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Tochter Anna, Mutter Katharina und Enkelin Nellie Thalbach zusammen mit den Halbbrüdern von Katharina, Pierre (rechts) und Philippe Besson.

© Michael Petersohn/promo

Drei Thalbachs in Berlin auf der Bühne: "Wir sind alle Ost-Berliner"

Die Familiengeschichte ist kompliziert - und ein Grund dafür, dass jetzt drei Thalbach-Frauen zusammen auf der Bühne stehen und Gerhart Hauptmann spielen. Katharinas Halbbrüder sind auch dabei. Ein Essen mit fünf Mitgliedern einer großen Berliner Theaterfamilie.

Das ist doch keine Familienaufstellung hier! Anna Thalbach verzieht das Gesicht. „Das wäre ja furchtbar, dann würde ich nicht mitmachen.“ „Was soll das denn sein?“, rasselt ihre Mutter vom anderen Ende des Tisches. „Ich weiß gar nicht, wovon ihr redet …“

„Mama, das kennst du nicht“, ruft ihr Anna zu. „Das ist so eine Gruppentherapienummer. Da werden die Leute in Familienmitglieder aufgeteilt und fangen dann an zu spielen. Angeblich löst sich da irgendwas.“ „Schande“, schimpft Katharina Thalbach und hält sich den Rücken. „Ich brauch was ganz anderes, das sich löst.“

Großes Theater. Selten so gelacht. Diese Familie braucht keine Kostüme, diese Bühne reicht: Ein großer Tisch im Restaurant Dressler, gleich neben den Ku’damm-Bühnen, eine heiße Schokolade, ein Glas Rotwein, eine Cola, einmal Gänsekeule. Fünf Nachkommen des Regisseurs Benno Besson, eine Theaterfamilie aus dem Bilderbuch. Eine Stunde Zeit, fertig ist die Komödie.

Nein, es ist keine Familienaufstellung, sagt Philippe Besson, es spielen schließlich auch noch vier andere Schauspieler mit, wenn die halbe Familie Thalbach- Besson mit „Roter Hahn im Biberpelz“ am Sonntag Premiere im Theater am Ku’damm feiert. Und trotzdem versucht hier niemand zu überspielen, dass das alles doch ganz besonders besonders werden wird. Katharina Thalbach, ihre Tochter Anna, die Halbbrüder Pierre und Philippe Besson, und nun auch noch Enkelin Nellie, zarte 18 Jahre alt, die ihr Theaterdebüt gibt. Was für eine Familienfeier!

Die Jüngste kommt zuerst, stellt sich artig vor, ein bisschen unsicher noch. Dann kommt Großonkel Pierre, 46, Löcher in der Jeans, die dunkelblonden Haare zerzaust. „Habt ihr nicht Silvester gefeiert?“, fragt er. „Ihr seht alle so ausgeruht aus.“ Es ist der 2. Januar, die Ku’damm-Bühnen haben zum Gespräch geladen, lieber in der Gruppe, denn Katharina hat Rücken. „Ich krieche“, sagt sie, als sie langsam hineinhumpelt, noch winziger wirkend als sie mit ihren 1,53 ohnehin schon ist. Noch nicht beim Arzt gewesen, über die Feiertage ist ja niemand da. „Wir machen uns große Sorgen“, sagt Philippe, 51, der Vernünftige. Der Regisseur klopft auf den Tisch. „Es gibt einige körperintensive Szenen.“ Und schließlich Anna Thalbach, 40, leicht verspätet, lässt sich in den Stuhl fallen, ohne ihre schwarze Mütze abzunehmen. „Mann, hab ich Hunger“, sagt sie. Familie komplett, Vorhang auf.

„Möchte noch jemand Rotwein?“, fragt Pierre.

Während Anna noch in der Karte liest, ist ihre Mutter schon mitten drin im Stück. Martin Woelffer, Chef der Ku’damm-Bühnen, habe wieder ein Stück mit ihr und Anna machen wollen. Nur habe sie auf keinen Fall inszenieren wollen. Ein Jahr Pause, nur spielen, das hatte sie sich vorgenommen. Also holten sie Halbbruder Philippe dazu, der sonst meist Kinder- und Jugendtheater inszeniert. Warum also nicht auch Pierre fragen? In der ein oder anderen Konstellation haben sie alle schon oft zusammengearbeitet, auf der Bühne, im Film. Anna und Katharina zuletzt in der ARD-Dokumentation „Friedrich – ein deutscher König.“ Alle gemeinsam haben zu Brechts 100. Geburtstag im Schauspielhaus Zürich die Johanna der Schlachthöfe inszeniert, mit einem Gastspiel am Berliner Ensemble, damals sogar noch unter Benno Besson, dem Schweizer Urvater dieser Familie, der 2006 verstarb.

