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Krankenschwester Jana im Kinderhospiz Sonnenhof in Pankow.

© Foto: Kitty Kleist-Heinrich

Ein Besuch im Kinderhospiz: Arbeit mit Herz

Hospize gibt es auch für Kinder. Anders als bei Erwachsenen steht bei ihnen eher nicht das Sterben im Vordergrund. Den Kleinen soll eine schöne Zeit ermöglicht, Eltern entlastet werden. Der Tod ist aber auch hier präsent. Ein Besuch in Pankow

Mit einem Lächeln im Gesicht kommt Pflegerin Jana – blonde gewellte Haare, blaues Oberteil, grüne Hausschuhe – in Annabells Zimmer: „Achtung, Achtung! Der wilde Teenager ist da!“ Gemeint ist Annabell. Das Mädchen wird in wenigen Wochen 16 Jahre alt, steckt mitten in der Pubertät. Um das linke Handgelenk trägt Anni – wie sie meist genannt wird – ein Armband aus Perlen, auf ihrem Nachtschrank stehen kleine Nagellackflaschen. Das Mädchen mit den kurzen dunkelroten Haaren liebt die Geschichten von Harry Potter genauso wie Schokolade und pinke Klamotten. Eben „ein richtiger Teenager“. Das wird Jana nicht müde zu betonen. Das beschwört ein bisschen Normalität, doch ein normales Leben kann Anni nicht führen. Kurz nach ihrer Geburt hat sie einen Sauerstoffmangel erlitten. Heute ist sie beeinträchtigt, eine Muskelerkrankung zwingt sie in den Rollstuhl. Immer wieder verkrampft sich ihr Körper. Anni kann nicht allein essen, keinen Stift halten und nicht sprechen. Höchstens ein paar Laute von sich geben. Kognitiv aber ist die 15-Jährige fit. Was andere ihr erzählen, versteht sie problemlos.

Sie hat hier gewissermaßen Ferien gemacht

„Und sie ist so sympathisch und offen. Sie lacht viel“, sagt Jana. Die 40-Jährige ist Krankenschwester im Kinderhospiz Sonnenhof der Pankower Björn Schulz Stiftung. In den vergangenen 20 Tagen war das Hospiz Annabells Zuhause. Während ihre Eltern verreist waren, hat sie hier gewissermaßen Ferien gemacht. Morgen wird sie abgeholt. Anders als in einem Erwachsenenhospiz geht es hier in Pankow nicht nur darum, Menschen im Endstadium ihrer Krankheit bis zum Tod zu begleiten, sondern auch um Entlastung zu schaffen – für Kinder und Eltern gleichermaßen.
Zwölf Betten für Kinder und Jugendliche sowie fünf Appartements für Eltern beherbergt das 2002 errichtete Hospiz. Herkommen darf jeder, der laut Paragraf 39a SGB V an einer unheilbaren Erkrankung leidet. Darunter sind Kinder mit Stoffwechsel-, Muskel- oder Krebserkrankungen. Pfleger, Seelsorger, Psychologen, Therapeuten und Pädagogen begleiten sie. Aktuell sind nur sechs Betten belegt. Zwei weitere Kinder befinden sich in der Klinik. Zwölf Schützlinge aufzunehmen ist laut Stefan Krämer, dem pädagogischen Leiter der Einrichtung, aber auch gar nicht möglich. „Es mangelt an Pflegefachkräften. Deshalb können wir aktuell nur zehn Betten belegen“, sagt er.
Heute ist Jana Annabells Pflegerin. Sie kümmert sich ausschließlich um die 15-Jährige, die nicht zum ersten Mal im Sonnenhof ist. Ein weißer Stoffhase sitzt auf ihrem Schoß, als Jana ihr die Schuhe wechselt. Sandalen aus, neue Strümpfe, feste Schuhe an. „Achtung, kalte Hände“, ruft Jana. Prompt beginnt Annabell ihre Füße zu verkrampfen. „Es ist alles gut. Entspann dich.“

Am Teich erinnert jeder Stein an ein verstorbenes Kind.
Am Teich erinnert jeder Stein an ein verstorbenes Kind.

© Kitty Kleist-Heinrich

Den Hasen hat Jana ihr zu Ostern geschenkt – weil sie Annabell so gerne hier habe. Mit ihr könne man „richtig was anstellen“. Bei ihr stehe nicht – so wie bei anderen Kindern im Haus – die Medikamentengabe oder Beatmung im Mittelpunkt. Was Annabell sich wünsche, werde gemacht: Harry-Potter-Filme gucken zum Beispiel. Oder mit Hund Koda Gassi gehen. So wie heute. Es klingt ein bisschen wie ein lautes Quieken, das Annabell von sich gibt, als sich ihre Zimmertür öffnet und der kleine Vierbeiner – eine Mischung aus Cockerspaniel und Pudel – hereingestürmt kommt. Ja, Lachen kann Annabell ganz wunderbar. Bis zu den Ohren strahlt sie, als Koda mit dem Schwanz wedelnd ihren Rollstuhl umkreist. „Hier ist die Leine“, sagt Jana. Annabelle streckt sofort die Hand aus. „Jetzt geht’s raus.“ Mit Koda um die Häuser ziehen, das habe sie unbedingt noch einmal machen wollen, bevor es morgen nach Hause geht.

