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In Berlin stieg die Zahl der Delikte gegen Leib und Leben im vergangenen Jahr an. Auch politisch motivierte Kriminalität nahm zu.

© RubyImages/M. Golejewski

Drogen, Gewalt, Sexualdelikte: Was die Kriminalstatistik über Berlin sagt

Mehr Gewalt, weniger Aufklärung – das zeigt die neue Kriminalstatistik, die Innensenator Geisel und Polizeipräsidentin Slowik am Montag vorstellten.

Mehr Straftaten, trotz leicht verbesserter Aufklärungsquote weiter Schlusslicht, weniger Diebstahl, mehr Gewalt, Sexualdelikte, Kinderpornografie und Internetkriminalität – das sind die Eckpunkte der polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2019. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik haben am Montag das Zahlenwerk vorgestellt. Ein Überblick.

Gewalt und Totschlag

In Berlin hat es 2019 mehr Gewalt gegen Leib und Leben gegeben. 41 Menschen wurden umgebracht, 65 Mal gab es den Versuch. Die Gesamtzahl der Fälle stieg damit von 94 auf 106. Das ist der höchste Stand seit 2015 mit 112 Fällen. Die Polizei ermittelte im vergangenen Jahr 173 Tatverdächtige, darunter waren 80 Nichtdeutsche.

Mit 157 Tätern waren die meisten Männer, sechs Tatverdächtige waren noch Jugendliche und 13 Heranwachsende im Alter von 18 bis 21 Jahren. Zudem hat die Gefahr zugenommen, Opfer eines Raubes zu werden. Die Gesamtzahl der Raubstraftaten stieg um fünf Prozent auf 4473 Fälle. Der Anstieg ist vor allem auf die Zunahme von Überfällen auf offener Straße zurückzuführen, hier wurden 2479 Fälle registriert, zwölf Prozent mehr als 2018.

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Die Zahl der Raubüberfälle auf Geschäfte ging dagegen um vier Prozent zurück. Bei Handtaschenraub sank die Zahl um 16 Prozent. Bei den Tatverdächtigen waren 50 Prozent nichtdeutsche Staatsangehörige, fast die Hälfte aller Tatverdächtigen waren unter 21 Jahre alt.

Zwei Fünftel der 5300 Raubopfer wurden bei den Taten verletzt. Mit 43.485 Fällen gab es eine leichte Zunahme bei Körperverletzungen. Vor allem auf offener Straße gab es mehr Gewalt – ein Anstieg um fünf Prozent. Von 47.760 Opfern wurden 33.460 verletzt, 924 wurden schwer verletzt, drei kamen ums Leben. Bei Körperverletzung lag der Anteil der nichtdeutschen Täter bei 38 Prozent, 19 Prozent der Tatverdächtigen waren unter 21 Jahre alt.

Kriminalitätsbelastung

Insgesamt ist die Zahl der registrierten Straftaten kaum gestiegen. 2019 wurden mit insgesamt 513.426 Taten registriert, das waren 1749 oder 0,3 Prozentpunkte mehr als 2018. Die Polizei habe 2019 gute Arbeit geleistet, sagte Geisel.

Je 100.000 Einwohner sank die Zahl der Straftaten von 14.160 auf 14.086, der niedrigste Wert seit 2012. Ein Grund: Die Einwohnerzahl ist um 31.000 Menschen gestiegen. Die Polizei ermittelte 136.704 Tatverdächtige, knapp 74 Prozent waren Männer.

40 Prozent der Verdächtigen waren Ausländer (bei Taten ohne ausländerrechtlichen Verstöße), während der Anteil der Ausländer in der Gesamtbevölkerung bei 20 Prozent lag.

