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Berlin: Ein schwarzes Kapitel

Vor hundert Jahren schlugen kaiserliche Truppen den Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika nieder. In Berlin erinnert nur ein Gedenkstein an den Vernichtungskrieg

Ein „Heldentod“, was sonst, irgendwo in den Weiten Südwestafrikas. Vielleicht bei der Schlacht am Waterberg am 11. August 1904, vielleicht später in der Omaheke-Wüste bei der Verfolgung der flüchtigen Herero – der Gedenkstein auf dem Garnisonsfriedhof am Columbiadamm, der an sieben während des Herero-Aufstands gefallene deutsche Soldaten erinnert, lässt viele Fragen offen. Nur wenige wissen überhaupt, dass es ihn gibt, wie ja auch die Erinnerung an den Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama im kollektiven Bewusstsein der Deutschen nicht gerade allgegenwärtig ist.

In diesen Tagen jährt sich zum 100. Mal der Beginn des Kolonialkrieges, der von 1904 bis 1908 im heutigen Namibia tobte. Am Abend des 11. Januar 1904 hatte es erste Attacken der Herero gegeben, tags darauf brach der Aufstand großflächig los. Binnen kurzem war Zentralnamibia in der Hand der Aufständischen, bei den ersten Plünderungen von Farmen und Siedlungen kamen 123 Deutsche ums Leben. Nur die Militärposten konnten sich halten. Berlin entsandte bald weitere Truppen. Der Generalstab entzog den Oberbefehl dem langjährigen Gouverneur Theodor Leutwein und übertrug ihn Generalleutnant Lothar von Trotha, der sich schon in Deutsch-Ostafrika und beim Boxer-Aufstand in China den Ruf eines besonders harten Hundes erworben hatte.

Dem wurde er auch in Südwestafrika gerecht. Nach der Kesselschlacht am Waterberg konnten die Herero, die sich dort mit ihren Familien und dem Vieh versammelt hatten, in die weitgehend wasserlose Omaheke-Sandwüste fliehen. Hier begann erst ihr wahrer Leidensweg. Die Deutschen besetzten systematisch die wenigen Wasserstellen, die Flucht wurde zum Todesmarsch. Tausende verdursteten, verhungerten oder wurden aufgegriffen und erschossen. Genaue Zahlen über die Toten gibt es nicht. Die Schätzungen zur Größe des Herero-Volkes vor dem Krieg reichen von 40 000 bis 100 000 Menschen, die zur Todesrate von 35 bis 80 Prozent. Von den rund 20 000 Nama, die bei den Deutschen verächtlich Hottentotten hießen und sich ab Oktober 1904 erhoben, überlebte nur die Hälfte.

In Namibia gibt es noch viele Spuren, die an den Vernichtungskrieg der Deutschen erinnern, die bekannteste ist das Reiterdenkmal der Kolonialtruppen in Windhoek. In Berlin dagegen ist diese Phase der deutschen Geschichte aus dem Stadtbild weitgehend ausgelöscht. Einige Straßen im Afrikanischen Viertel in Wedding erinnern an die alte Kolonie und ihre Städte, nicht aber direkt an den Krieg. Verschwunden sind die Gebäude, in denen der Feldzug organisiert wurde, wie etwa das Oberkommando der Schutztruppen in der Mauerstraße 45/46 in Mitte. Auch ein 1908 errichteter Obelisk für die in Südwestafrika gefallenen Soldaten des 1. Telegraphen-Bataillons sowie einen ähnlichen Stein des Eisenbahn-Regiments Nr. 2 von 1910 gibt es nicht mehr. Nur auf dem Friedhof am Columbiadamm wird man noch fündig. Der Gedenkstein steht an der östlichen Begrenzungsmauer, ein vorne geglätteter Granitfindling mit Inschrift: „Von 41 Angehörigen des Regiments, die in der Zeit vom Januar 1904 bis zum März 1907 am Feldzuge in Süd-West-Afrika freiwillig teilnahmen, starben den Heldentod“: Sieben Namen sind aufgelistet, zwei Offiziere, fünf einfache Infanteristen. „Das Offizierskorps ehrt mit diesem Stein das Andenken der Helden“, damit endet die Inschrift.