Wenn der das jetzt sehen könnte! Benno Besson, der ab 1949 auf Einladung Bertolt Brechts zunächst als Schauspieler und Regisseur am Berliner Ensemble in Ost-Berlin arbeitete, später am Deutschen Theater und der Volksbühne. Mit Unterbrechungen war er bis 1977 fest in Berlin verwurzelt. „Er hat einige Berliner Frauen kennengelernt“, sagt Katharina. „Und was aus diesem Samen entsprungen ist, sitzt hier am Tisch.“ Ihre Mutter, die Schauspielerin Sabine Thalbach, verstarb früh, die Brecht-Witwe Helene Weigel zog Katharina zur Schauspielerin heran. Benno Besson war in dieser Familie ebenso selten anwesend wie bei der Erziehung der fünf anderen Kinder. „Bei uns war er so bis ich neun war“, sagt Pierre, dessen Mutter die Schauspielerin Ursula Karusseit ist. „Am ehesten noch bei den Kleinsten“, sagt Katharina. Es gibt noch drei weitere Geschwister in Paris – Silvester waren sie zu Besuch.

Ist sich Nellie Thalbach der Größe der Aufgabe bewusst?

Tochter Anna, Mutter Katharina und Enkelin Nellie Thalbach zusammen mit den Halbbrüdern von Katharina, Pierre (rechts) und Philippe Besson.
Tochter Anna, Mutter Katharina und Enkelin Nellie Thalbach zusammen mit den Halbbrüdern von Katharina, Pierre (rechts) und Philippe Besson.

© Michael Petersohn/promo

„Ich habe jetzt alles durchgelesen“, sagt Anna und blickt von der Speisekarte auf. „Ich weiß jetzt, was ich nehme.“ „Das Teuerste?“ Philippe grinst, Anna kontert: „Genau, ich habe nur nach dem Preis entschieden, mein lieber Onkel: zwei Dutzend Austern bitte!“ Sie bestellt dann aber Gänsebraten mit Knödeln und Rotkohl. „Bei mir gab es Weihnachten nur Kartoffelsalat und so was.“

Das ist alles so eingespielt, man könnte meinen, dass diese fünf ständig zusammen sind. Nein, Weihnachten waren sie unter sich, sagt Katharina, die gemeinsamen Treffen seien eher selten. Aber man sei ja auch nicht als „Klumpen“ aufgewachsen, wie eine große Zirkusfamilie. Doch wenn der Vater sie rief, sind sie alle gekommen. „Wir haben meistens über Arbeit zusammengefunden“, sagt Katharina. Für Benno Besson sei es immer das Größte gewesen, die ganze Familie um sich herum zu haben, erzählt Pierre. „Und zu genießen, dass die alle was damit zu tun haben.“

„Ich bin froh, dass meine Tochter Medizin studiert“, wirft Philippe ein.

„Dann wird sie eben Theaterarzt“, krächzt Anna, die Stimme inzwischen fast so rauchig wie die ihrer Mutter. Großes Gelächter.

Jedenfalls, sagt sie, nun ganz stolze Mutter, wäre Nellie ihrem Urgroßvater ein willkommener Zuwachs gewesen. Philippe kam auf die Idee, die Adelheid mit der Jüngsten der Familie zu besetzen. „Da habe ich erst mal geschluckt“, gibt die Oma zu. „Nellie hat ja noch nie gespielt.“

Nellie selbst, gerade erst mit der Schule fertig, rührt zwischen Oma und Mutter in ihrer dickflüssigen Schokolade. Man kann kaum glauben, wie ähnlich sie sich sehen. Diese großen Augen, nur dass Nellies braun sind. Und ein bisschen größer ist sie, die schwarzen Haare länger. Doch eindeutig noch eine Thalbach! Sie tritt ein großes Erbe an, ist sie sich dessen bewusst? „Ich weiß noch gar nicht, ob ich Schauspielerin werden möchte“, sagt sie. „Das wird das Leben zeigen.“

Natürlich ist auch sie im Theater großgeworden, hat schon als Kind mitgespielt, zum Beispiel im Gorki 2002 an der Seite von Großonkel Pierre, hat am BE hospitiert, Kostüme gemacht. Doch das hier ist die erste richtige Rolle, zwei Rollen, wenn man es genau nimmt. Acht Schauspieler spielen 25 Rollen in diesem Stück, sechs Wochen Probe, das ist nicht viel.

