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Stress, Randale, körperliche Attacken – Justizvollzugsbeamte müssen viel aushalten.

© Marc Tirl/dpa

Drogen, Gewalt und nicht genügend Vollzugsbeamte: Gefängnisse leiden unter akutem Personalmangel

Im Strafvollzug hat sich die Lage verschlimmert. Der Krankenstand ist gleichbleibend hoch. Das Personal fühlt sich alleingelassen.

Von Fatina Keilani

Obwohl sich die Probleme in Berlins Gefängnissen seit Jahren verschärfen, ist die Zahl der Vollzugsbediensteten pro 100 Gefangene seit 2013 trotz aller Bemühungen gesunken. Waren 2013 noch 42,2 Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes für 100 Gefangene zuständig, so waren es 2018 nur noch 40,1. Der Tiefpunkt war 2017 mit 38,47 Bediensteten erreicht, seitdem ist ein Anstieg zu verzeichnen.

Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage des CDU-Rechtspolitikers Sven Rissmann hervor. So hoch wie sie mal war, ist die Zahl aber nicht. Gemeinsam mit einem Krankenstand von um die 15 Prozent erklärt dies zumindest zum Teil die von Vollzugsmitarbeitern beklagte extreme Belastung – und auch die Abwanderung zu anderen Dienstherren.

Psychisch kranke Häftlinge werden nicht verlegt

Für 100 Gefangene gibt es 0,64 Ärzte; diese Zahl schwankte über die Jahre nur wenig. Gestiegen ist die Zahl der Psychologen und Sozialarbeiter: Gab es 2013 noch 1,17 Psychologen pro 100 Gefangene, so waren es im vergangenen Jahr 1,58 (höherer Dienst), und bei den Sozialarbeitern stieg die Zahl ebenfalls, nämlich von 3,26 auf 3,87 Bedienstete (mittlerer Dienst).

Psychologen und Sozialarbeiter brauche man dringend, berichten Vollzugsbedienstete. „Viele der Häftlinge müssten eigentlich in die Psychiatrie“, sagt eine Mitarbeiterin der Haftanstalt Moabit. „Es dauert aber unglaublich lange, bis einer begutachtet ist, deswegen sind viele hier. Die Medikation ist hier nicht wie in der Psychiatrie. Wir verabreichen die Medikamente nicht, sondern der Gefangene bekommt sie ausgehändigt.“

Die Insassen seien aber meist nicht imstande, die Medikamente in Eigenverantwortung korrekt einzunehmen. Dann gehe es wieder von vorne los: Randalieren in der Zelle, mitunter sogar Verschmieren von Fäkalien, körperliche Übergriffe. Wie berichtet, ist auch die Zahl der Gewaltvorfälle gestiegen.

Mehr Drogen, Gewalt und Frauenhass

Die Gefangenenstruktur hat sich über die Jahre verändert. Der Ausländeranteil ist laut Justizverwaltung von 34,3 Prozent im Jahr 2011 auf 50,7 Prozent mit Stand März 2019 gestiegen. Hauptherkunftsländer sind unverändert Libanon, Rumänien, Türkei, Polen und Serbien; insgesamt stammen die Häftlinge aus 97 Ländern, ein neuer Rekord. „Es gibt viel mehr Gefangene mit terroristischem Hintergrund, einen starken Anstieg bei der Frauenfeindlichkeit und ein massives Drogenproblem“, berichtet die Vollzugsbedienstete.

Angesichts der Belastung wundert sich kaum noch jemand über den hohen Krankenstand: Die Gesundheitsquote aller Beschäftigten im Berliner Justizvollzug lag im ersten Halbjahr dieses Jahres laut Senat bei 85,5 Prozent; im allgemeinen Vollzugsdienst bei 83,8 Prozent. Das bedeutet, die Bediensteten „an der Front“ leiden besonders.

In diesem Zusammenhang kritisiert Thomas Goiny von der Strafvollzugsbeamten-Gewerkschaft BSBD, dass der Senat den „Schmöckwitz-Prozess“ dieses Jahr einfach habe ausfallen lassen. Mit „Schmöckwitz-Prozess“ ist die Fortschreibung des Gesundheitspakts für die Mitarbeiter gemeint, dessen Start im Jahr 2015 noch unter dem früheren Senator Thomas Heilmann (CDU) stattfand.

Alle ein bis anderthalb Jahre soll es Treffen geben, um das Programm weiterzuentwickeln. 2017 wurde unter Federführung des aktuellen Senators Dirk Behrendt (Grüne) der Prozess fortgesetzt. Dieses Jahr passiert das nicht. Goiny nennt das „ärgerlich“. Am Krankenstand hat sich durch das neue Gesundheitsmanagement jedenfalls nichts geändert – 2014 lag die Gesundheitsquote ebenfalls bei 85,3 Prozent, wie heute.

Schuld soll auch die Personalpolitik sein

Der Personalmangel ist nicht leicht abzustellen. Ausgebildete Bewerber gibt es nicht, also bildet das Land verstärkt selbst aus. Allerdings zahlen der Bund und auch Brandenburg besser, und das bei geringerer Arbeitsbelastung. Außerdem stimme dort die Personalpolitik, man kenne seine Perspektiven und Entwicklungschancen, berichten Bedienstete.

15 Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes sind laut Senat binnen zwei Jahren abgewandert, davon zehn nach Brandenburg und zwei zum Bund, teils aus privaten Gründen, teils aber eben auch wegen besserer Karrierechancen. „Um konkurrenzfähig zu sein, müssen wir die Anpassung an die Bundesbesoldung schaffen“, sagt Anfragesteller Rissmann. „Das muss natürlich dann für alle Landesbediensteten gelten.“

Dem Justizsenator wirft er vor, die Mittel für das vom Parlament beschlossene Personal für die Justiz bisher nicht in vollem Umfang abzurufen. Das viele Selbstlob hinsichtlich der Schaffung vieler neuer Stellen bezeichnete er als „Märchenstunde“.

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