Der Stein war 1907 an der Kreuzberger Urbanstraße errichtet worden. Dort befand sich seit 1860 die Kaserne des Kaiser-Franz- Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2. Die Kaserne ist längst verschwunden, erhalten hat sich nur das ehemalige, 1914 errichtete Offizierskasino in der Urbanstraße 21, heute Sitz von Nachbarschaftsvereinen und der Berliner Liedertafel. 1973 sollte der Stein bei Bauarbeiten abgeräumt werden, durch Initiative zweier militärischer Traditionsverbände, der Afrika-Kameradschaft Berlin und des Traditionsverbandes ehemaliger Schutz- und Überseetruppen, wurde er an den Columbiadamm umgesetzt und um eine Granitplatte ergänzt, „Den in Afrika gefallenen deutschen Soldaten zum ehrenden Gedenken“. Aus dem „Herero-Stein“ wurde der „Afrika-Stein“.

Vor einigen Wochen stand ein Mann vor dem Findling, den sich die kaiserlichen Offiziere dort nie und nimmer vorgestellt hätten: Kuaima Riruako, der so genannte Paramount-Chief der Herero, damit ihr höchster politischer Repräsentant und zugleich Mitglied des namibischen Parlaments. Ein privater Besuch in Deutschland hatte Riruako auch nach Berlin geführt, wo er noch einmal an die vor zwei Jahren in den USA eingereichte Entschädigungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Bank und die Deutschen Afrika-Linien erinnerte. Er beklagte, dass eine offizielle deutsche Entschuldigung für die an seinem Volk verübten Kriegsverbrechen noch immer ausstehe.

Die Institution des – unter den Herero umstrittenen – Paramount-Chiefs war von den deutschen Kolonialbehörden ins Leben gerufen worden und hat die wechselhafte Geschichte des Landes überdauert. Der erste Amtsinhaber hieß Samuel Maharero, für dessen Auslieferung Generalleutnant von Trotha nach Kriegsausbruch 5000 Mark Belohnung versprach. Wenige Jahre vorher hatte Maharero noch als willfähriges Werkzeug der deutschen Afrikapolitik gegolten. Für die große Kolonialschau, die im Rahmen der Gewerbeausstellung 1896 auf dem Gelände des Treptower Parks stattfand, war auch sein 22-jähriger Sohn Friedrich ausgesucht worden, der mit drei anderen Hereros und vier Nama das Leben der „Eingeborenen“ in Südwestafrika vorführen sollte. Die Delegation versuchte auch, für die Sache der Herero zu werben, erhielt sogar eine Audienz bei Wilhelm II. Geholfen hat der persönliche Kontakt weder den Herero noch der Familie ihres Paramount-Chiefs: Nach der Schlacht von Waterberg mussten auch Samuel und Friedrich Maharero durch die Omaheke-Wüste ins britische Betschuanaland fliehen. Erst 1923 kehrte der Sohn für kurze Zeit in seine Heimat zurück, um am 23. August in Okahandja, der wichtigsten Stadt der Herero, seinen Vater zu beerdigen. Der Sonntag, der diesem Datum am nächsten liegt, wird dort Jahr für Jahr als Herero Day gefeiert, zur Erinnerung an den hierzulande fast vergessenen Krieg gegen die Deutschen.

Bücher zum Herero-Thema: Jürgen Zimmerer/Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Ch. Links Verlag Berlin, 276 Seiten, 22,90 Euro; Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin Edition. 320 Seiten, 24,80 Euro; Gerhard Seyfried: Herero. Roman.Eichborn Verlag Berlin. 600 Seiten, 29,90 Euro.

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