„Wenn dich ein Fremder gefragt hätte, hättest du es auch gemacht?“, fragt Katharina. Die Enkelin zögert und sagt: „Auf jeden Fall.“ Das alles zeuge doch schon von einer gewissen inneren Sicherheit.

Katharina schnieft: „Und ich dachte, es wäre wegen uns!“ Diesmal hat sie die Lacher – aber nur bis ihre Tochter wieder reinpöbelt: „Hätte, hätte, Herrentoilette!“

Gerhart Hauptmann wollten sie spielen, wegen des Dialekts! Denn bei all der komplizierten Familiengeschichte müsse man eigentlich nur eins wissen: Wir sind alle Berliner! Genau genommen Ost-Berliner, sagt Katharina, das ist ihr schon wichtig. Aus Liebe zu ihrem langjährigen Partner Thomas Brasch, ist sie 1976 nach West-Berlin gegangen. Fühlt sie sich trotzdem noch als Ost-Berlinerin, nach all den Jahren? Nein, aber am Dialekt merke man es schon, sagt sie. Der sei den West-Berlinern ja förmlich abgewöhnt worden. „In West-Berlin war es eine Klassenfrage: Wer nicht zum Proletariat gehören wollte, der hat nicht berlinert.“ Im Osten sei das anders gewesen. „Als ich frisch aus der DDR kam, hatte ich ein Bewerbungsgespräch mit dem WDR, dann fragten die mich allen Ernstes: Können Sie auch Hochdeutsch sprechen? Nee, habe ich gesagt, in der DDR haben wir auch Shakespeare berlinert.“

„Die heizen hier aber“, sagt Katharina.

„Jetzt wo du’s sagst, schwitze ich auch“, sagt Anna.

„Euch ist aber auch immer heiß“, sagt Philippe.

„Du bewegst dich ja auch nicht auf der Bühne“, sagt Anna.

Ost-Berlin und sie, verklärt sie da nicht etwas? Als Katharina Thalbach vor einigen Jahren sagte, sie sei froh beim Experiment DDR dabei gewesen zu sein, ist sie heftig kritisiert worden. Trotzdem sagt sie Sätze wie: „Ich weiß nicht, ob Privateigentum die beste Erfindung auf der Welt ist.“

Die kriminelle Energie der Frau Wolff jedenfalls, die sie nun im Doppel-Hauptmann „Roter Hahn im Biberpelz“ spielt, ist ihr zunächst einmal sympathisch. Wolff ist eine Art weiblicher Robin Hood, die entschlossen ist, ihre Familie mit Gaunereien zum Wohlstand zu bringen, es im Laufe der Zeit allerdings ziemlich übertreibt. Philippe Besson hat die beiden Hauptmannstücke „Der Biberpelz“ und „Der rote Hahn“ zu einem verwoben, aus 130 Seiten 63 gemacht, aus acht Akten sechs. Auch Brecht hatte das schon versucht, 1950, das Stück wurde im Folgejahr allerdings nur zwölf Mal aufgeführt am Berliner Ensemble und dann von den Erben Hauptmanns verboten. „Brecht hat das im Sinne der Zeit politisiert, aus dem ehemaligen preußischen Gendarm einen klassenbewussten Arbeiter gemacht, was in der Zeit durchaus seine Berechtigung hatte, aber den Erben extrem aufstieß“, sagt Philippe. Bis heute darf es nicht gespielt werden.

Schon die Uroma hat die Adelheid gespielt

Tochter Anna, Mutter Katharina und Enkelin Nellie Thalbach zusammen mit den Halbbrüdern von Katharina, Pierre (rechts) und Philippe Besson.
Tochter Anna, Mutter Katharina und Enkelin Nellie Thalbach zusammen mit den Halbbrüdern von Katharina, Pierre (rechts) und Philippe Besson.

© Michael Petersohn/promo

Katharina lässt sich entschuldigen mit dem Hinweis auf ihren Nikotinspiegel. „Ist es unhöflich, wenn ich mitgehe?“, fragt Nellie, der die Kürbissuppe ohnehin nicht schmeckt. „Es ist höchstens deiner Suppe gegenüber unhöflich“, sagt Katharina. Mütterlich deckt Anna die Suppe mit einer Stoffservierte ab und sagt: „Nee, geh mal, dann muss Oma nicht alleine draußen stehen.“

„Das Beste ist ja“, sagt Philippe: „Wissen Sie, wer die Adelheid gespielt hat, in der Fassung die Brecht 1951 gemacht hat?“ Sabine Thalbach, Kathis Mutter, Nellies Uroma! „Und Kathis erste Rolle im Westen war die Adelheid, das war unter Hans Lietzau am Schiller-Theater. „Das wusste ich gar nicht, als ich Nellie fragte, ob sie das spielen würde“, sagt Philippe. Schwer zu glauben, „aber so war es“.