Hier kann sie sich die Zeit mit den Patienten gut einteilen

Am Anfang sei die Kommunikation noch etwas holprig gewesen, gesteht Jana. Annabell muss man verstehen lernen. Geht der Blick etwa schräg nach oben, bedeutet das ein Ja. Ja sagt sie auch zu einer Runde um den Block. Die Kapuze über den Kopf, eine Decke auf den Schoß, Koda an der Leine. Ein paar Tropfen fallen vom Himmel. Während Jana neben Annabells Rollstuhl spaziert, erzählt sie von ihrer Arbeit. Davon, dass sie hier beruflich angekommen ist. Die gebürtige Dessauerin ist ausgebildete Krankenschwester, hat einen sogenannten Palliativ-Care-Kurs gemacht. Vorher arbeitete sie in einem Erwachsenhospiz: „Da hatten wir viel mehr Betten und im Nachtdienst waren wir auch allein.“ Dort sei sie ständig „herumgerannt“. Im Sonnenhof hingegen funktioniere das Team, hier könne sie sich die Zeit mit den Patienten gut einteilen. Niemand wirke gestresst.
Bei Erwachsenen gehe es immer um die Endpflege. Im Kinderhospiz geht es einfach mal darum, den Kleinen ein paar schöne unbeschwerte Tage zu machen. „Es waren schon Kinder hier, die mussten nachts beatmet werden und am Tage gingen wir Hand in Hand durch den Park“, sagt sie. „Solche schönen Momente gibt es auch.“ Ein Geschenk sei es, betont Jana immer wieder, mit den Kindern arbeiten zu dürfen.

Zurück in ihrem Zimmer mit den gelben Vorhängen und den hellblauen Wänden zeigt Annabell ihren Sprachcomputer. Mit ihren Augen wählt sie bunte Bilder und Emojis an. „Ich möchte trinken“ oder „Ich will Mama anrufen.“ Letzteres wird sofort erledigt – per Videoanruf. „Die Anni war mit Koda unterwegs“, erzählt Jana ihr, während Annabell groß und breit strahlt.
Die 15-Jährige hat – wenn alles gut läuft – noch viele Lebensjahre vor sich. Das ist nicht bei allen Kindern so, die das Hospiz besuchen. Schließlich ist es auch ein Ort, um in Ruhe sterben zu können. Daran etwa erinnern die Steine, die rings um den Teich im großen Garten des Kinderhospizes liegen. Flori, Luki, Miriam – jedem verstorbenen Kind ist ein Stein gewidmet.

[Der Bundesverband Kinderhospiz setzt sich dafür ein, das Tabuthema „Kinder und Tod“ in die Öffentlichkeit zu bringen und betroffene Kinder und Familien aus dem sozialen Abseits zu holen. Kontakt unter www.bundesverband-kinderhospiz.de. Diesen und weitere interessante Artikel rund um das Thema Krebs finden Sie im aktuellen Gesundheitsratgeber „Tagesspiegel Onkologie.“ Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www.tagesspiegel.de/shop, Tel. 29021-520 sowie im Zeitschriftenhandel.]

Für Außenstehende sei es immer ein kleiner Schock, wenn sie erzähle, dass sie in einem Kinderhospiz arbeite, sagt Jana. „Natürlich ist es auch intensiv. Man macht Grenzerfahrungen, die einen wiederum erden.“ Durch ihre Arbeit habe sie sich selbst erst richtig kennengelernt. Was bedeutet Leben? Was Sterben? „Ich denke, wir befinden uns in einem Kreislauf. Das Sterben gehört einfach dazu“, sagt sie. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf könne sie Kinder besser bis zum Tod begleiten. Deshalb kommt es nicht selten vor, dass Jana von einer „schönen Begleitung“ spricht. „Klingt verrückt, wa?“, fragt sie und erklärt, dass jedes Kind einen schönen Abschied verdient habe. Noch einmal einen Film schauen, noch einmal Burger essen, noch einmal nach draußen gehen. Bis zum letzten Moment solle jedes Kind „von Liebe umgeben“ sein. Bei manchen müsse sie einfach nur ruhig am Rand des Bettes sitzen und gar nicht viel sagen. Hauptsache, jemand sei da. Wenn sie das erzählt, wirkt Jana sehr taff. „Es ist aber nur menschlich, wenn auch mal eine Träne fließt“, sagt sie und lächelt. „Das ist Arbeit mit Herz.“

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