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Vor dem Taxistand in Schönefeld mussten die Passagiere erneut warten.

© dpa

Dutzende Flüge umgeleitet: Die Chaos-Nacht der Berliner Flughäfen

Am Dienstagabend mussten 24 Flugzeuge von Tegel nach Schönefeld umgeleitet werden – doch die Passagiere kamen erst viel später an ihr Ziel. Was lief schief?

Am Dienstagabend herrschte plötzlich Stille im Himmel über dem Flughafen Tegel. Dort war der Flugbetrieb kurzerhand eingestellt worden. Keine Maschine durfte mehr starten und Linienflüge von außerhalb lenkte die Flugsicherung nach Schönefeld und andernorts um. Doch auf dem alten Airport funktionierte nur wenig, sehr viele Passagiere saßen fest.

Warum musste der Flugbetrieb in Tegel eingestellt worden?

Eine 100-Kilo-Bombe russischer Bauart aus dem Zweiten Weltkrieg war am Dienstag gegen 14.40 Uhr an der Straße Am Juliusturm im Spandauer Ortsteil Haselhorst auf dem Firmengelände von BMW entdeckt worden. Sie musste kurzfristig entschärft werden. Im Umkreis von 350 Metern wurde das Firmengelände evakuiert, andere Betriebsteile arbeiteten weiter. Da die Bombe bei einer eventuellen Detonation auch an- und abfliegende Maschinen in Tegel gefährdet hätte, wurde dort der Flugverkehr während der Entschärfung unterbrochen.

Wann wurde die Bombe entschärft?

Die Polizei hatte per Twitter angekündigt, sie werde die Bombe „im Laufe des Abends/der Nacht“ entschärfen und ging von „kurzen Verkehrsbeeinträchtigungen“ aus. Die Arbeit der Polizeifeuerwerker begann gegen 20 Uhr, kurz zuvor war der Verkehr gesperrt worden. Anfangs verlief alles glatt, kurz vor 21 Uhr war der erste Zünder entschärft. Der zweite bereitete dagegen Mühe. Erst kurz vor 23 Uhr hieß es: „Bombe entschärft!“

Wie viele Maschinen landeten in Schönefeld statt in Tegel?

Insgesamt 24 Maschinen mussten nach Schönefeld umgeleitet werden. Viele Piloten waren trotz der Warnung losgeflogen. Ihre Hoffnung: Die Bombe ist schnell genug entschärft, notfalls drehen sie ein paar Runden in der Warteschleife über Berlin. Die meisten mussten ihr Vorhaben aufgeben, spätestens als der Treibstoff knapp wurde. Weitere Flüge wurden nach Hannover, Leipzig, Dresden und Prag umgeleitet, insgesamt 28 Maschinen mussten auf andere Flughäfen ausweichen. Die betroffenen Gäste wurden nach Möglichkeit mit Bussen nach Berlin gebracht.

Wie lang herrschte Chaos im Flugbetrieb?

Der Website Flightradar24.com zufolge landete die letzte Maschine planmäßig um kurz vor 20 Uhr in Tegel. Der Lufthansa-Flug LH2050 erhielt wenige Minuten später schon keine Landeerlaubnis mehr. Die Website führt 52 Flüge nach Tegel während dessen Schließung. Einige hoben gar nicht erst ab, zwei Maschinen aus Brüssel und Zürich drehten kurze Zeit später um. Die in Warteschleifen kreisenden Maschinen drehten nördlich von Oranienburg ihre Runden, einige in nur 4000 Meter Flughöhe. Anwohner hatten keinen ruhigen Abend.

Wann und wie erfuhr die Flughafengesellschaft vom Bombenfund?

Von der Polizei am Dienstag Nachmittag. Die Entschärfung werde eine Stunde dauern, hieß es und gegen 20 Uhr erfolgen, also zur Hauptflugzeit. Deshalb ging die Flughafengesellschaft davon aus, dass die Maschinen diese Zeit in der Warteschleife überbrücken könnten. Tatsächlich dauerte die Entschärfung drei Stunden.

