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Unweit der Marienkirche wurde der Scheiterhaufen zusammengetragen.

© Kai-Uwe Heinrich

Ein Justizmord im Jahr 1510: Berlin erinnert an den Hostienschändungsprozess gegen Juden

In der historischen Mitte starben 39 Juden im Jahr 1510 den Feuertod, zwei wurden geköpft. Am Sonntag wurde der Opfer gedacht. Dabei muss es nicht bleiben.

Vor 510 Jahren brannte vor dem Berliner Georgstor ein Scheiterhaufen. Nachdem ein Kesselflicker aus Bernau bei einem Einbruch in der Kirche von Knoblauch im Havelland eine goldene Monstranz mit zwei geweihten Hostien gestohlen hatte und in der Folter gestand, sie an einen Juden aus Spandau verkauft zu haben, kam es im Land zu einer massiven Verfolgung der jüdischen Gemeinden.

Nach einem Prozess, bei dem die Juden der Mark wegen Hostienfrevels angeklagt waren, starben 39 Juden am 6. Juli 1510 in Berlin den Feuertod. Zwei weitere wurden zunächst getauft und dann geköpft. Alle übrigen jüdischen Einwohner des Landes mussten in der Folgezeit die Mark Brandenburg verlassen.

510 Jahre später stand zwischen Marienkirche und Neptunbrunnen am Alexanderplatz, da wo einst der Berliner Neue Markt war, ein Gedenkkranz mit weißen Blumen auf einem Gestell. Ein Klarinettist spielte getragene Musik. Rund 50 Berlinerinnen und Berliner gedachten auf Einladung des Bezirksamts Mitte am Sonntag der Opfer des damaligen „Justizmords“, wie es Kultursenator Klaus Lederer (Linke) formulierte.

Tatsächlich war der Berliner Hostienschändungsprozess von 1510 für die damalige Zeit nicht untypisch: Als Geldverleiher waren die Juden in der spätmittelalterlichen Gesellschaft verhasst. Der angebliche Hostienfrevel war ein probates Mittel, um sich seiner Gläubiger zu entledigen.

In Brandenburg gibt es eine Gedenkkapelle - für die Hostien

Rund 40 Anklagen gab es wegen Hostienfrevels und Ritualmords im deutschsprachigen Raum in den Jahren 1440 bis 1540, schreibt der vor einigen Jahren verstorbene FU-Historiker Dietrich Kurze. „Von Zeitgenossen wird mitgeteilt, dass viele Berliner bei der Errichtung des Scheiterhaufens freiwillig Hand angelegt hätten“ - und in Erinnerung nicht etwa an die ermordeten Juden, sondern an die geschändeten Hostien wurde in Brandenburg an der Havel sogar eine Gedenkkapelle errichtet.

Kultursenator Klaus Lederer kann sich eine Form des Gedenkens vorstellen, die über die Veranstaltung hinausreicht.
Kultursenator Klaus Lederer kann sich eine Form des Gedenkens vorstellen, die über die Veranstaltung hinausreicht.

© www.imago-images.de

„Die Legenden von angeblichen Hostienschändungen und Ritualmorden waren jahrhundertelang Teil eines religiös motivierten Antisemitismus“, sagte Brandenburgs Kulturstaatssekretär Tobias Dünow während der Gedenkveranstaltung. Und Lederer erinnerte daran, dass erst 1935 ein jüdischer Rabbiner mit einer Gedenktafel am jüdischen Altersheim in der heutigen Mollstraße an die Ereignisse von 1510 erinnerte. Er wies auf die Grünfläche vor der Marienkirche. Dort könnte eine Gedenkstele künftig ihren Platz finden.

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Die jüdische Kantorin Avitall Gerstetter erinnerte an die Verfolgung der Juden über die Jahrhunderte und betonte, heute müsse man das Einigende, das Gemeinsame mehr in den Vordergrund rücken. Schon die Kinder in der Schule sollten von früh auf lernen, was die jüdische Religion wirklich ist: „Eine Bereicherung für die Gesellschaft.“

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