!“, sagt Bauersfeld. „Ich bedanke mich herzlich bei jedem Einzelnen.“
Spendenkonto des Sancta Maria Heims: Pax-Bank eG, IBAN: DE333706 01936003042020, BIC: GENODED1PAX, Tel. 030/36896814. Online-Spendenformular des Evangelischen Johannesstifts: www.evangelisches-johannesstift.de, Tel. 030/33609325.

Anja Reinbothe-Occhipinti

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