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Lebenserfahren und empathisch. Wolfgang Barenberg und Gabriele Sonnek sind Mediatoren.

© Kai-Uwe Heinrich

Ehrenamtliche Mediatoren an der Schule: "Die gehen anders raus, als sie reingekommen sind"

Mitglieder des Vereins „Seniorpartner in School“ dienen als Ansprechpartner für Schüler, die Probleme haben.

Links an der Wand hängt eine Schiefertafel, rechts stehen drei Topfpflanzen, und dazwischen verwandelt sich Gabriele Sonnek in jemand anders: Sie schaut etwas gehetzt, wie jemand, der in Gedanken bei mehreren Themen ist. Sie ist in die Rolle eines bestimmten Lehrers der Georg-von-Giesche-Schule in Schöneberg geschlüpft – eines Lehrers, mit dem der Schüler, der vor ihr sitzt, ein Problem hat. Es geht um die Frage, wie er diesen Lehrer ansprechen soll. Etwa so? „Äh, ich habe ein wichtiges Problem, das muss ich jetzt mit Ihnen besprechen.“?

Nein, jedenfalls nicht, wenn der Schüler erwartet, dass der Lehrer aufmerksam zuhört und ihm vielleicht sogar mit klugen Kommentaren weiterhilft.

Also, Punkt eins, das Timing ist entscheidend. „Man spricht einen Lehrer nicht zwischen Tür und Angel an“, sagt Gabriele Sonnek, „man lässt sich einen Termin geben.“ Okay?

Ja, okay. Der Schüler vor ihr nickt. Also nochmal. Wie läuft das jetzt mit der Bitte um ein Gespräch? Gabriele Sonnek blickt wieder gehetzt, wieder ist sie der Lehrer, wieder steht sie unter Strom. Da kommt die vorsichtige Schüler-Frage: „Entschuldigung, könnte ich bitte einen Termin haben. Ich möchte gerne mit Ihnen etwas Wichtiges besprechen.“

Gut, läuft doch. Bringt doch etwas, das Rollenspiel hier in diesem nüchternen, kleinen Raum im ersten Stock der Georg-von-Giesche-Schule.

Die Mediatoren sind bereits Rentner

Eigentlich ist Gabriele Sonnek ja schon 71 Jahre alt, die Zeit, als sie Grund- und Realschullehrerin war, ist längst vorbei, jetzt schult sie Schüler und Schülerinnen, wie die vernünftig vorgehen, wenn sie etwas wollen. Eine Mediatorin. Und der Schüler vor ihr möchte etwas. Er fühlt sich von einem bestimmten Lehrer der Schule schlecht behandelt, er fühlt sich übergangen, er glaubt die schlechten Noten hingen damit zusammen, dass der Pädagoge ihn offenbar nicht leiden kann.

Er kann allerdings nicht erwarten, dass sich Gabriele Sonnek auf seine Seite stellt und ihm Recht gibt. Er kann auch nicht erwarten, dass sie zu seinem Lehrer geht und ihm weiterträgt, was sie gerade erfahren hat. Aber er darf erwarten, dass sie ihm beibringt, wie er mit dem Pädagogen ins Gespräch kommt und damit ein paar Probleme lösen kann. Vieles beruht ja auf einer falschen Wahrnehmung.

Neben Gabriele Sonnek sitzt Wolfgang Barenberg, ein 76-jähriger ehemaliger Marine-Offizier. Er hat die Szene beobachtet, er bewertet das Rollenspiel, er gibt Tipps, er ist der Partner von Gabriele Sonnek. Aber so kann eine Stunde ablaufen in diesem kleinen, nüchternen Raum. Ein Beispiel von vielen. Ein Beispiel, das die Beiden schildern. Es hat vor einiger Zeit stattgefunden, dieses Rollenspiel.

200 Ehrenamtler sind im Einsatz

Die 71-jährige Ex-Lehrerin und der frühere Berufssoldat mit der schneidigen Stimme, sie sind zwei von insgesamt 200 Ehrenamtlern, die im Verein „Seniorpartner in School“ organisiert sind und in 60 Schulen in Berlin als Mediatoren arbeiten. Oft genug bilden sie die Brücke zwischen Pädagogen und Schülern. Sonnek und Barenberg verkörpern den Typus, der für diese Aufgaben gesucht wird. Sie haben Lebenserfahrung, sie haben viel Zeit mit jungen Menschen verbracht, sie können sich in ihr Denken einfühlen.

Der kleine Raum mit den Topfpflanzen und der Schiefertafel, der Arbeitsplatz der Mediatoren Sonnek und Barenberg, ist so etwas wie die neutrale Zone in einer Umgebung, in der Konflikte permanent neu aufflackern. Mediatoren wie Sonnek und Barenberg sind Ansprechpartner für alle Themen des Schul- und Schüleralltags. Mobbing, Konkurrenzdenken, Hänseleien, Liebeskummer, Cliquen-Rivalitäten, Konflikte in der Familie. „Wir sind keine Lehrer, wir sind unabhängig“, sagt Barenberg, „das ist wichtig. Zu uns kommen Schüler mit Themen, die sie mit Lehrern nicht besprechen wollen oder können.“ Rollenspiele gehören zur Problemlösung.

Es gibt ein paar Prinzipien bei dieser Mediationsarbeit. „Verschwiegenheit“, sagt Gabriele Sonnek, „Freiwilligkeit und das Herstellen einer Win-win-Situation.“ Hier werden Fronten aufgelöst, nicht verhärtet. „Die gehen anders rein als sie wieder rausgehen“, sagt Sonnek.