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Die Aufklärungsquote erhöhte sich leicht von 44,4 auf 44,7 Prozent. Allerdings sind die Quoten in Großstädten wegen der Anonymität immer schlechter als auf dem Land. Berlin sei wegen seiner Nähe zu Osteuropa, der vielen Touristen und der Größe noch einmal benachteiligt, sagte Slowik. Und Geisel: „Berlin ist die einzige internationale Metropole in Deutschland.“ Durch Straftaten ist ein Schaden von 869 Millionen Euro entstanden, 129 Millionen Euro weniger als 2018.

Sexualdelikte

„Betroffen macht mich die Zunahme bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“, sagte der Innensenator. Hier gab es eine Zunahme von 15 Prozent auf 4800 Fälle. Bei Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen habe es einen Anstieg um zwölf Prozentpunkte gegeben.

Bei schweren Fällen von Vergewaltigung sogar um 18 Prozentpunkte. Bei den registrierten Fällen von sexueller Belästigungen gab es ein Plus von fünf Prozent, bei sexuellen Beleidigungen von 20 Prozent. „Möglicherweise hat die Metoo-Debatte zu einer besonderen Sensibilisierung geführt – und damit zu einer erhöhten Anzeigenbereitschaft“, sagte Geisel.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).

© Paul Zinken/dpa

Besonders drastisch ist die Zunahme von 90 Prozent bei Verbreitung, Besitz und Herstellung von Kinderpornografie. 2019 gab es 592 Fälle, im Jahr zuvor noch 280. Laut Geisel liegt die Steigerung vermutlich in der Verpflichtung US-amerikanischer Internet-Provider, der halbstaatlichen US-Organisation „National Center for Missing and Exploited Children“ strafrechtlich relevante Sachverhalte zu melden.

Die leite die Fälle dann an die Behörden auch im Ausland weiter. Erfasst wurden alles in allem 4800 Straftaten gegen die sexuell Selbstbestimmung, das sind 630 mehr als im Jahr zuvor. Von den 2860 ermittelten Tatverdächtigen war ein Viertel unter 21 Jahre, 37 Prozent waren keine deutschen Staatsbürger.

Diebstahl und Einbruch

Auffällig ist der starke Rückgang bei Diebstahlsdelikten: Hier wurden 207.000 Straftaten registriert, das ist die niedrigste Zahl seit 2010. Deutliche Rückgänge von teils bis zu zehn Prozent gab es bei Diebstahl von Autos, bei Taschendiebstahl und Fahrrad- und Ladendiebstahl.

Mit 17.738 angezeigten Taschendiebstählen wurden so wenige registriert wie seit 2012 nicht mehr. Dagegen wurden mehr Einbrüche in Keller und Wohnungen gezählt, auch mehr Autos wurden gestohlen. Bei 44 Prozent der Wohnungseinbrüche blieb es beim Versuch.

Internet und Betrug

Die Zahl der im Internet begangenen Straftaten, die von der Polizei Berlin erfasst wurden, stieg deutlich um 27 Prozent auf 38.990 Fälle. „Internetkriminalität entwickelt sich zu einer Form der Alltagskriminalität. Hier machen Betrugsdelikte, Erpressungen und Identitätsfälschungen den größten Anteil aus“, sagte Geisel.

Bei 84 Prozent der Fälle ging es um Betrug. Hierbei stellte die Polizei einen Anstieg um 21 Prozent fest. Allerdings handelt es sich bei diesem Ausmaß nur um Fälle, bei denen die Tatverdächtigen in Deutschland aktiv wurden. Da Internetbetrüger aber auch international aktiv sind, gibt es wohl noch deutlich mehr Opfer in Berlin.

Allein 6400 Fälle, in denen Bürger Opfer wurden, sind nicht in die Kriminalitätsstatistik eingeflossen, weil die Täter im Ausland aktiv waren. Generell verlagerten sich Betrugsstraftaten ins Internet, etwa beim Warenkreditbetrug: Es wurde häufiger Ware bestellt, ohne diese zu bezahlen.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik.
Polizeipräsidentin Barbara Slowik.

