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Die Sawade-Besitzer Melanie und Benno Hübel.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Ein Investor für Sawade: Süßes Happy End für Schokoladenmanufaktur

Berlins älteste Pralinenmanufaktur Sawade ist offenbar gerettet: Die Besitzer haben einen Investor in Aussicht. Ein Besuch.

Riecht so das Paradies? Vielleicht. Zumindest das Schokoladen-Paradies. Immer, wenn sich eine der hinteren Fabriktüren zum Hof öffnet, weht Pralinenduft in das Gebäude von Sawade – Berlins ältester Pralinen- und Trüffelmanufaktur in Reinickendorf. Im Konferenzraum des 140 Jahre alten Traditionsunternehmens sitzt an einem Vormittag Anfang Dezember das Ehepaar Hübel, vor ihnen auf dem langen Massivholztisch steht eine kleine Auswahl an Konfekt:

Pistazien-Nougat, Butter-Trüffel, Mandel-Nougat, Marzipan-Krokant, Maraschinokirsche und andere handgemachte kleine Sünden.

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„Wir sind in der umsatzstärksten Zeit vor Weihnachten“, sagt Benno Hübel, einer der beiden Geschäftsführer.

Zusammen mit seiner Frau Melanie ist er zudem Eigentümer, er hat mit ihr 2013 die Manufaktur übernommen.

Die Konfektmacherinnen, Confiseure und Konditoren, die in ihren schokoladenbeklecksten, schwarz-weiß-karierten Arbeitshosen gegenüber aus der Tür zur Pause stapfen, kümmern sich längst nicht mehr um das Weihnachtssortiment.

Sie fangen langsam an, sich an Ostern abzuarbeiten. Die Weihnachtsproduktion lief im Sommer.

Schokoladenkunst seit 140 Jahren. Bei Sawade werden Trüffel und Pralinen nach traditioneller Rezeptur hergestellt. Die Eigentümer wollen das insolvente Unternehmen mit Hilfe eines Investors retten.
Schokoladenkunst seit 140 Jahren. Bei Sawade werden Trüffel und Pralinen nach traditioneller Rezeptur hergestellt. Die Eigentümer wollen das insolvente Unternehmen mit Hilfe eines Investors retten.

© Promo

Das war der Zeitpunkt als bekannt wurde, dass Sawade zahlungsunfähig ist. Eine Insolvenz „in Eigenverwaltung“, betont Benno Hübel. Das heißt: Die Geschäftsführer haben gemeinsam mit einem so genannten Sachwalter das Insolvenzverfahren abgewickelt. Das war offenbar so erfolgreich, dass Sawade weiter bestehen bleiben wird. Zumindest ist das der Stand in diesen Tagen.

Die Hübels haben, wie sie sagen, nach unzählig vielen Gesprächen und kurzen Nächten einen Investor gefunden. Im Januar wird das Ganze konkret: Da muss die Gläubigerversammlung zustimmen. Deshalb will Benno Hübel derzeit noch nicht viel bekanntgeben. Nur so viel: Sie haben jemanden gefunden, der an der Erhaltung der Manufaktur interessiert ist, die Philosophie des Unternehmerpaars teilt und somit auch in ihrem Sinne sein Geld investiert.

Es läuft weiter. Bislang konnten die 84 Arbeitsplätze in dem Reinickendorfer Traditionsunternehmen mit Hilfe des Insolvenzgeldes erhalten bleiben.
Es läuft weiter. Bislang konnten die 84 Arbeitsplätze in dem Reinickendorfer Traditionsunternehmen mit Hilfe des Insolvenzgeldes erhalten bleiben.

© Promo/C.Radke

Was sich jetzt nach einem Happy End zu Weihnachten anhört, war ein langer Weg der Ungewissheit, sagen die Hübels. Dass es überhaupt soweit kommen musste, habe letztlich mit dem ersten Lockdown zu Beginn der ganzen Coronakrise im Frühjahr zu tun. Die meisten Geschäfte mussten – wie nun ab Mittwoch auch wieder – schließen, viele Fachhändler in ganz Deutschland wussten nicht, wie es weiter gehen würde. Das KaDeWe, wo Sawade mit einem neuen Verkaufsshop in der sechsten, der Feinschmecker-Etage, präsent ist, hatte wochenlang geschlossen.

Für Soforthilfen vom Senat waren die Zahlen zuletzt zu schlecht

Zwar durften die vier anderen Sawade-Filialen – der Werksverkauf in Reinickendorf sowie die Läden in der Charlottenburger Reichsstraße, am Hackeschen Markt und die gerade kurz vor dem Lockdown eröffnete Filiale in der Kreuzberger Bergmannstraße – offen bleiben, doch es kam weniger Kundschaft. Am Hackeschen Markt hatte es sich nicht gelohnt, den Betrieb am Laufen zu halten – dort machten die Hübels den Flagship-Store freiwillig dicht.

