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Die Länder sind frei bei der Gestaltung des Mittleren Schulabschlusses.

© Peter Kneffel/dpa

Druck auf Bildungssenatorin: Berlins Eltern wollen Prüfungen der Zehntklässler verhindern

Das gab's noch nie: Alle zwölf Bezirkselternausschüsse votieren gegen die Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss. Bundesweit sind die nicht vereinbart.

Der Appell kam kurz nach Mitternacht: Alle zwölf Vorsitzenden der Berliner Bezirkselternausschüsse und der Vorstand des Landeselternausschusses fordern Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) auf, die Prüfungen zur Berufsbildungsreife (BBR) und zum Mittleren Bildungsabschluss (MSA) in diesem Jahr auszusetzen und stattdessen eine "alternative Bewertung" vorzunehmen.

Zur Begründung schreiben die höchsten Berliner Elterngremien, dass die Gesundheit der Schüler, der Lehrkräfte und der Familien im Vordergrund stehen müsse. Organisation und Durchführung der Prüfungen würden die ohnehin knappen personellen und räumlichen Ressourcen binden, die für den Präsenz- und Fernunterricht der anderen Jahrgangsstufen dringend benötigt würden.

Zudem seien die Möglichkeiten einer angemessenen Prüfungsvorbereitung für die Schüler während der Schulschließungen "höchst unterschiedlich": Eine Vergleichbarkeit innerhalb Berlins im Sinne von Chancengleichheit sei nicht gegeben.

Zwar hatte Scheeres verkündet, dass die Zehntklässler schon eine Woche vorher in die Schulen zurückkommen sollen, um sich auf die Prüfungen vorzubereiten. Und auch die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Maja Lasic, hatte betont, dass die Schüler doch immerhin "vier Wochen" Vorbereitungszeit hätten.

Die Kultusminister verlangen die Prüfungen nicht

Die Elterngremien hingegen rechnen jetzt vor, dass die Vorbereitungszeit "deutlich geringer" als als vier Wochen ausfalle, da die Gymnasien und ein Teil der Sekundar- und Gemeinschaftsschulen in der gleichen Zeit auch die Abiturprüfungen organisieren müssen.

"Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie erscheinen die Zwänge zu zu BBR- und MSA-Prüfungen nicht nachvollziehbar", schlussfolgern die Eltern, zumal der MSA bundesweit laut Kultusministerkonferenz (KMK) auch ohne Prüfung anerkannt werde.

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Tatsächlich hatte KMK-Sprecher Torsten Heil vor wenigen Tagen gegenüber dem Tagesspiegel nochmals erläutert, dass es zur Durchführung des Abschlusses der zehnten Klasse – anders als beim Abitur - keine KMK-Vorgaben gebe. Daher werde der Mittlere Schulabschluss bundesweit auch "ohne Prüfung anerkannt".

Die Bildungsverwaltung hatte sich in dieser Hinsicht missverständlich geäußert, so dass der Landeselternausschuss noch am 13. April gefordert hatte, dass nur die MSA-Prüfungen an den Gymnasien wegfallen sollten. Nach der Klarstellung Heils änderte der Landeselternausschuss seinen Beschluss.

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Eltern: MSA-Prüfungen binden Lehrer der "Kernfächer"

Die Prüfungen bringen die Schulen in mehrfacher Hinsicht in Schwierigkeiten. So sind sie gezwungen, ihren Unterricht auf die so genannten Kernfächer zu beschränken, die im MSA geprüft werden - Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache - zumeist Englisch.

Diese Fachlehrer haben dann weniger Zeit für die neunten und die Oberstufenklassen, die ab 4. Mai in die Schulen kommen. Denn nicht überall gibt es genug Fachlehrer, zumal etliche über 60 Jahre alt sind oder aus anderen Gründen zur Risikogruppe gehören.

Rund 90.000 Klausuren müssen korrigiert werden

Die Lehrer, die jetzt die MSA-Prüfungen vorbereiten, dazu mündliche MSA-Prüfungen abnehmen und ab Ende Mai rund 90.000 Klausuren korrigieren müssten - je drei Klausuren für 30.000 Zehntklässler -, würden auch fehlen, um sich um das Homeschooling und den Unterricht für Schüler zu kümmern, die besondere Förderung brauchen, klagen die Eltern. Auf sie müsse aber das Augenmerk gerichtet werden, haben gerade erst die bekanntesten deutschen Bildungsforscher und Schulpraktiker gefordert.

Zusätzliche Nachteile für Schüler in prekären Familienverhältnissen

Dazu passt die Mahnung von Schulleiterverbänden und Migrantenverbänden, die darauf hinweisen, dass es sozial benachteiligte Schüler ungleich schwerer haben, sich während der Schul- und Bibliotheksschließungen auf die Prüfungen vorzubereiten.

Aus diesem Grund lehnen sie nicht nur die MSA-, sondern auch die Abiturprüfungen ab. Der Verband der Oberstudiendirektoren hatte schon Mitte März den Verzicht auf alle Prüfungen gefordert, weil die Entwicklung der Pandemie nicht planbar sei.

Die Jusos finden die Prüfungen wichtig

Aus der Politik kommen diffuse Statements. So meinte der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert auf Anfrage in Bezug auf die Abitur- und MSA-Prüfungen, den Jusos sei "grundsätzlich an einer möglichst einheitlichen Lösung gelegen, damit die Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen für den aktuellen Abschlussjahrgang gewährleistet werden kann". Neben dem Schutz der Gesundheit müsse es deshalb auch darum gehen, "die formale und gesellschaftliche Anerkennung von Abschlüssen zu gewährleisten". Einschränkend fügte Kühnert aber hinzu, dass die Situation vor Ort "schlussendlich individuell bewertet werden" müsse.

FDP und Linke gegen Prüfungen, SPD und CDU dafür, die Grünen ohne Beschluss

Die Berliner FDP lehnt die Prüfungen ab, ebenso wie die Linkspartei, wie DGB und GEW. Hingegen hatten die Grünen noch keine Linie gefunden, die CDU wollte zuletzt an den Prüfungen festhalten - ebenso wie die Berliner Sozialdemokraten. Die SPD führt zurzeit lediglich intern eine rege Diskussion über eine Verschiebung der MSA-Prüfungen. Diese Verschiebeoption ist allerdings weit entfernt von den Statements der Eltern und Schüler.

In Bezug auf die Abiturprüfungen ist die Lage noch komplizierter, weil sich die Kultusminister auf diese Prüfungen festgelegt haben: Der Versuch einiger Ländern, darunter Berlin, eine Allianz für ein Abitur auf Grundlage der Semesternoten zu schmieden, scheiterte - trotz der Pandemie.

Scheeres konnte keine Allianz für ein Durchschnittsabitur schmieden

Selbst Scheeres, die seit neun Jahren im Amt ist und damit zu den erfahrensten Mitgliedern der KMK gehören müsste, konnte für eine derartige Option keine nennenswerte Unterstützung in der KMK generieren.

Der Landesschülerausschuss protestiert dennoch weiter - und auch der Landeselternausschuss hat weiterhin Vorbehalte, auch wenn die Prüfungen bereits am Montag angefangen haben.

Falls die Prüfungsergebnisse unter den Bedingungen der Corona.Krise schlechter ausfallen als in den Vorjahren, fordern die Eltern Regelungen, wie damit umgegangen wird. Der Landeselternausschuss beruft sich dabei auf die Äußerung der KMK, dass den Schülern aus der Situation kein Nachteil entstehen dürfe.

Die gemeinsame Erklärung der höchsten Berliner Elterngremien kann man HIER als PDF-Datei herunterladen.

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