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"Zwischen den Stühlen" heißt ein aktueller Dokumentarfilm über Berliner Referendare. Er zeigt die Herausforderungen, die auf frisch ausgebildete Pädagogen und Quereinsteiger warten.

© Weltkino

Dokumentarfilm über Berliner Schulen: Ausnahmezustand im Klassenzimmer

Der Dokumentarfilm „Zwischen den Stühlen“ zeigt Berlins Schulen aus Sicht von Referendaren. Nachdenklich. Großartig. Und Anlass für eine Diskussion mit der zuständigen Senatorin.

„Ween mal ein bisschen, wenn Dir das hilft“, berlinert eine ältere Kollegin, als Katja aus ihrer Examensprüfung kommt. Und das tut sie dann auch. Ein ganz stilles Weinen ist das. Ein Weinen, das keine Erleichterung verschafft; weder in diesem Moment noch in den Monaten danach, obwohl sie doch bestanden hat: Katja ist jetzt Lehrerin. Aber zunächst muss sie das verkraften, was sie erlebt hat in den zwei Jahren, die sich Referendariat nennen und die sie an einer Reinickendorfer Brennpunktschule zugebracht hat.

„Ween mal ein bisschen“. Es sind eine ganze Menge Leute, die der 32-Jährigen beim Weinen zusehen. Denn während sie vor den Kollegen in Tränen ausbricht, hält jemand mit der Kamera drauf. Und der Film, der da gedreht wird, der landet nicht „im Archiv“, wie Katja da noch mutmaßt, sondern wird innerhalb kürzester Zeit mehrere Preise abräumen und ab nächster Woche in die Kinos kommen.

Aber erstmal sitzt Katja in der ersten Reihe des Großen RBB-Sendesaals, wo sich am Donnerstagabend mehr als 1000 Zuschauer eingefunden haben, um die Voraufführung zu erleben: Aus der ganzen Stadt sind Referendare, Schulleiter und Ausbilder gekommen, um eine Sensation zu erleben: Ein ungeschönter Film über den Zustand der Berliner Schulen – gedreht mit Erlaubnis der Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Ein Film, zusammengeschnitten aus 300 Stunden Rohmaterial, über drei Menschen im Ausnahmezustand.

Verzweifelte Situationen vor der Klasse

„Zwischen den Stühlen“ hat Regisseur Jakob Schmidt seine Abschlussarbeit an der Filmhochschule Babelsberg genannt. Es hat ihn interessiert, wie es Menschen geht, die einerseits noch Lernende sind und vor der nächsten Lehrprobe zittern, und die andererseits selbst Schüler benoten sollen. Darum hatte er vor vier Jahren alle 600 neuen Berliner Referendare angeschrieben und sie gefragt, ob er sie zwei Jahre lang mit der Kamera begleiten darf. 25 haben sofort zugesagt und Schmidt hat einige ausgewählt, die mit Leib und Seele und nicht nur aus Verlegenheit Lehrer werden wollten.

Von da an war er immer dabei: Bei der Vereidigung zu Beginn, in verzweifelten Situationen vor der Klasse, bei Elterngesprächen, in tristen Lehrerzimmern, bei der Bewertung durch ihre Ausbilder, ja, sogar nachts, wenn die Babys getröstet werden mussten, denn zwei der drei Protagonisten haben schon Familie. Das erzeugt dann auch Lacher während der Vorführung – etwa als Referendar Ralf sich beim Arbeiten mit Ohropax vor den Familiengeräuschen in Sicherheit bringen will und dem zweijährigen Sohn erzählt, er mache es nicht so wie Odysseus, der sich schutzlos den Gesängen der Sirenen aussetzte.

Mit dem Chaos allein

Aber meist ist es ganz still im Sendesaal. Etwa wenn die Kamera zum eindrücklichen Soundtrack von Andreas Bick durch Lehrerzimmer streift, deren Tristesse fast schon poetisch wirkt. Wenn die Kamera vorbeigleitet an Fenstern ohne Farbe, an Schulhöfen im Schnee, an unzähligen Schülergesichtern. Und es bleibt still, wenn die Zuschauer mit Katja mitleiden, die den Pubertisten ihrer Brennpunktschule ausgeliefert ist. Sie erzählt, dass sich im ersten Halbjahr nur ein einziges Mal jemand hinten in den Unterricht gesetzt hat, um ihr ein Feedback zu geben. Sonst war sie mit dem Chaos allein; auch als ein Junge absichtlich eine Tintenpatrone aufbiss – um den Unterricht verlassen zu dürfen.

