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Update

Ein Nazi als Namenspate: Rudolf-Dörrier-Schule soll umbenannt werden

Eine Pankower Schule will sich umbenennen. Grund: Der derzeitige Namensgeber war ein ehemaliger SS-Mann. Andere Schulen haben Umbenennungen bereits hinter sich.

Kann ein SS-Mann Namensgeber einer Grundschule in Pankow bleiben? Nein, sagt die Schulleitung der Rudolf-Dörrier-Schule im Ortsteil Rosenthal und fordert jetzt eine Umbenennung. Am Dienstag traf sich die Schulleitung mit dem Pankower Schulstadtrat Torsten Kühne (CDU).

Der Namensgeber Rudolf Dörrier starb hochverehrt und mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande versehen mit 103 Jahren im Jahre 2002. Der Tagesspiegel hatte 2000 anlässlich seiner Ehrung geschrieben: „Seine Suche nach der historischen Wahrheit wurde über Pankows Grenzen hinaus anerkannt.“

Dörrier war als SS-Mann in Sachsenhausen tätig

Tatsächlich aber war der auch in der DDR hochdekorierte angebliche Antifaschist Dörrier ein ehemaliger SS-Mann, der als Unterscharführer von 1944 bis zum Kriegsende im Konzentrationslager Sachsenhausen tätig war. Anschließend trat er in der DDR in die SED ein und beteuerte, sein Herz habe schon seit den zwanziger Jahren „links geschlagen“.

Die Geschichte des lebenslangen Lügners, die von dem Berliner Historiker Harry Waibel aufgedeckt wurde, ist auch ein Beispiel für das nicht vorhandene Interesse der DDR-Führung, nach dem Krieg die Nazi-Verbrechen aufzuarbeiten und ehemalige Nazi-Täter vor Gericht zu stellen. Stattdessen hatte die SED schon 1950 auf ihrem Parteitag verkündet, die Wurzeln des Faschismus seien in der DDR ausgerottet; die Nazi-Verbrecher seien mithin allein ein Problem der jungen Bundesrepublik.

Die Geschichte Rudolf Dörriers ist auch wegen seiner Familiengeschichte nahezu unfassbar. Denn Dörrier, der 1927 nach Berlin zog, heiratete eine jüdische Frau. Seine Schwiegereltern betrieben ein pharmazeutisches Versandgeschäft in der Binzstraße 2 in Pankow, wo sie auch wohnten. Nachdem die Schwiegereltern Margarete und Julius Wassmund am 31. Juli 1942 vom Bahnhof Grundwald zum KZ Theresienstadt deportiert und später dort ermordet wurden, übernahm Dörrier das Unternehmen.

An die Schwiegereltern erinnern heute zwei „Stolpersteine“ vor deren damaligen Wohnhaus.

Das Heinz-Bergruen-Gymnasium in Westend änderte 2008 seinen Namen. Zuvor war es nach dem Wehrmachtsgeneral Ernst Hoepner benannt.
Das Heinz-Bergruen-Gymnasium in Westend änderte 2008 seinen Namen. Zuvor war es nach dem Wehrmachtsgeneral Ernst Hoepner benannt.

© Thilo Rückeis

Nach dem Krieg erfand Dörrier einen anderen Lebenslauf, bei dem er unter anderem seit 1929 für den später arisierten jüdischen Wissenschaftsverlag Julius Springer gearbeitet haben wollte. In der DDR war Dörrier bis 1965 Leiter der Bibliotheken in Pankow und leitete bis 1990 die von ihm gegründete „Ortschronik Pankow“. Für seine Tätigkeit wurde er vom DDR-Kulturbund mit der „Johannes-R.-Becher-Medaille“ in Gold geehrt.

Auch nach dem Mauerfall stand er in hohem Ansehen

Auch nach dem Mauerfall stand Dörrier in Pankow weiterhin in hohem Ansehen; neben dem Bundesverdienstkreuz erhielt er auch die „Ehrenmedaille für Verdienste um den Be­zirk Pankow“. Dörrier legte zwei Chroniken in Buchform vor, zuletzt 1971 den Band „Pankow - Chronik eines Berliner Stadtbezirks“. Nach seinem Tode 2002 wurde Dörrier auf dem Ehrenhain des Pankower Friedhofs 3 beigesetzt und an seinem Wohnhaus in der Hiddenseestraße eine Gedenkplakette angebracht.

Die Rosenthaler Grundschule wurde 2004 nach ihm benannt; zuvor hatten Schüler mit dem damals noch lebenden Rudolf Dörrier Gespräche zu seinem Leben und Wirken als aufrechtem Antifaschisten geführt. Zur Bigotterie der DDR-Führung gehört auch, dass das Ministerium für Staatssicherheit offenbar spätestens seit 1970 von seiner Vergangenheit als SS-Mann wusste, wie der Historiker Harry Waibel herausfand.

Ob Dörrier in Kontakt mit der Stasi stand, ist nach Waibels Aussage nicht zu belegen. Einzig seine Tochter, so erfuhr Waibel von dieser, kannte Dörriers SS-Vergangenheit. Ihr habe er gesagt, so Waibel, er habe das nur getan, um die Familie und die Schwiegereltern zu schützen.

Der Historiker Waibel hatte im Zusammenhang mit einem Buchprojekt über ehemalige Nazis in der DDR auch die Geschichte des Schul-Namensgebers erforscht.

Nach Erscheinen eines Textes über Dörrier auf der Onlineseite haGalil.com, die sich jüdischem Leben widmet, wurde Waibel von Eltern kontaktiert, deren Kinder die Grundschule besuchen. Anschließend hatte es seit Ende 2018 an der Schule Diskussionen im Rahmen einer Arbeitsgruppe gegeben. Offen ist, ob und wann die Schule umbenannt wird, die derzeit im Rahmen der Berliner Schulbauoffensive saniert wird und unter anderem eine neue Turnhalle erhalten soll.

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Andere Schule änderten bereits ihre Namen

Ähnliches hat die Peter-Härtling-Schule in Spandau schon hinter sich. Seit Juli 2018 ist sie nach dem Schriftsteller benannt, davor hieß sie „Charlie-Rivel-Grundschule“. Rivel (1896-1983) war ein spanischer Clown, der auch in Deutschland populär war, sein Markenzeichen war der Ausruf „Akrobat schööön“. Rivel war ein Bewunderer Hitlers, offenbar stand er auch den spanischen Faschisten nahe. Das hatten Recherchen der Jugendgeschichtswerkstatt Spandau ergeben.

Auch die Mascha-Kaléko-Schule in Mariendorf hieß früher anders. Sie trug bis 2018 den Namen „Ludwig-Heck-Schule“. Heck (1860-1951) war überzeugter Nationalsozialist und an der Entwicklung der NS-Rassenlehre beteiligt. Er leitete bis 1931 den Zoologischen Garten. 1956 wurde die Schule nach ihm benannt, ab 2014 schulintern über eine Umbenennung diskutiert.

Das Heinz-Berggruen-Gymnasium in Westend war bis 2008 nach Erich Hoepner benannt. Der Wehrmachtsgeneral wurde als Angehöriger des Widerstands 1944 hingerichtet. Seine Biografie ist jedoch zwiespältig. Laut „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ befürwortete er den Krieg gegen die Sowjetunion bedingungslos und ordnete Erschießungen an. Über die Umbenennung wurde lange diskutiert, 2008 wurde die Schule nach dem Kunstmäzen Heinz Berggruen benannt.

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