Einmal pro Woche ist Sprechstunde

Jeden Donnerstag stehen die Beiden zur Verfügung, jeweils vier Stunden. Im Schnitt dauert jedes Gespräch eine Stunde. Wenn das nicht reicht, machen sie mit dem Schüler oder der Schülerin einen neuen Termin aus, notfalls kommen sie auch noch an einem zweiten Tag in der Woche. „Die Schulleitung unterstützt uns sehr, das ist ein enormer Vorteil“, sagt Barenberg. Mitunter gehen sie auch direkt in die Klassen, die Lehrer sind dann nicht dabei, dann können die Schüler offen reden.

Wer zu den Mediatoren kommen möchte, benötigt einen Laufzettel. In der Regel wird der von Lehrer auch unterschrieben, nur wenn es aus schulischen Gründen gar nicht geht, verzögert sich der Besuch bei Sonnek und Barenberg. Nicht selten schicken die Lehrer selber die Schüler zu den Mediatoren, sie sehen ja den pädagogischen Erfolg.

Manchmal geht es im ersten Stock dann um kulturelle Konflikte: Einmal saßen ein 15-jähriger Jugendlicher, der aus einem arabischsprachigen Land stammt, und seine gleichaltrige Freundin vor ihnen. Sie mussten ihre Liebe geheim halten, die Eltern des Jungen waren gegen die Beziehung. „Die brauchten jemanden, mit dem sie reden konnten“, sagt Gabriele Sonnek. Immer wieder saßen sie vor den Mediatoren, manchmal weinte der Junge, er war so verzweifelt wie seine Freundin. Barenberg und Sonnek konnten nicht viel machen, mussten sie auch gar nicht. Sie mussten nur zuhören. Das Paar benötigte dringend jemanden, dem es seine Sorgen mitteilen konnte. Letztlich half es nichts: Der Stress war zu groß, die Beziehung zerbrach.

Ein Problem war ein Fall fürs Jugendamt

In einem anderen Fall ging es um ein Mädchen aus einem arabischsprachigen Land. Es weigerte sich nach Hause zu gehen. Die Lehrer sahen eine völlig verängstigte Schülerin, die auf ihrem Stuhl saß, als wäre sie dort fest geklebt. Einer Lehrerin erzählte sie dann den Grund: Sie sollte zwangsverheiratet werden. Die Pädagogin rief Barenberg und Sonnek zur Unterstützung. Das war nun kein Fall mehr allein für die Schule.

Während die Lehrerin sich um das aufgelöste Mädchen kümmerte, alarmierten die Mediatoren das Jugendamt. Dessen Mitarbeiter brachten die Schülerin an eine anonyme Adresse und sorgte dafür, dass die Eltern zwar informiert wurden, aber nicht erfuhren, wo ihre Tochter war. Das sind aber Ausnahmefälle, typisch sind solche Situationen nicht. Typisch sind eher solche Geschichten wie die von den Cliquen, die sich in einer Klasse gebildet hatten. Es gab Konflikte, die gesamte Atmosphäre war vergiftet. Eine Klassenfahrt war geplant, aber die Lehrer hatten keine Lust, mit diesen Schülern auf Reisen zu gehen. Also übernahmen Gabriele Sonnek und Wolfgang Barenberg. Sie redeten mit den Schülern, sie sorgten dafür, dass die Aversionen einigermaßen verschwanden und sich ein Mindestmaß an Toleranz entwickelte. Die Klassenfahrt findet nun doch statt.

Friederike Guderian unterrichtet Ethik, Deutsch und Geschichte an der Schule, eine junge Frau, die in ihrem Unterricht die Erfolge der Mediatoren spürt. Im ersten Halbjahr hatte sie in einer Klasse noch die üblichen Probleme: „Streit aufgrund von Missverständnissen, verletzende Äußerungen“, Gruppendynamik entwickelte sich, das ganze Programm. Alltag an Schulen. Barenberg und Sonnek wurden eingeschaltet, sie sollten die Atmosphäre entspannen. Und wieder mal gelang es. „Man merkt, dass der Zusammenhalt in der Klasse inzwischen größer geworden ist“, sagt Friederike Guderian. „Die Zahl der verbalen Auseinandersetzungen ist zurückgegangen.“ Inzwischen fragen die Schüler sogar selber, ob sie zu den Mediatoren dürfen. Ihre Lehrerin findet das „ganz toll“.

Die Mediatoren erhalten positives feedback

Barenberg und Sonnek sitzen neben der jungen Pädagogin,  Friederike Guderian erzählt genau das, was sie hören wollen. Es geht ja um dieses positive Feedback, diese Bestätigung, dass sie als Mediatoren etwas erreichen mit ihrer Bereitschaft zum Zuhören und mit ihrer Empathie. „Ich möchte jungen Menschen helfen, deshalb mache ich das so gerne“, sagt Barenderg. „Mir macht das großen Spaß.“

Kurz danach klopft sich Gabriele Sonnek leicht auf die Brust, dort ungefähr, wo das Herz sitzt. Eine Geste, die eigentlich alles sagt. „Mir ist wichtig, Menschen die Möglichkeit zu geben, zu reden. Sie sollen merken, dass sie wahrgenommen werden. Für viele ist das wie Durchatmen.“

Ihr Blick wird ganz weich bei diesen Sätzen, und plötzlich fährt ihre Hand langsam zu ihrem rechten Auge. Noch eine Geste, noch ein Zeichen, wie sehr Gabriele Sonnek in dieser Arbeit aufgeht. Sie wischt sich tatsächlich eine Träne aus den Augen.

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