Aber Katja geht es nicht mal am schlechtesten: Der Zuschauer lernt Anna kennen, die nicht weiß, wohin mit ihren Händen, sie nimmt sich sogar einen Coach, um „mehr Präsenz“ zeigen zu können, wie ihre Ausbilder fordern. Anna sagt in die Kamera, dass sie „keine Macht ausüben will“, dass ihr Noten ein Gräuel sind, auch der rote Stift. Sie korrigiert dann mit Grün. Und sie bleibt ihrem zurückhaltenden, mütterlichen Unterrichtsstil treu.

Der Rütli-Retter bildet jetzt Lehrer aus

Irgendwann in der zweiten Hälfte des Referendariats sagt ein Ausbilder zu ihr, sie habe das "Potential für eine Lehrerin": Es ist Helmut Hochschild, besser bekannt als "Rütli-Retter", dem ersten Schulleiter nach dem berühmten Brandbrief von 2006. Sein Lob ist bestimmt wichtig für Anna, denn am Anfang, da hatte Hochschild noch Bedenken und sprach davon, dass er sich Sorgen mache um sie - aus Fürsorgepflicht. So angeschlagen und unsicher hatte sie zunächst gewirkt.

Der richtige Platz für Anna und Katja ist die Grundschule. Das wussten sie von Anfang an, und da sind sie auch angekommen. Ralf ist am Gymnasium geblieben. Alle Drei wirken zufrieden – so, wie sie da nach der Filmvorführung auf der Bühne stehen. Es gibt viel Applaus – für die jungen Lehrer, für den Regisseur und an dem Punkt, als Katja im Film sagt: „Ich wünsche mir, dass ein Minister mal eine ganze Wochen lang vor der Klasse stehen muss“.

Die Senatorin gibt der Berliner Schule die Note "Zwei"

In der anschließenden Diskussion wird Scheeres sagen, dass sie der Berliner Schule die Note „Zwei“ geben würde. Da rumort das Auditorium. Und Katja guckt verwundert zur Senatorin. Als RBB-Moderator Ingo Hoppe sie fragt, was sie sich wünscht, sagt die Junglehrerin ohne zu überlegen "mehr Lehrer", um all den Willkommensschülern, all den Kindern mit Förderbedarfen und sonstigen Einschränkungen gerecht werden zu können. Und dann erzählt sie noch von den "16 PCs für 24 Schüler", und dass es doch jetzt laut Rahmenplan doch immer mehr um Medienbildung gehen solle.

Aber die Senatorin ist nicht bereit zur Defensive. Als Buchautor, Lehrer und Referendarsausbilder Robert Rauh ihr auf dem Podium entgegenhält, dass er die Note "Zwei" auf keinen Fall stehen lassen könne angesichts der Massen von Quereinsteigern und angesichts von über 2000 Schülern ohne Abschluss, von maroden Gebäuden und dem bereits einsetzenden Mangel an wohnortnahen Grundschulplätzen, da kontert Scheeres: "Sie ignorieren die wachsende Stadt", außerdem gebe es ja einen "bundesweiten Fachkräftemangel". Und überhaupt: Quereinsteiger hätten doch ein abgeschlossenes Studium, beharrt Scheeres auf ihrer positiven Sicht der Dinge.

Robert Rauh warnt vor "Entqualifizierung"

Rauh lässt allerdings nicht locker und erinnert an die Zahlen, die im Februar durch eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck bekannt geworden waren: Demnach sind im Schuljahr 2016/17 über 1000 zusätzliche Quereinsteiger hinzugekommen, von denen 222 überhaupt kein Schulfach studiert haben, sondern nur entfernt "verwandte Fächer" - womit sie also nicht nur Didaktik und Pädagogik nachlernen müssen, sondern auch noch weite Teile des Fachlichen. Rauh beharrt auch darauf, dass es völlig unverständlich sei, dass Quereinsteiger noch mehr Unterricht abhalten müssten als Referendare. Und überhaupt sei es vor diesem Hintergrund noch schwerwiegender, dass das Referendariat auf 1,5 Jahre verkürzt worden sei. "Entqualifizierung" lautet Rauhs Diagnose.

Landeselternsprecher Norman Heise ist an diesem Abend für eine Art Schlusswort zuständig: Im Hinblick auf Berlins große Schulbaustellen meint er ironisch: "Alles läuft gut, solange wir nicht Quereinsteiger zu Architekten machen".

Ab 18. Mai in den Kinos b-ware, Moviemento, Central, Kant Kino, Passage, Filmtheater am Friedrichshain und Hackesche Höfe Filmtheater. Weitere Kinos können in den Folgewochen noch hinzukommen.

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