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Franziska Giffey (SPD) hat erneut Ärger wegen einer wissenschaftlichen Arbeit.

© Ronny Hartmann/AFP

Update

„Ein Flickenteppich aus Plagiaten“: Auch Franziska Giffeys Masterarbeit weist offenbar Mängel auf

Neben der Doktorarbeit weist offenbar auch die Masterarbeit der Berliner SPD-Spitzenkandidatin Fehler auf. Das dokumentiert ein Sprachwissenschaftler.

Neben der Doktorarbeit weist offenbar auch die Masterarbeit der Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey erhebliche Mängel auf. Zu diesem Schluss kommt eine Plagiatsprüfung der Arbeit durch eine Forschergruppe, über die das Portal „t-online“ berichtet. Demnach sei die Arbeit der Forscher nicht abgeschlossen. Schon jetzt hätten sie allerdings 62 Stellen in der 91 Seiten (mit Anhang 141 Seiten) langen Arbeit festgestellt, die sie als mehr oder minder schwere Plagiate bewerteten.

Hinter der Untersuchung steht eine Gruppe von Wissenschaftlern rund um Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaften an der Freien Universität Berlin (FU). „Die Masterarbeit ist in großen Teilen ein Flickenteppich aus Plagiaten“, sagte er „t-online“. „Einfachste Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens wurden verletzt.“

Häufig sei es demnach zu einer wörtlichen Übernahme langer Passagen gekommen, ohne dass dies ausreichend gekennzeichnet worden wäre. Es wirke, "als ob gar nicht erst versucht wurde, die Arbeit eigenständig zu formulieren", zitiert das Online-Portal Stefanowitsch, der seine Enthüllungen am Morgen auf Twitter angekündigt hatte.

Giffey hatte zwischen 2003 und 2005 neben ihrer Tätigkeit als Europabeauftragte des Bezirks Neukölln den Masterstudiengang Europäisches Verwaltungsmanagement an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin (FHVR) absolviert, heute Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR).

Im Juni hatte die FU Giffey bereits den Doktortitel entzogen. Die Spitzenkandidatin der Berliner SPD zur Abgeordnetenhauswahl habe in ihrer Dissertation „mindestens mit bedingtem Vorsatz“ getäuscht, so das Urteil der Hochschule nach der erneuten Arbeit einer Prüfkommission.

"Von Hand einen Satz nach dem anderen geprüft"

Wie kamen Stefanowitsch und ein Politikwissenschaftler der FU, mit dem er zusammenarbeitete, zu ihren Ergebnissen? „Wir haben von Hand einen Satz nach dem anderen überprüft, in Suchmaschinen eingegeben, auf den von Giffey verwendeten Webseiten gegengecheckt und uns die Bücher, die sie benutzt hat, besorgt“, sagte Stefanowitsch dem Tagesspiegel.

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Alle Stellen, an denen Formulierungen aus anderen Texten wörtlich übernommen wurden, ohne dass dies durch Anführungszeichen kenntlich gemacht wird, werden die Wissenschaftler als Plagiat. Das geht aus dem von Stefanowisch am Freitagmittag öffentlich gemachten Zwischenbericht zur Plagiatsprüfung hervor (das Dokument finden Sie hier).

Erkannt werden dabei keine Komplettplagiate, sondern durchgehend sogenannte Bauernopfer, in denen für größtenteils wörtlich übernommene Passagen zwar eine Quelle angegeben wird, aber unklar bleibt, in welchem Umfang zitiert beziehungsweise abgeschrieben wurde.

Dazu sagt Stefanowitsch: „In dem Sinne, dass Stellen aus Werken übernommen werden, die gar nicht aufgeführt sind, haben wir keine Komplettplagiate gefunden.“ Es seien bislang aber auch nur Stellen überprüft worden, für die Giffey Quellenangaben macht.

An mehreren Stellen mache Giffey dabei aber falsche Quellenangaben, indem sie zwar angebe, woher das Zitat stammt, tatsächlich aber aus einer anderen Quelle abschreibe. Die wahre Quelle tauche zwar ebenfalls in der Arbeit auf, aber an anderer Stelle, heißt es in dem Zwischenbericht zur Plagiatsdokumentation.

Zitate ohne Anführungsstriche, falsche Quelle angegeben

Demnach schreibt Giffey auf Seite 15: „Der Europarat war nach dem zweiten Weltkrieg die erste politische Organisation im demokratischen Teil Europas, in der die Mitgliedsstaaten auf der Grundlage von Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ihre Zusammenarbeit vertiefen wollten.“

Bei Giffey steht diese Passage ohne Anführungszeichen, als Quelle gibt sie ein in München 2002/2003 herausgegebenes „Europa-Handbuch“ an, laut Plagiatsdokumentation stamme der Satz aber – bis auf ein von Giffey geändertes Wort – aus dem „Handlexikon der Europäischen Union“ von Wolfgang Mickel aus den Jahren 1994/1998, heißt es. Aus Mickels Werk soll Giffey an etlichen anderen Stellen mehr oder weniger umfänglich wörtlich abgeschrieben haben, ohne dies hinreichend zu kennzeichnen.

