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Der Entwurf von Pedro Pitarch aus Madrid bekam den fünften Preis und entwickelt eine Vision für den bald vom Netz gehenden Flughafen Tegel.

© Simulationen: AIV

Ein Todesstern in Tegel: So könnte Berlin in 50 Jahren aussehen

Wie gestaltet sich die Stadt 2070? Der Berliner Architektenverein rief einen Wettbewerb aus. Das sind die – teils skurrilen – Ideen.

Große Würfe gelangen bei den Vorschlägen für die städtebauliche Entwicklung Berlins schon lange nicht mehr. Überhaupt schienen die Stadtplaner in dieser Legislatur abgetaucht zu sein. Wie sehr sie vermisst wurden, wird spätestens durch die verdienstvolle Initiative des Berliner Architekten- und Ingenieurvereins (AIV) deutlich.

Der rief einen Internationalen Wettbewerb aus, um Ideen für „Berlin 2070“ zu sammeln – und bietet damit eine Vorlage für die überfällige Debatte, wie und wo die Stadt sich entwickeln kann, die so stark unter Wachstumsschmerzen leidet.

Die Ergebnisse der 55 Büros, darunter Planer aus Russland, Australien und sogar Simbabwe, können sich sehen lassen. Und wie es bei städtebaulichen Wettbewerben oft ist: der bildmächtigste Entwurf machte nicht das Rennen, sondern in diesem Fall nur den fünften Platz.

Ein in seiner Gestalt und Dimension an den „Todesstern“ der Starwars-Saga erinnernden Kugelbau wirft Architekt Pedro Pitarch aus Madrid auf den vor der Schließung stehenden Airport Tegel ab und füllt die „urbane Insel“ rund um das Hexagon um viele weitere Neubauten.

So soll ein neuer „multifunktionaler Raum“ entstehen, der die „historischen Erinnerungsstücke“ wie er Gerkan und Margs Airport-Gebäude aus den 1970ern nennt, „überlagert“.

Berlins Planerikone Harald Bodenschatz berichtete aus den Jury-Sitzungen, dass diese „zeichnerische Darstellung umstritten“ blieb.

So kommen sich Berlin und Bernau näher

Daher einigten sich die Experten um den Vorsitzenden aus den Niederlanden Jo Coenen, auf einen Sieger, der ganz auf Effekte verzichtet: Eine Arbeitsgemeinschaft der Architekten Bernd Albers, Arup sowie den Landschaftsplanern Vogt mit Silvia Malcovati.

Die Pointe ist, deren Vorschlag könnte richtungsweisend für das Denken von „Großberlin“ werden: Die Erweiterung der Metropole durch deren Vernetzung mit Städten wie Schwedt an der Oder sowie Bernau.

Bernau liegt in der näheren Nachbarschaft, Schwedt kurz vor Polen, aber auf der Bahn-Strecke von Berlin nach Stettin. Nur ein kleiner Schwenk der Bahntrasse, die ohnehin ausgebaut werden soll, durch Schwedt hindurch – und schon wäre die Stadt für Pendler mit Arbeitsplatz in Berlin in Reichweite.

Neue Verbindungen. Der Siegerentwurf verknüpft Berlin mit Schwedt an der Oder.
Neue Verbindungen. Der Siegerentwurf verknüpft Berlin mit Schwedt an der Oder.

© Simulation: AIV

Im Städtebau selbst knüpft der Siegerentwurf an die historische Entwicklung Berlins an: Neue Quartiere entlang der Straßen und Schienenwege, den „Radialen“. Diese bestimmen schon heute das Bild Berlins. Aus der Vogelperspektive betrachtet, strahlt die Stadt sternförmig vom dicht bebauten Zentrum diesen Radialen entlang immer weiter in die Fläche hinaus.

Die Zersiedlung des Umlands ist die Kehrseite dieser Entwicklung. Aber sie ist vermeidbar, meinen die Planer. Sie schlagen dazu neue Verbindungen zwischen den Städten in Brandenburg vor, die sogar einen zweiten Ring um Berlin herum bilden könnte.

Längst nicht jeder Brandenburger müsse für jede Besorgung immer zum Alexanderplatz fahren, sagt Albers, eine Vernetzung von Städten mit ihren jeweiligen Versorgungsangeboten könnte deren Angebot ausweiten.

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Zukunftsmusik mag das sein, aber wer an den Regionalverbund der Mittelstädte im Ruhrgebiet denkt, der bis nach Köln reicht, erkennt die Kraft dieser Überlegung. Zumal sie hilft, Verkehr (nach Berlin) zu vermeiden, wovon die Umwelt profitiert.

Berlins Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher (Linke) hatte den Wettbewerb als „Sachpreisrichterin“ begleitet. „Die ausgezeichneten Beiträge liefern kreative und zum Teil mutige Antworten auf ganz unterschiedliche Zukunftsfragen der Region Berlin-Brandenburg.“ Berlin und Brandenburg seien bereits „eng miteinander verwoben und werden es in den kommenden Jahren noch stärker sein“, sagte sie.

„Zeitweilig dabei“ sei auch der Leiter der Abteilung für die Landesentwicklungsplanung von Brandenburg, sagte Bodenschatz auf die Frage, ob die aufwendigen Planspiele die politische Resonanz erfahren könnten, die sie verdienen.

Und auf die Frage der Chefin der Architektenkammer Berlin Christine Edmaier, ob der AIV denn auch hinter den Forderungen der Kammern für eine dritte Internationale Bauausstellung (IBA) stehe, sagte AIV-Chef Tobias Nöfer: „Eine IBA könnte die Fortsetzung dieser Überlegungen sein.“

Das bauliche Erbe des SED-Regimes

Zumal der internationale Wettbewerb „Berlin 2070“ auch grundsätzliche Fragen wie diese aufwirft: Wie sollen die Städte und Quartiere in und um Berlin mit ihrem einzigartigen Erbe umgehen? Dazu zählt in Schwedt etwa das, was vom Königlichen Schloss übrig blieb, wo die Schwester von Friedrich des Großen lebte.

Dazu gehört ebenso das bauliche Erbe des SED-Regimes, das Schwedt zur „Musterstadt der DDR“ umgestaltete. Und dazu gehört außerdem der reparierende, erweiternde Neubau der Nachwendejahre. Diese historischen Schichten zu versöhnen oder zwischen ihnen zu vermitteln anhand von „exemplarischen Projekten in typischen Orten Brandenburgs“, wie Silvia Malcovati sagte, das ist ein weiterer Ertrag dieses Wettbewerbs.

Mit der Siegerkür ist es nicht vorbei: Alle 18 Arbeiten der der Endrunde werden vom 1. Oktober 2020 bis 3. Januar 2021 im Kronprinzenpalais Unter den Linden ausgestellt. Der AIV veranstaltet zudem eine TV-Debatte zum Thema im Oktober, die Online gestreamt und später auf der Website abgerufen werden kann.

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