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Die Künstliche Befruchtung ist für viele Paare mit Kinderwunsch häufig die letzte Hoffnung - und dennoch schrecken viele davor zurück.

© dpa

Unfruchtbarkeit und Kinderwunsch: "Bei der Zeugung meiner Tochter waren fünf Menschen anwesend"

Unzählige Hormonspritzen und ständige Arztbesuche. Um ein Kind zu bekommen, nahm unsere Autorin einiges in Kauf. Ein persönlicher Bericht.

Als mein schlimmster Albtraum wahr wurde, war ich gerade mal 28 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich seit etwa 14 Jahren mit Sicherheit, dass ich einmal Mutter werden will, und hatte fast genauso lang die Pille genommen, denn natürlich sollten die Bedingungen für eine Familiengründung stimmen: Ausbildung, Job, Partner und vorher ein bisschen Leben. Nun also war es so weit, nach all der Zeit setzte ich endlich die Pille ab, und es passierte – nichts.

Die Periode blieb aus. Zuerst ein paar Tage, dann eine Woche. Letztlich Monate. Was ich mir mit Anfang 20 gewünscht hätte – ein Leben ohne Monatsblutung –, wurde nun zum Fluch. Denn keine Periode bedeutet auch kein Eisprung. Und wie soll man ohne Eisprung schwanger werden? Aber ich greife vor.

Anfangs dachte ich mir nicht viel dabei, hoffte sogar insgeheim, dass es gleich im ersten Monat geklappt haben könnte mit einer Schwangerschaft. Schließlich passierte das in meinem Umfeld ständig, meine Familie war legendär fruchtbar. Dass ich ernsthaft ein Problem haben könnte, ein Kind zu zeugen, war undenkbar. Ich hatte einige Jahre zuvor sogar insgeheim über eine Bekannte gespottet, die so verzweifelt an ihrem Kinderwunsch gearbeitet hatte, dass es kein anderes Thema mehr für sie gab als Fruchtbarkeitsmonitore, Temperaturkurven und Babynamen. So wolle ich nie enden, vertraute ich meiner besten Freundin damals an. An jene Bekannte habe ich seither oft gedacht und mich innerlich entschuldigt.

Denn der Schwangerschaftstest blieb blütenrein, egal, wie lange ich auch wartete, wie sehr ich dieses doofe freie Feld auch hypnotisierte. Jedes Mal, wenn ich im Drogeriemarkt einen neuen Test besorgen musste, löste das in mir direkt eine ganze Reihe Emotionen aus: Scham, Angst, Hoffnung, Verzweiflung. Natürlich war ich ungeduldig, ich hatte schließlich schon über ein Jahrzehnt darauf gewartet, endlich loszulegen. Aber ich wusste auch, dass der Zyklus nach so vielen Jahren Fremdbestimmung durch die Pille durcheinandergeraten kann. Also wartete ich. Und wartete. Und besorgte mir eine App zur Zyklusbestimmung, damit ich zumindest immer wusste, wie lange ich jetzt schon überfällig war. Ich fing an, im Internet zum Thema Fruchtbarkeit und Zyklus zu recherchieren, und erfuhr, dass erst nach drei Monaten ohne Regelblutung ein medizinisches Problem angenommen wird. Ich erfuhr auch, dass es pflanzliche Präparate in der Apotheke gibt, die man nehmen kann, um den Zyklus zu unterstützen. So begann mein persönlicher Weg durch die Unfruchtbarkeit.

Jede frohe Kunde war für mich ein Schlag in die Magengrube

Ich nahm das zunächst recht gelassen, war optimistisch, dass eine Lösung für mein Problem gefunden würde. Ich war hoch motiviert, das voranzutreiben und auch bereit, dafür mehrmals die Woche zu irgendwelchen Ärzten zu gehen. Mit der Zeit wurde es aber zermürbend und ich zweifelte immer mehr an mir, schließlich war ich augenscheinlich nicht dazu in der Lage, die natürlichste Sache der Welt zu schaffen: mich fortzupflanzen. Mein Partner war zum Glück in dieser schwierigen Zeit eine wichtige Stütze. Geduldig ging er zum Arzt, wenn ich ihn schickte und tröstete mich, wenn es wieder nicht geklappt hatte oder ich mir wegen der unterschiedlichsten Sachen den Kopf zerbrach.

