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Anna de Carlo (Standortkoordination), Sabine Kroner (Projektleitung) und Issa Khatib (Koordinator Urbane Praxis/Netzwerk) vom Kunst- und Kulturprojekt "Nachbarschaftscampus Dammweg" auf dem ehemaligen Schulgartengelände in Neukölln.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ein Campus für die Nachbarschaft in Berlin-Neukölln: Kultur- und Gartenprojekt will neue Formen des Zusammenlebens erproben

In einem ehemaligen Neuköllner Schulgarten entsteht ein Kulturprojekt für die Nachbarschaft: Anwohner:innen können die Flächen zum gärtnern nutzen, aber auch für Kunstprojekte.

Ein bisschen wirkt es, als hätten die Schüler:innen die Räume gerade erst verlassen. In einem alten Klassenzimmer steht noch ein Multimediaschrank mit Röhrenfernseher und Videokassetten, in den Schränken im ehemaligen Lehrerzimmer stapeln sich Ordner über Weinanbau neben Büchern über seltene Pflanzenarten und Hühnerhaltung. 

Vor rund vier Jahren gab die Carl-Legien-Oberschule ihren Standort am Dammweg auf. Bis 2017 lernten Schüler:innen der Berufsfachschule hier im Grenzgebiet zwischen Neukölln und Treptow alles über Pflanzenanbau und Gärtnerei, dann änderte die Schule ihr Profil und gab den Arbeitsbereich auf.

Der Aufbruch muss plötzlich gewesen sein, vieles wurde einfach zurückgelassen. Seitdem lag die rund 12.000 Quadratmeter große Schulfläche brach. Nachbar:innen und Bezirkspolitik diskutieren seither über die Zukunft des Geländes, in einer Machbarkeitsstudie wird aktuell der Bau einer Turnhalle geprüft.

Ganz andere Pläne mit dem Gelände hat das Netzwerk Berlin Mondiale. Seit Anfang des Jahres bringen Mitarbeiter:innen, Ehrenamtliche und Engagierte aus der Nachbarschaft wieder Leben in die alten Gewächshäuser, Klassenzimmer und Gartenflächen. Berlin Mondiale entstand ursprünglich als Kunstprojekt, das Geflüchtete mit Kultureinrichtungen zusammenbrachte.

Mittlerweile denkt das Netzwerk das Zusammenleben in der Stadt insgesamt neu. Der Nutzungsvertrag für den „Nachbarschaftscampus Dammweg“, der hier aktuell entsteht, läuft zunächst bis Ende Dezember. Ob und wie es danach mit der Fläche weitergeht, ist ungewiss.

Die Fläche lag vier Jahre lang brach und war zum Teil zugewuchert.
Die Fläche lag vier Jahre lang brach und war zum Teil zugewuchert.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Als wir hier ankamen, sah es ein bisschen aus, als wäre eine Katastrophe wie in Tschernobyl passiert und die Menschen hätten alles Hals über Kopf verlassen“, sagt Projektleiterin Sabine Kroner. Einige Unterlagen, die sie in den Räumen fanden, gehen bis auf die 1920er zurück.

Damals, 1928, entwarfen der Architekt Bruno Taut und der Reformpädagoge Fritz Karsen hier eine Gesamtschule für bis zu 2500 Kinder. Bereits 1929 scheiterte das ehrgeizige Projekt wegen der Weltwirtschaftskrise. Einziges verbliebenes Zeugnis ist ein denkmalgeschützter, rechteckiger Pavillon des bekannten Architekten im vorderen Bereich des Geländes. 

Statt wie geplant ein Muster für eine neue Art von Schule wurde aus dem Pavillon ein Geräteschuppen und Wohnfläche für Lehrkräfte. Seit einer Sanierung vor einigen Jahren steht er leer, die Zeit hat erneut ihre Spuren hinterlassen.

Vom Modellprojekt von Bruno Taut und Fritz Karsen Anfang der 1920er Jahre blieb nur ein denkmalgeschützter Pavillon.
Vom Modellprojekt von Bruno Taut und Fritz Karsen Anfang der 1920er Jahre blieb nur ein denkmalgeschützter Pavillon.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Die Gewächshäuser waren komplett zugewuchert und voller abgestorbener Pflanzen“, sagt Issa Khatib, der sich beim Nachbarschaftscampus um den Bereich „Urbane Praxis“ kümmert. Khatib deutet in eine Ecke des Gewächshauses, wo sich noch die vertrockneten Reste einer Pflanze um Gitterstreben wickeln. 

