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Rund 10.000 deutsche Ortskräfte warten auf eine Möglichkeit zur Ausreise aus Afghanistan.

© dpa / Alejandro Martínez Vélez

Ein Jahr nach Taliban-Machtübernahme: Erster Kongress afghanischer Ortskräfte in Berlin

Noch immer warten in Afghanistan Tausende frühere Ortskräfte auf die Ausreise. Die Bundesregierung steht in der Kritik, nicht genug für die Rettung zu tun.

Sie haben fürs Militär gedolmetscht, als Handwerker gearbeitet und Kontakte in die örtliche Gesellschaft vermittelt: Ein Jahr nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan leben noch mehr als 10.000 ehemalige afghanische Ortskräfte schutzlos in dem Land am Hindukusch. Darauf hat der Vorsitzende des in Potsdam ansässigen Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte, der Bundeswehroffizier Marcus Grotian, hingewiesen.

Zusammen mit der Evangelischen Akademie Berlin, der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und dem Bundeswehrverband veranstaltete der Verein am Sonnabend in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin den ersten „Kongress Afghanischer Ortskräfte“.

„Deutschland ist verpflichtet, diese Menschen aufzunehmen“, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günther Burkardt. „Denn sie wurden durch das Handeln Deutschlands in Gefahr gebracht.“

Fehlende Ausreisemöglichkeiten aus Afghanistan sind ebenso ein Problem wie die Frage, wer eigentlich Ortskraft ist. Auch Mitarbeiter von Subunternehmern, die für die Bundeswehr arbeiteten, sollten künftig darunter fallen, forderte die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne). „Der Familienbegriff sollte über die deutsche Kernfamilie hinausgehen“, sagte Amtsberg. „Auch die 18-jährige Tochter, die noch im Haushalt der Eltern lebt, sollte künftig mit nach Deutschland dürfen, obwohl sie rechtlich als volljährig gilt.“

Deutlich wurde aber auch die Enttäuschung unter Afghaninnen und Afghanen. „Durch den fluchtartigen Abzug der westlichen Truppen sind die Taliban an die Macht gekommen“, sagte die frühere stellvertretende afghanische Friedensministerin Alema Alema. „Dadurch wurden alle verraten, die sich in den letzten Jahren für die Demokratie und die Menschenrechte eingesetzt haben.“

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Und wer es nach Deutschland geschafft habe, scheitere oft am Wohnungsmarkt und fehlenden Plätzen in Integrationskursen, sagte Hamidullah Arman, der 2015 als Ortskraft kam und heute in einem Integrationsprojekt in Schöneberg Landsleute berät. „Die Menschen, die als Ortskräfte für die Bundeswehr tätig waren, und mit einem Visum einreisten, werden hier vor Ort dann genau so behandelt wie Menschen, die als Flüchtlinge illegal nach Deutschland kamen“, kritisierte Arman.

Brandenburg etwa nahm im ersten Halbjahr 402 afghanische Ortskräfte auf, heißt es in einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Linke). Von Familiennachzug kann allerdings keine Rede sein: Nur eine einzelne Person durfte bislang auf diesem Weg nach Brandenburg kommen. Der Eberswalder Grotian hadert mit seinem Bundesland. „In Brandenburg hatten wir große Schwierigkeiten, überhaupt zu den Menschen in den Aufnahmeeinrichtungen zu gelangen“, sagte er. Erst ein Schreiben an den Ministerpräsidenten habe das geändert.

Mit dem Truppenabzug aus Mali bleibt das Thema Ortskräfte aktuell. „Wie will man sicherstellen, dass die Ortskräfte dort nicht nach sechs Monaten Opfer von Terroristen werden?“, fragte Grotian. „Ist den Menschen klar, dass ihre 18-jährigen Söhne und Töchter nicht mit nach Deutschland dürfen?“

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