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Eine Demonstrantin protestiert in Eberswalde gegen die Asylpolitik.

© Farhan Hassan

Drei Suizide in einem Monat: Berliner Hilfsvereine geben Asylpolitik Schuld an Selbstmorden von Geflüchteten

Selbstmorde von Geflüchteten: Organisationen sehen unsichere Asylpolitik als Grund. Psychiatrische Gutachten etwa würden als Gefälligkeiten abgetan.

Zwischen dem 16. Februar und dem 16. März dieses Jahres haben sich Salah Tayar, Alpha Oumar Bah und ein Mann das Leben genommen, von dem nur die Initialen A. N. bekannt sind.

Christiane Weber-Nelson, Psychotherapeutin beim Hilfsverein Xenion, beobachtet, „wie der psychische Druck bei Menschen in einer unsicheren Aufenthaltssituation enorm steigt“. Nach den drei Suiziden von Geflüchteten in vier Wochen kritisieren Menschenrechtsaktivistinnen die Asyl- und Außenpolitik Berlins.

Der 43-jährige Afghane Nabi hatte nach neun Jahren auf der Flucht im Dezember den Flüchtlingsstatus in Deutschland erhalten und lebte bis zuletzt in Potsdam. Er hatte eine Niere verloren und litt unter Schmerzen an seiner mehrfach gebrochenen Wirbelsäule. Wegen seiner Fluchterfahrungen war er in Therapie. Amir Nabi starb am 16. Februar.

Christiane Weber-Nelson von Xenion berichtet weiter, „dass häufig Gutachten, die auf psychische Belastung und Selbstmordgefährdung hinweisen, von Behörden und Gerichten als Gefälligkeiten diskreditiert werden“. Ein ärztliches Gutachten, das eine körperliche oder mentale Erkrankung feststellt, kann für Asylsuchende als Abschiebeschutz dienen. „Die Anforderungen an ein solches Gutachten sind inzwischen so hoch, dass es gar nicht mehr möglich ist, Gefälligkeitsgutachten zu erstellen.“

Vermutungen, dass Geflüchtete ihre Situation schlimmer schildern, als sie in der Realität ist, um einen Aufenthalt zu bekommen oder zu verlängern, hält sie für „eine Unterstellung“. Die Gutachten seien genau dazu da, den Gesundheitszustand zu ermitteln, und würden von dafür ausgebildeten Fachleuten erstellt.

Salah Tayar aus dem Tschad, 35, erlitt in seinem Heimatland Folter in einem Militärgefängnis. Nach seiner Flucht von Libyen über das Mittelmeer nach Deutschland, lebte er zuletzt in einer Unterkunft in Eberswalde. Sein Asylantrag wurde jedoch abgelehnt. Tayars Cousin Yahia Mohammed berichtet, wie dieser an der Perspektivlosigkeit und dem „Rassismus im öffentlichen Raum in Eberswalde“ zerbrochen sei. Salah Tayar starb am 11. März.

Expertise von Therapeutinnen nicht anerkannt

Seit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ aus dem Jahr 2019 dürfen Psychotherapeutinnen und -therapeuten solche Gutachten nicht mehr ausstellen, nur noch Psychiater. „Dort ist es schwer, überhaupt einen Termin zu bekommen“, sagt Christiane Weber-Nelson. „Außerdem arbeiten wir hier mit Dolmetschern, aber unsere Expertise wird vom Asylverfahren nicht mehr anerkannt.“

Der 27-jährige Alpha Oumar Bah aus Guinea war in Berlin im Asylverfahren und arbeitete für eine Reinigungsfirma. Im Februar stellte eine Delegation aus Guinea die vermutete Staatsbürgerschaft von Geflüchteten fest, um diese abzuschieben. Diese Praxis, sowie das unsichere Asylverfahren belastete Bah stark. Er starb in der Nacht vom 16. auf den 17. März. 

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Nach den drei Suizidfällen stellen nun 15 lokale Organisationen, darunter auch Xenion und der Flüchtlingsrat, Forderungen an die Berliner und Brandenburger Landesregierung. Darunter eine „öffentliche vollständige Aufklärung der Suizide“, das „Bleiberecht für psychisch belastete und traumatisierte Menschen“, „gedolmetschte und kultursensible Akut- und Therapieangebote“, sowie „keine Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimen zur Beschaffung von Abschiebepapieren“.

Am 13. April wurde in Eberswalde in Brandenburg demonstriert, um auf die Situation der Menschen aufmerksam zu machen.

Marian Schuth

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