War genug Platz in Schönefeld, um die vielen Maschinen aufzunehmen?

Nein, die Parkplätze waren alle belegt, das Gelände des unvollendeten BER-Flughafens in Schönefeld wurde ebenfalls als Abstellfläche genutzt. Hier können die Flieger bislang aber nicht betankt werden, es gibt auch keine Fahrgasttreppen und Gepäcktransportwagen.

Was geschah mit den Passagieren?

24 zusätzliche Maschinen abzufertigen, stelle auch große Flughäfen wie Schönefeld vor Probleme, sagt Sprecher Daniel Tolksdorf. Die Gesellschaft setzte ein Notfallteam zur Betreuung ein. Dennoch mussten hunderte Passagiere in den Flugzeugen ausharren, teilweise stundenlang, bevor die meisten von ihnen schließlich in Schönefeld abgefertigt wurden. Einige wenige erreichten tatsächlich noch ihr Ziel auf dem Luftweg, allerdings mit stundenlanger Verspätung weit nach Mitternacht.

Waren fehlende Gangways und Busse die Ursache für die Wartezeit?

Nein, sagt ein Sprecher der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg. Nach der Landung der Maschinen in Schönefeld sei nicht sicher gewesen, ob die Passagiere dort tatsächlich auch aussteigen – oder nicht später doch noch weiter nach Tegel abheben. So seien fünf der 24 umgeleiteten Flugzeuge nach der Entschärfung der Bombe doch noch nach Tegel weitergeflogen. Das war kurz vor Mitternacht. Die Entscheidung habe im Ermessen der einzelnen Piloten und der jeweiligen Fluggesellschaften gelegen. Berlins Senatsverwaltung für Verkehr erteilte Sondergenehmigungen für Flüge während der Nachtruhe. „Es gab sechs Abflüge nach 0 Uhr“, sagte eine Sprecherin.

Wie erlebten Passagiere das Chaos?

Eine Passagierin mit ihrer achtjährigen Tochter startete um 20.30 Uhr in Köln-Bonn mit einer Maschine nach Tegel. Laut Flugplan sollte sie etwa eine Stunde später in Tegel ankommen und wären eine weitere halbe Stunde später zu Hause in Prenzlauer Berg gewesen. Tatsächlich erreichte sie ihr Ziel um drei Uhr in der Nacht. Zunächst war die Maschine über Tegel gekreist, dann landete sie in Schönefeld. Dort harrten die Passagiere in ihren Sitzen aus, weil ein Weiterflug nach Tegel in Aussicht stand. Um 1.30 Uhr nachts durften sie aussteigen – und mussten dann eine Stunde in einer langen Schlange (Foto) auf ein Taxi warten.

Ähnlich erging es Fluggästen einer Air-Berlin-Maschine aus Düsseldorf. Seit Stunden saßen sie in der Maschine in Schönefeld fest. Als nebenan auf dem Rollfeld das Gangway an einer benachbarten Lufhansa-Maschine angedockt wurde, rief eine Kopilotin der Airline aus dem Fenster dem Bodenpersonal zu, es möge gleich bei ihnen fortfahren – und winkte mit 100 Euro. Das „Handgeld“ gab sie selbst zusammen mit Passagieren aus, um endlich aus der Maschine rauszukommen. Die „Extraprämie“ wirkte, wenig später stiegen die Passagiere aus.

Wie kam es zum Taxi-Notstand in Schönefeld?

Die Taxifahrer in Schönefeld waren auf den unerwarteten Ansturm nicht eingestellt. Niemand habe ihn angerufen und auf die besondere Situation aufmerksam gemacht, sagte Michael Firyn, Vorsitzender der Taxi Union Königs Wusterhausen. Es sei auch niemand vom Flughafen zu den am Taxistand wartenden Kollegen gekommen und habe über die zusätzlichen Passagiere informiert. Hinzu kommt der Taxi-Streit zwischen Berlin und Brandenburg: Leszek Nadolski, Vorsitzender der Innung des Berliner Taxigewerbes, erklärt, dass Berliner Taxis Fahrgäste nach Schönefeld bringen dürfen, aber dort keine dort aufnehmen dürften.

