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Glücklich. Iyad Abo Faroch meisterte gerade erfolgreich sein Abitur.

© Aleksandra Lebedowicz

Dreilinden-Gymnasium in Zehlendorf: Abitur geschafft – fünf Jahre nach der Flucht aus Syrien

Er hat’s geschafft: Iyad Abo Faroch flüchtete mit seiner Familie vor dem Krieg aus Aleppo. In Berlin kam er in eine Willkommensklasse, nun geht es weiter.

„Wir schaffen das.“ Für diesen einen Satz musste Angela Merkel 2015, als hunderttausende Flüchtlinge nach Europa kamen, scharfe Kritik einstecken.

Schaffen wir das? Das muss sich die Mutter von Iyad Abo Faroch im selben Jahr gefragt haben, als sie beschloss, mit ihren Kindern aus Aleppo zu fliehen.

„Ich habe kurz zuvor meine Mittelstufenprüfung gemacht. Bei uns schreibt man die in der neunten Klasse“, erzählt der inzwischen 19-Jährige an einem sonnigen Juninachmittag in einem Kreuzberger Café. Er habe 300 von 310 Punkten erreicht. „Meine Mutter war trotzdem sauer, dass ich keine volle Punktzahl hatte.“

Heute dürfte sie stolz sein auf ihren jüngsten Sohn. Denn Iyad hat gerade sein Abitur am Zehlendorfer Dreilinden-Gymnasium gemeistert. Große Leistung, nach einer langen Reise.

Psychologen würden das, was er auf seinem Weg nach Deutschland erlebt hatte, wohl ein Trauma nennen. Er sagt: „Es war wie ein Hollywood-Action-Film.“ Zum Beispiel als er sieben Tage lang in den Bergen nahe der kurdischen Stadt Afrin verbrachte und sich vor den türkischen Soldaten verstecken musste. Oder als er in einer Fabrik in Istanbul 13 Stunden am Tag schuftete und mit bloßen Händen Metallteile mit Chemikalien besprühte – Schutzkleidung gab es für ihn nicht. „Das war der schlimmste Job, den ich je hatte“, sagt er.

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Und dann war noch die Fahrt übers Mittelmeer im überfüllten Schlauchboot. Eine Frau saß fünf Stunden lang auf seinen Füßen. Er konnte seine Gliedmaßen kaum noch spüren, als er, in Griechenland angekommen, zum Camp lief. Barfuß, mitten im Dezember, weil seine durchnässten Schuhe auseinanderfielen.

In Syrien war er glücklich – bis der Krieg kam

Einmal habe er zwar mit einem Therapeuten gesprochen, aber das brauche er nicht. „Ich versuche, mir selbst zu helfen, indem ich viel darüber nachdenke. Ich kann das gut wegstecken“, sagt er.

Dabei hilft ihm auch seine Liebe zur Philosophie. In Syrien habe er Gedichte geschrieben. „Zwei wurden sogar in der Zeitung veröffentlicht“, sagt er stolz.

In Syrien war er immer gut in der Schule, sagt Iyad. Überhaupt war die Familie dort glücklich. Bis der Krieg begann – und ihre Zukunft zerstörte.

Die Willkommensklasse war sein zweites Zuhause

Die versucht Iyad jetzt in Deutschland aufzubauen. Der Schulabschluss ist der erste wichtige Schritt. Geholfen hat ihm neben seinem Durchhaltevermögen vor allem seine schnelle Auffassungsgabe, die ihm auch seine Lehrer in der Willkommensklasse bescheinigten.

Die „10w“ – das war lange sein zweites Zuhause. „So haben wir uns genannt. Das W steht für Willkommen“, erzählt der Abiturient. Syrer, Afghanen, sogar Koreaner waren dabei. Die Schule sei der einzige Ort gewesen, an dem die geflüchteten Jugendlichen ihren Problemen entfliehen und Freunde treffen konnten. Das schlechte Essen im Heim, die Wohnungssuche, die unzähligen Besuche im Jobcenter waren kurz vergessen.

Stattdessen wurde gelesen, etwa „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing. „Das ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher“, erzählt Iyad in tadellosem Deutsch. Das A2-Niveau habe er nach nur vier Monaten in der Willkommensklasse geschafft.

Als er ankam, konnte er kaum Deutsch

Dabei kannte er bei seiner Ankunft an der deutsch-österreichischen Grenze kaum zwei Sätze in der fremden Sprache. „Ich liebe dich“ und „Esel“, das habe ihm sein Onkel in Aleppo mal beigebracht. In Passau lernte er dann ein drittes Wort: „Wasser“. Überlebenswichtig.

Heute wohnt Iyad mit seiner Familie in einem Containerdorf in Nikolassee. „Tempohomes“ heißen die Unterkünfte. „Bald müssen wir sie verlassen“, sagt er. Doch eine Wohnung sei schwer zu finden. Und koste viel Geld.

Deshalb möchte Iyad jetzt nicht sofort zur Uni, sondern zuerst ein Jahr lang arbeiten, in einem italienischen Restaurant. In Syrien habe er auch bei einem Italiener ausgeholfen. „Ich habe den Job geliebt.“

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