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Die bunten Köpfe des Künstlers Thierry Noir an der East Side Gallery sind weltberühmt. Nun bemalt er den Partykeller eines Hostels in der Oranienburger Straße.

© Doris Spiekermann-Klaas

East-Side-Gallery-Künstler: Thierry Noir gestaltet ein Hostel in Mitte

Thierry Noir, dessen Bilder an der East Side Gallery ihn weltberühmt machten, bemalt einen Partykeller in einem Hostel an der Oranienburger Straße. Mit seinen bunten Köpfen will er der Jugend die Geschichte näherbringen.

Thierry Noir malt inmitten der Großbaustelle behutsam dicke weiße Linien auf die schwarze Wand. Wenn er sich zu wenig bewegt, geht das Licht aus. Den Bewegungsmelder muss er immer wieder mit ausladenden Gesten anschmeißen. Ab und zu läuft ein Bauarbeiter vorbei und grüßt. Hinter Thierry Noir dudelt im Toilettenbereich der Baustelle Popmusik aus einem Radio.

Einst stand der gebürtige Franzose an den Mauerresten, die die East Side Gallery werden sollten, und malte seine großflächigen, bunten Gesichter mit den Glupschaugen und den Schmollmündern darauf. Die Noir-Köpfe sind berühmt geworden, der Künstler malt sie bis heute. Seit dieser Woche arbeitet er im Generator-Hostel in der Oranienburger Straße in Mitte. Mit rund 560 Betten eröffnet hier Ende April der zweite Berliner Standort der Hostel-Kette. Im Untergeschoss, wo künftig der Event- und Partybereich sein soll, trägt Noir die weißen Umrisse seiner Gesichter auf die schwarze Wand auf. Für die restlichen Etagen des Riesengebäudes mit mehr als 5000 Quadratmetern gibt es mit den Noir-Köpfen bedruckte Tapeten – für jede Etage eine andere Farbe, Rot, Grün, Orange, Gelb und Blau. „Damit die angetrunkenen Gäste nachts noch ihre Zimmer finden“, sagt Noir und grinst.

Auf den ergrauten Haaren trägt der Künstler eine Baseballkappe. Auch darauf findet sich das Motiv wieder, das ihn seit Jahrzehnten begleitet: ein farbiger Kopf mit roter Schnute. Die Köpfe sind sein Lebensthema. Noir hat sie schon für T-Shirts, iPad-Hüllen, Gummistiefel und die Mercedes A-Klasse gemalt. Langweilen tun sie ihn trotzdem nicht, im Gegenteil, sagt er. Schon zu Zeiten der Teilung hatte er begonnen, die Mauer auf der westlichen Seite zu bemalen. So entstand sein großflächiger, einfacher Stil, weil er schnell sein musste und nur nachts arbeiten konnte. Noir begreift seine Köpfe als Mauerkunst und „die Mauerkunst hat die Mauer überlebt“, sagt Noir. Dafür sorgt er schon.

Dabei könnte man meinen, Thierry Noir hätte genug, gerade von der East Side Gallery. 1990, als sie bemalt wurde, gab es Ärger mit dem Honorar für die Künstler. Die zur Verfügung gestellten Farben waren außerdem so schlecht, dass die Bilder schon nach einem Jahr restaurationsbedürftig waren. Die Bilder verfielen weiter, die Sanierung wurde immer weiter herausgeschoben und jetzt das Debakel um das Bauprojekt auf dem ehemaligen Todesstreifen. Doch die Mauer habe sein Leben geprägt, sagt Thierry Noir.

Nachdem er 1982 nach Berlin gekommen war, lebte er lange an der Grenze, am Kreuzberger Mariannenplatz. Er sah Ostberliner auf den Balkonen gegenüber. „Die durften nicht herüberschauen. Die Frauen haben ihre Wäsche Moonwalk-artig rückwärts auf den Balkon getragen und dort aufgehängt.“ Diese Bilder sind ihm geblieben. Ihm ist es wichtig, dass nachfolgende Generationen einen Eindruck bekommen, worunter die Menschen so lange gelitten haben. „Wenn man die Vergangenheit vergisst, kommt sie zurück.“

Ein verantwortungsbewusster Umgang mit einer Stadt und ihrer Geschichte mache manche Projekte unmöglich. Den Investorenbau an der East Side Gallery hält Noir für ein Desaster. „Dort sind vier Kinder aus Westberlin ertrunken, weil sie beim Spielen in die Spree gefallen sind und die Feuerwehr nicht ins Wasser durfte“, sagt Noir. Für ihn ist der längste erhaltene Mauerstreifen die letzte Gelegenheit, den bleibenden Eindruck einer einst tödlichen Grenze zu vermitteln – für kommende Generationen. „Alle jungen Leute denken doch: Wir machen es einmal besser als unsere Eltern“, sagt Noir.

Als eine Hommage an den Nachwuchs begreift Thierry Noir auch seine bunten Köpfe. Genau wie ständig neue Generationen heranwachsen, malt er immer wieder neue Noir-Köpfe. Der Künstler beugt sich vor zu einem der Gesichter und macht den Schmollmund nach. „So lassen sich die jungen Touristen an der East Side Gallery fotografieren“, sagt er lachend. Er genießt es, wenn er sieht, dass die jungen Leute etwas mit seiner Kunst anfangen können. Auch im Partykeller des Hostels werden diese Fotos bald haufenweise entstehen.

Ob er daran glaubt, dass die künftigen Generationen es besser machen und verantwortungsbewusster mit ihrer Stadt umgehen werden? Noir zuckt mit den Schultern. Er weiß es auch nicht.

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