Auch emotional war die Zeit der Kinderwunschbehandlung eine einzige Achterbahnfahrt. Fragen aus der Verwandtschaft („Wann ist es bei euch denn endlich so weit?“), blöde Kommentare („Ihr habt doch noch so viel Zeit“) oder altkluge Bemerkungen („Dann soll es vielleicht nicht sein“) nervten irgendwann nur noch und übten, auch wenn es niemand bös meinte, ungewollt Druck auf mich aus. Am schlimmsten war jedoch der Stress, den ich mir selbst jedes Mal machte, wenn wieder jemand „einfach so“ schwanger wurde.

So sehr ich mich für meine Freunde freute, versetzte mir doch jede frohe Kunde einen Schlag in die Magengrube und das kleine Neidmonster flüsterte mir fiese Dinge ins Ohr. Was dagegen half, war: ausblenden und ablenken, am besten mit etwas, was man mit Baby nicht machen kann, wie ein Wellnesswochenende im schicken Hotel, eine tolle Reise oder einfach ein feuchtfröhlicher Abend mit Alkohol. Bloß nicht verzweifeln oder verbittern, nahm ich mir vor, im Notfall hätte ich mir dazu auch psychologische Hilfe geholt.

Die nächsten Schritte auf meinem Weg halte ich kurz, auch wenn sie mir in der Realität unendlich zäh und langsam vorkamen: Meine Gynäkologin bestimmte einige Hormonwerte, um typische Erkrankungen auszuschließen. Das Ergebnis war ernüchternd, weil nicht besonders aufsehenerregend: Hormonell und körperlich war ich permanent auf dem Stand von Zyklustag 3 oder 4, nur dass es dann eben nicht weiterging; ich nannte das Eierstöcke im Winterschlaf. Einzig auffällig war mein Schilddrüsenwert. Ich ging also zum Nuklearmediziner, um eine Unterfunktion behandeln zu lassen. Als meine Periode weiterhin ausblieb, überwies meine Ärztin mich zur Endokrinologin, die mir – oder besser meinem Zyklus – hormonell auf die Sprünge helfen sollte.

Mit der Unsicherheit der Betroffenen wird auch Geld verdient

Etwa ein Jahr war ich bei ihr in Behandlung, nahm zunächst eine Tablette, die den Eisprung unterstützen soll, später spritzte ich Hormone, um einen normalen Zyklus zu simulieren. Mein Partner und ich mussten in der Zeit tatsächlich Sex nach Kalender haben. In der ersten Zyklushälfte wurde alle paar Tage per Ultraschall kontrolliert, ob eine Eizelle in meinen Eierstöcken heranreift, und so abgeschätzt, wann es wohl zum Eisprung kommen würde. Ganz ehrlich: Sex nach Plan macht keinen Spaß. Der Druck steigt, die Spontanität geht verloren, es fühlt sich nach Arbeit an. Aber für den Kinderwunsch war ich bereit, das auf mich zu nehmen.