© dpa/Paul Zinken

Auch Leistungsbetrug wurde häufiger angezeigt, etwa bei betrügerischen Wohnraumvermietungen oder unlautere Handwerksleistungen. Auffällig ist die gestiegene Zahl an Erpressungsfällen im Internet. Grund dafür ist die sogenannte Bitcoin-Erpressung. Dabei hacken Täter private Daten wie E-Mails und Wohnanschriften und erpressen die Opfer dann.

Sie drohen damit, angeblich erlangte Sex-Videos der Opfer zu veröffentlichen. Die Opfer sollen dann die Auslöser in der Internet-Währung Bitcoin zahlen. Meist zahlen die Opfer aber nicht, zudem beobachtet die Polizei, dass Betroffene häufiger Anzeige erstatten.

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Auch bei anderen Fällen von Internetkriminalität sind deutliche Anstiegen erfasst worden – bei Ausspähen und Abfangen von Daten (plus 48 Prozent), Kreditkartenbetrug (plus 57 Prozent), Warenbetrug (85 Prozent) sowie Verbreitung von pornografischen Erzeugnissen (plus 58 Prozent).

Drogen

18.950 Fälle wurden 2019 festgestellt, das ist ein Anstieg um zehn Prozent. Das zeige, dass die Polizei stärker kontrolliere und Drogenhändler fasse, wie etwa im Görlitzer Park, sagte Geisel. In mehr als der Hälfte der Taten wurde Marihuana verkauft oder gekauft. Weitere verbreitete Drogen waren Ecstasy und Kokain.

Politisch motivierte Kriminalität

In diesem Bereich registrierte die Polizei einen Anstieg von 4,6 Prozent auf 4464 Fälle. Die Zahl politisch motivierte Gewaltdelikte stieg um 0,8 Prozent auf 599. Die rechtsmotivierte Kriminalität nahm um acht Prozent auf 1932 Fälle zu. Bei rechten Gewaltdelikten wurden 25 Fälle mehr erfasst als 2018 – ein Anstieg um 20 Prozent auf 153 Fälle.

Auch die linksmotivierte Kriminalität nahm zu – um 12,6 Prozent auf 1389 Fälle. Die Zahl der linksmotivierten Gewaltdelikte ging zurück, von 290 auf 257 Fälle zurück. Besonders im Zusammenhang mit Gentrifizierung ist die Zahl linksmotivierte Kriminalität aber gestiegen. Hier gab es einen Anstieg um 84 Prozent auf 544 Fälle.

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Bei politische motivierter Kriminalität auf Grundlage einer ausländischen Ideologie oder religiöser Ideologie waren Rückgänge zu verzeichnen. Religiöse Extremisten wie Islamisten waren für 43 Taten verantwortlich – der niedrigste Stand seit 2013. Dazu zählten zwölf Terrorismusdelikte und sieben Gewalttaten.

2019 sind auch weniger Straftaten mit antisemitischen Motiv in der Statistik vermerkt: 281 Fällen nach 329 Fällen im Jahr 2018. Bei 230 Fällen gab es ein rechtes Motiv für die Tat, bei 40 Fällen basierte die Tat auf ausländische oder religiöser Ideologie.

Aussagekraft der Statistik

Die Kriminalitätsstatistik ist das wichtigste Instrument, um Rechenschaft über die Arbeit der Polizei abzulegen. Erfasst werden nur angezeigte Straftaten, die Quote, wie viele davon aufgeklärt wurden und wie hoch die erfasste Kriminalitätsrate je 100.000 Einwohner ist.

Über das sogenannte Dunkelfeld sagt die Statistik nichts aus, die Zahl der nicht erstatteten Anzeigen etwa bei Taschendiebstahl bleibt unbekannt. Und einige Straftaten wie Drogenhandel werden vorwiegend bei Kontrollen festgestellt. Offen bleibt schließlich auch, ob die festgestellten mutmaßlichen Straftäter vor Gericht überführt werden konnten – der Fall also tatsächlich aufgeklärt wurde.

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