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Wieder und wieder schreiben die Plagiatsprüfer in ihrer Bewertung: „Die Quelle ist angegeben, die Wörtlichkeit und das Maß der Übernahme ist nicht gekennzeichnet.“ Häufig heißt es auch: „Die Informationen [die Giffey wiedergibt; Anmerkung der Redaktion] stammen nur z.T. aus der angegebenen Quelle; die tatsächliche Quelle ist nur an anderer Stelle angegeben.“

Die Prüfung ergibt keine Komplettplagiate

Zahlreiche Bauernopfer, aber keine Komplettplagiate – wie gravierend sind Giffeys Fehler dann überhaupt? Dazu sagt Stefanowitsch: „Ich habe in meiner Praxis als Hochschullehrer selten so umfassende Plagiate gesehen. Das sind keine Trivialitäten.“ Auch wenn erst rund die Hälfte der Masterarbeit ausgewertet sei, könne man annehmen, dass in einem Drittel fehlerhaft zitiert wurde. „Teilweise sind bis zu 90 Prozent der Seiten auf diese Weise abgeschrieben, teilweise nur ein Satz auf einer Seite.“

Dabei gebe es auch korrekte Zitate, in denen Giffey Anführungsstriche setze oder das Zitat einrücke und so eindeutig kennzeichne. Gelegentlich paraphrasiere sie auch Passagen aus ihren Quellen korrekt, indem sie sie in eigenen Worten wiedergibt. „Das zeigt: Sie wusste, wie es richtig geht“, sagt Stefanowitsch. Insgesamt täusche sie aber eine größere Eigenleistung als die tatsächlich erbrachte vor.

Stefanowitsch: Verstöße hätten zur Exmatrikulation führen müssen

Stefanowitsch ist sich sicher: „Mit dieser Masterarbeit hätte Giffey durchfallen müssen, an meinem Fachbereich hätten die Verstöße zur Exmatrikulation geführt.“

Zu seinem Antrieb, die Masterarbeit der SPD-Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin zu prüfen, sagt der Sprachwissenschaftler, es störe ihn massiv, dass Giffey bis heute nicht die persönliche und politische Verantwortung für die nachgewiesenen Plagiate in ihrer Dissertation übernommen habe. Ähnlich hatte er sich schon früher in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel geäußert.

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Andere Politiker:innen seien als überführte Plagiatoren zurückgetreten und teilweise ganz aus der Politik ausgestiegen. Giffey legte zwar ihr Amt als Bundesfamilienministerin nieder, kandidiert aber weiterhin als Regierende Bürgermeisterin Berlins, ein Amt, das zumindest im Fall von Michael Müller (SPD) mit dem des Wissenschaftssenators verbunden ist. „Das finde ich angesichts der wichtigen Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft und des Ranges der Wissenschaftsstadt Berlin höchst bedenklich“, sagt Stefanowitsch.

Keine Überprüfung der Arbeit an der Hochschule

Nach dem Doktorgrad auch noch ihren Mastertitel aberkannt zu bekommen, muss Giffey jedenfalls nicht befürchten. Aus der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) heißt es dazu sinngemäß, etwaige Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis wären verjährt. „Die Abschlussarbeit von Frau Giffey wird nicht nochmals geprüft“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. „Eine solche Überprüfung ist nach einer Frist von fünf Jahren ab dem Datum des Zeugnisses ausgeschlossen.“

Die neuerlichen Vorwürfe gegen Giffey sorgten für Kritik von Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne): "Wie eine Gouvernante maßregelt sie gerne Menschen und Lebensentwürfe – nur bei sich selbst und der eigenen Partei gelten immer wieder andere Maßstäbe", schrieb sie auf Twitter.

Giffey selbst nahm am Freitag zunächst nicht Stellung zu den Anschuldigungen. Stattdessen äußerte sich ihr Co-Landesvorsitzender der SPD Berlin, Raed Saleh. Er wittert in der Veröffentlichung einen gezielten Angriff im Wahlkampf. "Mich überrascht nicht, dass nun sogar die 16 Jahre alte Arbeit durchleuchtet wird. Auch der Zeitpunkt in der Hochphase des Wahlkampfs ist kein Zufall." Die SPD Berlin konzentriere sich stattdessen auf die Themen, die für Berlin von Bedeutung seien, teilte er mit. Vor diesem Hintergrund freue er sich über den "sehr großen Zuspruch bei den Berlinerinnen und Berlinern für Franziska Giffey".

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