Als nach fast zwei Jahren auch die Hormonbehandlung erfolglos blieb, riet uns die Endokrinologin, ins Kinderwunschzentrum zu gehen und weitere Tests zu machen. Ich war inzwischen 30 Jahre alt und bereit für den nächsten Schritt, auch wenn ich mich bis dahin davor gesträubt hatte. Ich hatte Vorbehalte, ja, Vorurteile gegen diese Praxen: Eine Kinderwunschbehandlung ist doch was für Frauen, die zehn Jahre älter sind als ich, und ohnehin ist das alles furchtbar teuer, dachte ich. Aber nach all der Zeit, in der es nicht vorwärtsging und ich mich täglich hilfloser fühlte, war die Kinderwunschklinik plötzlich eine valide Option – und vor allem ein Grund zur Hoffnung. Hier sollten meine Eileiter untersucht werden, auch mein Mann musste eine Spermienprobe abgeben. Schließlich, so drückte eine Ärztin es aus, kann man auch Läuse „und“ Flöhe haben, in diesem Fall würde das bedeuten, dass zusätzlich zu meiner Unfruchtbarkeit auch noch mein Mann eingeschränkte Samenzellen haben könnte. Dass bei beiden Partnern ein Problem vorliegt, ist übrigens bei etwa einem Drittel aller Betroffenen der Fall, sonst liegt es etwa zu gleichen Teilen an der Frau oder am Mann, wenn ein Paar keine Kinder zeugen kann.

Die Tests brachten leider nichts Neues. Auch im Kinderwunschzentrum konnte mir niemand sagen, warum mein Zyklus nicht in Gang kommen wollte. Da bei meinem Mann aber alles so weit in Ordnung war, riet man uns nun zur In-vitro-Fertilisation. Dabei spritzt sich die Frau hoch dosiert Hormone, um möglichst gleich zehn bis 15 Eizellen reifen zu lassen. Diese werden dann zum Zeitpunkt des Eisprungs operativ entnommen und mit dem Sperma des Mannes in einem Reagenzglas zusammengeführt. Im besten Fall befruchten sich Sperma und Eizellen, sodass nach einigen Tagen ein oder zwei Embryonen direkt in die Gebärmutter der Frau übertragen werden können. Oder, um es anders auszudrücken: Bei der Zeugung meiner Tochter waren fünf Menschen anwesend: mein Mann und ich, unsere Kinderwunschärztin und zwei Assistentinnen.

Wir hatten Glück. Gleich der erste Versuch war erfolgreich, ich wurde schwanger und habe neun Monate später eine gesunde Tochter zur Welt gebracht. Auch wenn mir das niemand mit Sicherheit sagen kann, so bin ich überzeugt davon, dass das an meinem jungen Alter lag. Ich war erst 30 Jahre alt und hatte damit eine Chance von etwa 35 bis 40 Prozent, schwanger zu werden, da mir zwei Embryonen eingesetzt wurden. Zum Vergleich: Eine gesunde Frau im mittleren Alter hat in einem normalen Zyklus eine Chance von etwa 20 Prozent, dass es klappt. Je älter eine Frau wird, umso kleiner wird diese Zahl. Generell sagt man: Paare mit aktivem Kinderwunsch werden statistisch gesehen innerhalb von sechs bis zwölf Monaten schwanger. Wenn nach einem Jahr nichts passiert ist, lohnt es sich, medizinischen Rat zu suchen.

Nur jedes fünfte Paar nimmt professionelle Hilfe in Anspruch

Das ist ohnehin eine der wichtigsten Lehren für mich aus meiner Odyssee zum Wunschkind: nicht zu lange zögern, nicht zu viel Zeit verstreichen lassen und proaktiv nach Lösungen suchen. Ich habe durch meine persönliche Geschichte und die Recherchen zu meinem Buch sehr viele Betroffene kennengelernt und dabei immer wieder festgestellt, dass viele zu lang warten, bevor sie sich Hilfe holen – aus Angst vor hohen Kosten oder gesellschaftlichem Stigma oder einfach, weil sie es nicht besser wissen. Schätzungen zufolge geht nur jedes fünfte betroffene Paar tatsächlich ins Kinderwunschzentrum; die anderen finden sich damit ab, keine Kinder bekommen zu können, oder hoffen auf ein Wunder.