Und die Soforthilfen vom Senat? Für die kam Sawade nicht in Frage, da der Vorjahreszeitraum schon von Verlusten geprägt war. In der Schokoladenherstellung wird nicht in Kalenderjahren abgerechnet, sondern die Saison geht immer von Juli bis Ende Juni des Folgejahres.

Die Weihnachtspastete ist eine saisonale Spezialität: Aus Marzipan, Nougat, Kirschen und gehackten Nüssen.
Die Weihnachtspastete ist eine saisonale Spezialität: Aus Marzipan, Nougat, Kirschen und gehackten Nüssen.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

„Wir haben zuvor viel in das Unternehmen investiert“, beschreibt Benno Hübel. Denn 2013, als der Betriebswirt und gelernte Koch die Firma übernahm, war diese das erste Mal insolvent.

Sawade sei völlig veraltet aufgebaut gewesen. Nicht einmal einen Katalog für das Konfekt habe es gegeben, kein modernes Abrechnungssystem, und das Abwasser war jahrzehntelang mit all seinen fettigen Abfällen in die Kanalisation geflossen – sie mussten erstmal ordentlich Geld in den Laden stecken und modernisieren.

Mit der Insolvenz in Eigenverwaltung konnten die Jobs erhalten werden

Als sich im „Corona-Sommer“ abzeichnete, dass die Verluste immens waren und das Geld fehlte, um Rohstoffe wie Nüsse, Kakao, Butter, Eier oder auch Alkohol für die anstehende Weihnachtsproduktion zu kaufen, zogen die beiden Besitzer die Reißleine. Den Hübels sei zwar von Anfang an klar gewesen, dass sie das Traditionsunternehmen weiterführen wollten, doch das ging nur, wenn sie es insolvent meldeten: Denn mit dem Geld, so lautete die Kalkulation, könnten zumindest die 84 Jobs erhalten, und die Rohstoffe gekauft werden.

„Das war ein furchtbarer Tag“, erinnert sich Melanie Hübel, als sie sich bei der Betriebsversammlung vor die Belegschaft gestellt hatten und allen verkünden mussten, dass das Unternehmen pleite ist. „Wir haben jeden Einzelnen, der an dem Tag nicht da sein konnte, angerufen und persönlich informiert“, sagt Benno Hübel. Wie würden die Leute reagieren? Glaubt die Mannschaft den beiden, dass sie es ernst meinen und an dem Betrieb festhalten, auch in der Insolvenz? „Es hat niemand seitdem gekündigt“, sagt Hübel.

Die Solidarität mit Sawade sei unfassbar groß gewesen

Er klingt dabei bewegt. Überhaupt, eine „unfassbar große Loyalität“, sei ihnen widerfahren. Auch von Kundinnen und Kunden, Nachbarn, Geschäftspartnern. Eine befreundete Grafikerin hat sofort Postkarten gestaltet und produziert: Mit dem Logo, eine Frau mit Pralinenturm auf dem Kopf, und dazu dem Spruch: „Rettet Sawade, esst mehr Pralinen!“. Auf den unterschiedlichsten Kanälen bekundeten die Leute ihre Solidarität.

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Nun der nächste harte Lockdown. Der Verkauf online war zuletzt stark gewachsen, dieser Vertriebskanal soll ohnehin ausgebaut werden. Die Hübels setzen aber nun darauf, dass so manch einer vor Weihnachten verzweifelt Geschenkideen braucht: Im Online-Shop kann man sich problemlos in die Sawade-Weihnachtswelt“ klicken und dort Pralinenschachteln mit Mistelzweig oder Krippenmotiv ordern.

Die Leute wollen wieder mehr im Kiez einkaufen

Oder gleich eine Weihnachtspastete mit Nougat, Marzipan, Kirschen und gehackten Nüssen. Aber auch die Sawade-Shops wollen die Eigentümer offen lassen – so es denn erlaubt ist.

Die Pandemie hat, je länger sie dauerte, etwas deutlich gemacht: Das Einkaufen im Kiez habe einen neuen Stellenwert bei ganz vielen Menschen bekommen, sagt Melanie Hübel.

Die Leute hätten vermehrt den Drang in ihrer Umgebung „fußläufig einzukaufen“ und jemanden am Tresen zu haben, beraten zu werden, mit jemandem direkt zu sprechen. Ausgerechnet das sei eine Folge des „Social Distancing“.

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