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Seit 2008 starten und landen am Flughafen Tempelhof keine Flieger. Doch was mit dem Gebäude passieren soll bleibt weiter unklar.

© imago/Joko

Ehemaliger Flughafen Tempelhof: Pannen, Pech – Partizipation

Die Berliner sollen bei der Nutzung des Tempelhofer Flughafengebäudes mitbestimmen. Doch das Verfahren stockt.

Eine schlampige Online-Befragung, eine Veranstaltung mit viel zu wenig Sitzplätzen und ohne Mitspracherecht für die eingeladenen Bürger – die öffentliche Beteiligung zur weiteren Nutzung des Airports Tempelhof droht spektakulär zu scheitern. Jetzt hat die Agentur, die vom Senat mit der Durchführung der „Partizipation“ beauftragt ist, hingeschmissen. Mit „veränderten Rahmenbedingungen“ ist bei Firma und Auftraggeber die Rede.

Dabei legt Rot-Rot-Grün großen Wert auf die Bürgerbeteiligung, auch im Koalitionsvertrag ist das Ziel einer „partizipativen Stadtgesellschaft“ festgeschrieben. Sportler, Partymacher, Künstler, urbane Gärtner, Kinder- und Sozialprojekte, kurzum jeder sollte seine Chance haben mitzureden bei Gestaltung und Festsetzung von „Leitlinien“ zur Nutzung des Flughafengebäudes mit Hangars, und zehntausenden Quadratmetern Fläche.

Hinter den Kulissen wird spekuliert: Die mit der Verwaltung der Gebäude beauftragte „Tempelhof Projekt“ habe einen Interessenkonflikt, weil sie zugleich auch die Räume gewerblich vermiete. Die Firma bestreitet dies, man nehme „den Auftrag sehr ernst“ und setze „parallel verschiedene Aufgaben um“.

Mit einer "unseriösen" Online-Umfrage begann der Ärger

Aber der Reihe nach: Sicherstellen, dass alle mitreden, soll ein Arbeitsgremium aus Bürgern, und Mitarbeitern der landeseigenen Tempelhof Projekt und ihres Beirats. Mitte 2018 kam dieses erstmals zusammen. Moderieren sollten Profis von der privaten Firma „Die Raumplaner“. 150.000 Euro stehen dafür bis Ende 2019 bereit. Das Geld kommt von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Doch der Ärger begann mit einer Online-Umfrage vom Dezember. Gesammelt werden sollten Ideen und Meinungen zur Nutzung der Flächen. Aber konkrete Antworten auf Fragen wie etwa zur kulturellen Nutzung oder Weiterentwicklung von Tempelhof als Bildungsstandort schlossen die Antworten aus. Nur ein Häkchen war möglich und zwar bei vorgegebener Auswahl zwischen: „sehr wichtig“, „nicht wichtig“ oder „sollte nicht diskutiert werden“. „Unseriös“ finden das ehrenamtliche Mitglieder des Gremiums. Die Tempelhof Projekt widerspricht: Was konkret im Gebäude stattfinden soll, habe man zuvor „ausführlich“ erfragt in einer „offenen Ideensammlung ab Herbst 2017“ und an Tagen der offenen Tür.

Beim zweiten Durchgang der Online-Befragung, so Kritiker weiter, sei das Gremium ganz ausgeschlossen worden. Ein Verfahrensbeteiligter, der nicht genannt werden will, empfindet es als „Ohrfeige, wie mit uns umgegangen wurde“. Die Tempelhof Projekt dazu: „Alle Themen und Schritte“ würden „miteinander abgestimmt“.

Nach meiner Erfahrung funktioniert Partizipation bei Infrastrukturprojekten [...] nur dann, wenn über ein [...] nicht zu komplexes Vorhaben beraten wird. Der Flughafen Tempelhof ist aber eine Schnittstellenhölle von höchster Komplexität, die auch Fachleute überfordert.

schreibt NutzerIn Urbi_et_Orbi

Eine öffentliche Veranstaltung verlief chaotisch

Beinahe chaotisch verlief aus Sicht von Bürgern eine öffentliche Veranstaltung zur Partizipation. Am 31. Januar sollten alle Interessierten die vorläufigen Ergebnisse der Verfahrens diskutieren. Im früheren Restaurant des Airports habe es aber nur 50 Sitzplätze gegeben, zur Veranstaltung kamen doppelt so viele.

Viele Anwesende, darunter ältere, hätten deshalb den Saal verlassen. Aber auch die, die blieben, sollten nicht groß mitreden dürfen. Das wird aus einem internen Papier deutlich, das dem Tagesspiegel vorliegt. Beim „abschließenden Expertenkreis“ sei es erst durch die Intervention eines Senatsmitglieds und erboster Bürger überhaupt zu einer Diskussion gekommen, berichten Teilnehmer.

Während die Bürgerbeteiligung floppt, läuft die Vermarktung des Gebäudes weiter: Zur Wiedereröffnung der Haupthalle soll der Schweizer Ulli Sigg seine Sammlung chinesischer Kunst ausstellen dürfen. Das Großprojekt, geplant ohne Bürgerbeteiligung, soll 1,8 Millionen Euro verschlingen. Die Tempelhof Projekt stellt die Halle kostenlos zur Verfügung und trägt als Veranstalter außerdem das finanzielle Risiko.

Der größte Teil des Etats floss bislang ins Marketing

Durchschnittlich zehn Euro Eintritt will sie trotzdem von den Besuchern verlangen. Und wird wohl dennoch auf einem „Fehlbedarf von 938.000 Euro“ sitzen bleiben, so eine interne Kalkulation. „Für die Finanzierung hat die Tempelhof Projekt Lotto-Mittel beantragt“, heißt es dort. Die Umsetzung werde „mit dem Beirat“ der Firma „beraten und abgewogen“. Man wolle den Standort damit als „Ort der Kunst und Kultur“ profilieren.

Unverständnis herrscht bei den Bürgervertretern auch darüber, dass Agentur und Tempelhof Projekt bisher kaum etwas zur Mobilisierung der Bürger investierten – obwohl der Etat von fast 900.000 Euro ausdrücklich für „Partizipation und Öffentlichkeitsarbeit“ vorgesehen ist. Der größte Teil des Etats fließt ins Marketing, 400.000 Euro im Jahr 2018 für den „Tag der Offenen Tür“ .

So wie die Dinge laufen, spielt das Chaos den Verhinderern der Partizipation in die Hände. Bis eine neue Agentur gefunden ist, wird es dauern. Dagegen wehrt sich das Arbeitsgremium und fordert, die Partizipation in die Hand einer unabhängigen Einrichtung zu legen. „Wir hoffen, dass der Senat endlich wach wird und handelt“, sagt ein Mitglied.

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