Martin Woelffer setzt sich mit an den Tisch. Der Theaterchef hat seine Kinder am Nebentisch untergebracht, mit einem Ohr gelauscht, Familientheater im Familienbetrieb Kurfürstendamm-Bühnen, das ist schon fast zu viel des Guten. Das mit den Rechten sei auch bei der Version, die Philippe Besson nun mit Jan Liedtke geschrieben hat, problematisch gewesen, erzählt Woelffer. „Der Verlag hatte natürlich erst mal gesagt: Das kommt gar nicht infrage!“ Doch dann habe sich Anja Hauptmann, Sängerin und Enkelin des Dichters, höchstpersönlich für das Stück eingesetzt.

Denn, wieder so eine Geschichte, Hauptmanns Sohn sei nämlich Schlagzeuger im Programm, das sie mit Andreja Schneider in der Bar jeder Vernunft macht, sagt Katharina, nikotinaufgefüllt. „Er macht jetzt die Musik für das Stück, insofern ist auch noch ein Hauptmann mit im Boot.“

Alles Zufall oder doch Theater? Denn, da ist ja auch noch dieser Geburtstag. Ausgerechnet am Sonntag, wenn diese Familienkomödie Premiere feiert, wird Katharina Thalbach 60 Jahre alt. „Wirklich, das ist uns erst später aufgefallen“, schwört Philippe. Ausnahmsweise sind sie sich einig. „Das hat mich völlig überrascht“, sagt Katharina. „Aber ist doch super, so findet die Party ohne meine finanzielle Beteiligung statt.“ Die 60 sei doch auch nur so eine Zahl, nüscht ändere sich und überhaupt, sei es ja wissenschaftlich erwiesen, dass das eigentliche Alter des Menschen 120 ist. „Ich sollte langsam mal anfangen, mir Gedanken zu machen, was ich in meiner zweiten Lebenshälfte anfangen will.“

„So ein Quatsch“, sagt Anna, „dann ist Kathi ja nur noch einen Meter groß!“

Man könnte ihnen ewig zuhören. Doch Katharina kann nicht mehr sitzen. Was für ein Pech, ausgerechnet jetzt macht der Rücken schlapp, und das bei all den hohen Stufen des Bühnenbilds. Schon im vorigen Jahr war ihr ein Auto über den Fuß gefahren. Ganz der Profi wird Katharina Thalbach auch die Proben in den nächsten Tagen ohne Murren meistern. Der Bühnenbildner Momme Röhrbein wird ihr vorgeschlagen, die hohen Stufen für sie umzubauen. Sie überlegt – und lehnt ab. The Show must go on.

Die Abnutzung ihres Körpers, der langsame Verfall, all das kann sie besser ertragen, seit sie weiß: Es geht weiter. Sie blickt rüber zu Nellie.

Und die, jugendlicher Leichtsinn oder der Versuch, das Gesetz der Serie einzuhalten, denkt schon über die nächste Thalbach nach: „Wenn das Geld stimmt, kann das Kind kommen“, sagt sie. Andere Eltern wären vielleicht schockiert, doch nicht die hier: „Ich wollte auch schon in Nellies Alter ein Kind kriegen“, sagt Anna. „Für mich war immer klar, dass ich damit nicht warte, bis ich 30 bin.“ „Das ist für mich auch klar“, sagt Nellie.

Und wenn es ein Junge würde? Anna: „Das wär lustig, wäre interessant wie der dann aussehen würde.“

„Das wird doch kein Junge, was für eine aberwitzige Idee!“, Pierre ist ganz außer sich.

„Ich hätte jedenfalls nichts dagegen Uroma zu werden“, sagt Katharina.

„Ich würde auch gern Oma werden“, sagt Anna.

„Kinder, wir haben doch eine Premiere“, schimpft Pierre, „jetzt reißt euch mal ein bisschen am Zippel hier.“

„Roter Hahn im Biberpelz“ läuft vom 19. Januar bis zum 23. Februar im Theater am Kurfürstendamm. Karten ab 13 Euro, Weitere Informationen im Internet unter www.komoedie-berlin.de

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