Mittlerweile wird das Gewächshaus wieder genutzt: Eine Gartengruppe baut Gemüse an, die ersten grünen Setzlinge lugen bereits aus den Beeten. In einem weiteren Gewächshaus ragen noch die Reste alter Pflanztische aus dem Boden, die nach und nach abgerissen werden.

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„Die waren einfach zu kaputt“, sagt Issa Khatib, der längst überlegt, was er aus den alten Materialien bauen könnte. An der Wand stehen Pflanztöpfe einer arabischen Frauengruppe, Hibiskus, Auberginen, Paprika. Auch eine Gruppe von Senior:innen aus der Nachbarschaft gärtnert mit.

Eine arabische Frauengruppe trifft sich hier zum gemeinsamen Gärtnern.
Eine arabische Frauengruppe trifft sich hier zum gemeinsamen Gärtnern.

© Kitty Kleist-Heinrich

Genau das ist die Idee des Projektes: Eine Anlaufstelle sein für Menschen aus der Nachbarschaft, aber auch dem weiteren Umkreis. Platz bieten für Ideen, egal, ob für ein Kunstprojekt, zum Gärtnern oder einfach nur zum Dasein. „Genau solche Orte fehlen hier einfach in der Nachbarschaft“, sagt Sabine Kroner. 

Sie blickt auf die Hochhäuser der Weißen Siedlung, die sich direkt hinter der Fläche auftürmen. Über 4000 Menschen leben in der Siedlung, die als Problemviertel gilt. Mehr als die Hälfte der Anwohner:innen bezieht Transferleistungen, etwa die Hälfte ist jünger als 18 Jahre. Rund drei Viertel haben eine Migrationsgeschichte.

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Der Nachbarschaftscampus soll eine Verbindung herstellen: Zwischen den Menschen im Norden, aus der Weißen Siedlung, und den Menschen im Süden, einer denkmalgeschützten Reihenhaussiedlung aus den 1920er Jahren. „Wir haben gesagt: Wir öffnen das hier für alle“, sagt Sabine Kroner.

Als erstes bauten sie eine Tür

Einer der ersten Akte war deswegen eine Tür: Bislang war die Fläche nur von Süden her begehbar. Für die Senior:innen aus der Weißen Siedlung war der Weg schlicht zu weit. Nun öffnet sich die Fläche auch nach Norden.

In einem weiteren ehemaligen Gewächshaus soll eine Bühne entstehen, davor eine Fläche aus Gras. „Für Theateraufführungen, aber auch für Yogaklassen“, sagt Sabine Kroner. Der rote Teppich ist bereits ausgerollt, die Bühne bis auf einen beigen Stuhl und eine grüne Topfpflanze noch leer. Statt grünem Rasen gibt es nur grauen Beton und beigen Sand. Aber die Idee, was hier mal entstehen könnte, hat Kroner bereits im Kopf.

Im hinteren Teil, neben einer alten Streuobstwiese, werden gerade Nachbarschaftsbeete angelegt. Daneben befanden sich bis vor zwei Jahren Weinreben. Die ehemalige Anbaufläche ist nun Teil der Sonnen-Grundschule, die Schulhofflächen benötigte. Fast 40 Jahre lang wurde hier Wein angebaut. Alte Zeitungsfotos zeigen die Pflanzung der ersten Reben am 14. April 1973: Im Hintergrund die Türme der Weißen Siedlung, im Vordergrund begießen ein rundlicher Pfälzer Weinbauer und die damalige Pfälzer Weinkönigin die 360 jungen Reben nach alter Sitte mit Wein.

In einem der alten Gewächshäuser soll eine Bühne entstehen.
In einem der alten Gewächshäuser soll eine Bühne entstehen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Viele Ideen gab es bereits für die Fläche, einige wurden umgesetzt, andere wieder verworfen. Der Nachbarschaftscampus sieht sich gewissermaßen als Fortsetzung der alten Konzepte von Bruno Taut: Als Ort, an dem neue Vorstellungen über das gemeinsame Zusammenleben entstehen können, als Experimentierfeld. 

Die Bedarfe in der Nachbarschaft seien hoch, sagt Sabine Kroner. „Unser Anliegen ist es zu zeigen, dass dieser Campus unter Pandemiebedingungen, aber auch darüber hinaus einen Wert hat für die Nachbarschaft.“ Und ein Ort ist, der Türen öffnet, die lange geschlossen waren.

Weitere Infos zum Nachbarschaftscampus Dammweg und den weiteren Projekten von Berlin Mondiale gibt es unter berlin-mondiale.de.

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