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Der Prozess um den gewaltsamen Tod des Mediziners Fritz von Weizsäcker wird am Berliner Landgericht geführt.

© Sonja Wurtscheid/dpa

„Ein sehr kontroverser Mensch“: Gericht hört Kollegen von Gregor S. im Weizsäcker-Mordprozess

„Bekennender Sextourist“, selbstbezeichneter „Zwangsneurotiker“, aber auch beliebt: So beschreiben Arbeitskollegen vor dem Berliner Landgericht den Angeklagten.

Pakete packen konnte Gregor S. offenbar wie kein Zweiter. Bei seinem Arbeitgeber galt er als High-Performer, zuverlässig, von robuster Gesundheit, beliebt bei seinem Kollegen - auch oder gerade weil er seine Eigenheiten hatte.

„Wir sagten immer: Gregor ist der einzige bekennende Sextourist, den wir kennen“, sagt Kollege Timo D. Im Saal 500 des Moabiter Kriminalgerichts.

Am Dienstag hat das Gericht den 35-jährigen Versandmitarbeiter aus Rheinland-Pfalz zusammen mit zwei anderen Amazon-Kollegen geladen, um mehr über das Leben und den Alltag des Angeklagten zu erfahren.

Die Staatsanwältin wirft dem 57-jährigen Lageristen aus Andernach Mord und versuchten Mord an einem Polizisten vor.

Gregor S. hatte den jüngsten Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 19. November 2019 gegen Ende eines Vortrages in der Schlosspark-Klinik in Berlin erstochen.

„Er war ein sehr kontroverser Mensch“

Der heute 34 Jahre alte Beamte Ferrid B. wollte den Angreifer stoppen und wurde dabei selbst schwer verletzt. Ferrid B. war privat zu dem Vortrag gekommen.

Von seinem Hass auf die Familie Weizsäcker hatte Gregor S. seinen Kollegen offenbar nie etwas erzählt. „Er war ein sehr kontroverser Mensch“, sagte Christian E., der Gregor S. 2013 bei Amazon kennenlernte. In der Firma sei er beliebt gewesen, habe „sehr sehr viel Kontakt“ gehabt, jeder wusste, dass er sich selbst als Zwangsneurotiker bezeichnete.

Gregor S. wusch sich pausenlos die Hände, mied körperlichen Kontakt und lief lieber 18 Kilometer nach Hause, als sich zu einem Kollegen ins Auto zu setzen, der Mundgeruch hatte.

Doch nach der Arbeit kehrte Gregor S. in die Einsamkeit seiner Einzimmerwohnung zurück, spärlich eingerichtet, heruntergekommen. Kein Kontakt zu den Nachbarn, keine Freunde, mit der Familie entzweit.

„Er hat sich immer als Messie bezeichnet“

„Er hat sich immer als Messie bezeichnet“, erzählen die Kollegen. Jedes Jahr nahm er sich unbezahlten Urlaub, um in Thailand drei Monate lang Urlaub zu machen. Den Kollegen habe er freimütig von seinen Abenteuern „mit den professionellen Damen“ erzählt.

Eine ehemalige Nachbarin aus Andernach beschrieb Gregor S. als einen sehr launischen Charakter, der schnell aggressiv werden konnte und tagsüber im Hof des Hauses Schattenboxen übte.

Der Kontakt sei abgerissen, nachdem Gregor S. ihr vor etwa 15 Jahren die Lippe blutig geschlagen hatte, als sie ihn als „arbeitslosen Penner“ beschimpfte.

Gregor S. hat die Attacke auf Fritz von Weizsäcker gestanden, aber keine Reue gezeigt. Im Prozess sagte der Angeklagte, dass er aus Hass auf die Familie Weizsäcker, insbesondere auf den früheren Bundespräsidenten, gehandelt habe. Er bezeichnete sich als Zwangsneurotiker, Ex-Nazi und verkrachte Existenz.

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Im Prozess muss geklärt werden, ob Gregor S. zum Zeitpunkt der Tat schuldfähig war. Er selbst hält das für ein abgekartetes Spiel.

Am Ende des Verhandlungstages verliest Gregor erneut eine Erklärung: Er werde nur deshalb „kurzerhand für verrückt“ erklärt, weil niemand sein Anliegen ernst nehmen wolle. „Ich habe meine Tat nie bereut. Das wird sich auch nicht ändern.“

Das Gericht hat zwei weitere Verhandlungstage angesetzt. Demnach könnte das Urteil am 8. Juli gesprochen werden.

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