Früher sei das möglich gewesen, der Vertrag sei aber von Seiten der Schönefelder Taxis gekündigt worden. Die Taxi-Innung bemühe sich seit langem, schon mit Blick auf den BER-Flughafen, wieder die Zulassung zu bekommen. Touristen sei das Problem nicht zu vermitteln. Eine Sonderregelung für Fälle wie am Dienstag gibt es nicht, das bestätigten beide Vorsitzenden.

Ein Fluggast wartete eine Stunde auf den Flughafenbus. Hat die BVG nicht reagiert?

Theoretisch und praktisch sei der Einsatz zusätzlicher Busse möglich, sagte ein BVG-Sprecher. Dazu müsse die betroffene Fluggesellschaft eine entsprechende Anfrage stellen und sich bereit erklären, die zusätzlichen Kosten zu übernehmen. Dann würden je nach Größe der Maschine ein bis zwei Gelenkbusse geschickt – allerdings nur, sofern dies operativ möglich sei, also kurzfristig Busse und Fahrer bereitstünden. In den Unterlagen der BVG-Leitstelle sei jedoch nirgends vermerkt, dass eine solche Anfrage am Dienstagabend überhaupt eingegangen sei.

Wie viele Weltkriegsbomben lauern noch im Berliner Boden?

Das ist allenfalls zu schätzen. „Eine Vorhersage, wo im Berliner Boden Bombenblindgänger liegen, ist nicht möglich,“ hieß es bei der Senatsumweltverwaltung. „Bei der Untersuchung von Verdachtspunkten für Bombenblindgänger, die in der Luftbildauswertung ausgewiesen sind, werden in rund 95 Prozent der Fälle keine Bombenblindgänger gefunden.“ 2015 hatte die damals zuständige Stadtentwicklungsbehörde auf dieselbe Frage geantwortet, dass allein in Berlin noch 3000 Tonnen Blindgänger im Untergrund vermutet werden, darunter auch Granaten.

Im Land Brandenburg gelten zehn Prozent der zivil genutzten Landesfläche als munitionsbelastet. Laut Polizei wurden 2015 acht großkalibrige Bomben, also ab 50 Kilo Gewicht, entschärft. Die jetzt entschärfte Bombe durfte das Haselhorster Firmengelände nicht zufällig getroffen haben. BMW produzierte dort im Krieg Flugzeugmotoren.

Werden die Betroffenen entschädigt?

Die Chancen stehen schlecht. Fluggesellschaften sind in der Regel ab drei Stunden Verspätung verpflichtet, die Passagiere zu entschädigen. Das gilt allerdings nicht, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen. Das seien zum Beispiel Unwetter oder Situationen, in denen ein Sicherheitsrisiko für den Flugverkehr besteht. „Eine Bombenentschärfung ist eindeutig ein solches Sicherheitsrisiko“, sagt Christof Berlin, Leiter des Flugteams in der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr.

Allerdings sind die Fluggesellschaften verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle Passagiere ihr Ziel auch wirklich erreichen, also beispielsweise einen Anschlussflug, eine Alternative Route oder Ähnliches zu buchen. Bei langen Wartezeiten zählen auch Mahlzeiten und unter Umständen eine Übernachtung zu den berechtigten Forderungen. Wer also Tegel als Ziel hatte, muss im Normalfall ohne Mehrkosten dort hingelangen. Fahrgäste, die sich in der Vergangenheit ein Taxi nehmen mussten, können die Kosten dafür also bei ihrer Fluggesellschaft geltend machen. Im Zweifelsfalle sei immer die Fluggesellschaft der erste Ansprechpartner.

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