Dabei sind die Vorbehalte oft unbegründet. Die Krankenkassen bezahlen sehr viel mehr als angenommen (Untersuchungen, Hormontherapie) und sind sogar gesetzlich verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen die Hälfte der Kosten für bis zu drei Versuche zu übernehmen. Einige Kassen erstatten sogar 100 Prozent der Kosten – sie wollen so junge Kunden an sich binden. Zudem gibt es in einigen Bundesländern staatliche Zuschüsse. Bedingung dabei ist immer, dass die Partner verheiratet sind und bestimmte Altersgrenzen nicht überschreiten. Auch ist genau geregelt, welche Maßnahmen übernommen werden.

All diese Details wirken fürchterlich kompliziert und schrecken viele Leute ab, sich näher damit zu beschäftigen. Auch ich habe mich während der Kinderwunschbehandlung meist unsicher und den Ärzten ausgeliefert gefühlt. Ich wusste nicht, wo ich stehe, wie weit mein Weg noch ist und ob ich ans Ziel komme. Die vielfältigen zusätzlichen Untersuchungen und Behandlungsmethoden haben mich verwirrt und überfordert. Was, wenn die 200 Euro für den Spezialbrutkasten den Unterschied machen? Ob das Nahrungsergänzungsmittel doch meine Eizellqualität verbessert? Ich habe mir oft einen Kompass gewünscht, der mir sagt, wo es langgeht.

Letzten Endes bin ich unversehrt am anderen Ende des Kinderwunschdschungels herausgekommen, auch wenn ich mich zwischendurch mehrfach verloren wähnte. Das gehört leider dazu, genau wie blaue Flecken von den Spritzen und die Tatsache, dass man im wahrsten Sinne des Wortes sein Innerstes allen möglichen Ärzten offenbart. Mir hat dabei geholfen, mich mit anderen auszutauschen und über meine Ängste und Sorgen zu sprechen. Ich habe kein Geheimnis aus meiner Unfruchtbarkeit gemacht und dafür viel Zuspruch erhalten. Vor allem habe ich so erfahren, dass es überraschend vielen Menschen so geht wie mir.

Einige müssen sich allerdings damit abfinden, dass es leider auch mit medizinischer Hilfe nicht klappt. Wenn die legalen Möglichkeiten in Deutschland erschöpft sind, die Frau in die Wechseljahre kommt oder beim Mann keine einzige Samenzelle mehr gefunden wird, muss man irgendwann akzeptieren, dass es zumindest mit eigenen Kindern nichts mehr wird.

Psychologen versuchen dann, das Schöne am Leben ohne Kinder in den Vordergrund zu stellen und den Betroffenen klarzumachen, dass sie auch so glücklich sein können. Ganz selten geschieht gerade dann ein Wunder und die Frau wird doch plötzlich auf ganz natürliche Art schwanger; zumindest hört man das immer wieder. Tatsächlich ist das eher selten der Fall. Ich bin froh, dass ich an diesen Punkt nie gekommen bin. Aber im Falle eines Falles wäre für uns auch Pflegeelternschaft oder Adoption infrage gekommen. Ich wusste immer, dass ich irgendwann Mutter sein würde. Das hat mir geholfen, gelassen zu bleiben.

Angebote für Frauen in meiner Situation gibt es genug. Ob medizinisch oder alternativ, ob mit Nahrungsergänzungsmitteln, Kinderwunschyoga oder Medikamenten – am Ende muss jeder seinen Weg finden, entspannt zu bleiben und sich nicht verrückt machen zu lassen. Nach meiner Erfahrung ist dabei „weniger“ oft „mehr“, denn man gewinnt schnell den Eindruck, dass mit der Unsicherheit der Betroffenen Geld verdient werden will. Das ist aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Im Jahr 2015 sind in Deutschland 20 949 Kinder nach einer künstlichen Befruchtung zur Welt gekommen. Eine davon war meine Tochter.

Melanie Croyé ist freie Journalistin in Berlin und Autorin des Ratgebers „Wenn der Storch nicht von alleine kommt – gelassen durch die Kinderwunschbehandlung“ (Beltz-Verlag, 19,95 Euro). Sie hat zwei Töchter, die sie nur mithilfe der Reproduktionsmedizin bekommen konnte.

Melanie Croyé

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