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Der Kasseler Regierungspräsident wurde vor seinem Haus erschossen.

© Swen Pförtner/dpa

Ein Jahr nach seiner Ermordung: Berlin bekommt eine Walter-Lübcke-Straße – für einen Tag

Mit der Umbenennung einer Straße in Tiergarten will das Auschwitz-Komitee den von einem Rechtsextremisten ermordeten Politiker ehren.

Von Sandra Dassler

„Wir dürfen den öffentlichen Raum nicht jenen überlassen, die Hass verbreiten und auch nicht vor mörderischer Gewalt zurückschrecken“, sagt Christoph Heubner. Er ist Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, das am Pfingstmontag mit einer ungewöhnlichen Aktion an den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erinnern will, der vor einem Jahr ermordet wurde.

„Um 13 Uhr wollen wir die Sigismund-Straße in Berlin-Tiergarten symbolisch für einen Tag in Walter-Lübcke-Straße umbenennen“, sagte Heubner am Sonntag dem Tagesspiegel: „Wir hoffen sehr, dass sich andere Städte und Gemeinden in Deutschland dem anschließen und vielleicht sogar neue Straßen dauerhaft nach diesem überzeugten und überzeugenden Demokraten benennen.“

Walter Lübcke war in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 vor seinem Wohnhaus durch einen gezielten Kopfschuss getötet worden. Die Polizei nahm wenige Tage später den Rechtsextremisten Stephan Ernst fest, dessen DNA auf der Kleidung des Opfers gefunden worden war.

Ernst gestand die Tat zunächst, widerrief das Geständnis aber nach einem Wechsel seines Verteidigers. Als Motiv hatte er zuvor angegeben, sich über Lübckes Aussagen auf einer Bürgerversammlung im Jahr 2015 empört zu haben. Damals hatte sich der Kasseler Regierungspräsident, der auch für die CDU im hessischen Landtag saß, stark für die Flüchtlinge und gegen Pegida-Anhänger engagiert.

„Walter Lübckes Einsatz für Demokratie und Menschenwürde war beispielhaft“, sagt Christoph Heubner: „Unsere Aktion soll auch eine Ermutigung für seine Familie sein und ein Aufruf an alle Menschen, jene Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die sich gegen rechtsextremen Hass und antisemitische Verschwörungstheorien wenden, zu unterstützen.“

Der Hauptverdächtige Stephan E. – hier von der Polizei abgeführt – gestand die Tat zuerst, zog seine Aussage später jedoch zurück.
Der Hauptverdächtige Stephan E. – hier von der Polizei abgeführt – gestand die Tat zuerst, zog seine Aussage später jedoch zurück.

© Uli Deck/dpa

Dazu werde man einen provisorischen Namenszug über dem Schild der Sigismundstraße anbringen, die nach dem dritten Sohn des deutschen Kaisers und preußischen Königs Friedrich III. benannt ist. Dieser starb 1866 im zarten Alter von zwei Jahren – „er wird es uns verzeihen, dass die Straße einen Tag lang nicht seinen Namen trägt“, sagt Christoph Heubner.

„Es sind Dinge wieder möglich geworden, die wir für undenkbar hielten“

„Aber es ist sehr wichtig, dass der öffentliche Raum von demokratischen Kräften besetzt wird und nicht von jenen, die Verschwörungstheorien verbreiten und damit Terror schüren“, betont er. „Denn nach der Ermordung von Walter Lübcke war Halle, war Hanau. Es sind Dinge wieder möglich geworden, die wir für undenkbar hielten.“

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Das Internationale Auschwitz-Komitee verbinde mit der Aktion einen Appell an jene, die immer noch die große Mehrheit im Land seien. Sie entscheiden, welche Menschen als Vorbild gelten und geehrt werden sollten. „Deshalb gibt es am Pfingstmontag den symbolischen Akt an der Sigismund- Ecke Stauffenbergstraße“, sagt Christoph Heubner.

„Wir hoffen sehr, dass vielleicht demnächst eine Berliner Straße dauerhaft den Namen von Walter Lübcke tragen wird. Eine Straßenbenennung ist ein bleibendes Dokument und auch ein Bekenntnis.“ Ein Vorbild für Berlin gibt es seit drei Tagen: Im hessischen Fulda hat der Magistrat am Freitag einstimmig beschlossen, die in Planung befindliche Erschließungsstraße eines Wohnquartiers am Waidesgrund als „Dr.-Walter-Lübcke-Straße“ zu benennen.

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