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Mehr Geld für den Radverkehr? Stadtentwicklungssenator Geisel will 40 Millionen Euro investieren.

© dpa

Diskussion zum Berliner Fahrrad-Volksentscheid: Geisel will 40 Millionen Euro in Radverkehr investieren

Der Verkehrssenator, der oberste Aktivist, Vertreter von Autofahrern, Fußgängern und ÖPNV-Nutzern: Sie diskutierten im Tagesspiegel die künftige Radverkehrspolitik. Andreas Geisel gab zu, der Senat brauche „durchaus Druck“.

Beim Verkehr bricht die Leidenschaft durch. So war es auch am Mittwoch, als im Verlagshaus des Tagesspiegels am Anhalter Bahnhof über den Fahrrad-Volksentscheid diskutiert wurde. Dessen Blitzstart mit gut 100 000 gesammelten Unterschriften in nicht mal einem Monat hat Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) offenkundig wachgerüttelt. Und mit ihm alle, die auf dem Podium um Antworten auf die Frage rangen, wohin es mit dem Verkehr in Berlin gehen sollte und wer dabei womöglich auf der Strecke bleibt.

Der Senator, zuständig auch für den Verkehr, fiel mit ungewohnt reichlicher Selbstkritik auf: Statt der bisher von seiner Behörde ausgegebenen Parole, man tue längst alles Mögliche für den Radverkehr, sagte Geisel nun: „Ja, wir sind bei der Umsetzung noch zu langsam.“ Es brauche „durchaus Druck“, damit die Infrastruktur in vertretbarer Zeit dem gewachsenen Bedarf hinterherwächst – das von den Aktivisten vorgeschlagene Radverkehrsgesetz fordert acht Jahre. 40 Millionen Euro im Jahr seien eine ordentliche Grundlage für die Planung. Zuletzt waren es rund 15 Millionen, von denen allerdings – wie in den Vorjahren – ein beträchtlicher Teil verfiel.

Die plötzliche, zunächst einmal nur verbale Verdreifachung der Mittel ist wohl der erste große Erfolg auf der Habenseite von Heinrich Strößenreuther, der das Volksbegehren initiiert hat. Denn die Summe ist der Kostenschätzung der Initiative entnommen: 320 Millionen Euro in acht Jahren. Geisel betont, dass das Parlament und nicht die Verwaltung den Haushalt beschließe. Aber SPD-Fraktionschef Raed Saleh habe ihm telefonisch Unterstützung signalisiert.

Strößenreuther aber ist kein Mann billiger Kompromisse: Nur ein Gesetz könne den Senat zwingen, „Dinge zu tun, die er nicht will“. Und „mit einer nicht existierenden Mannschaft kann man auch keine gute Radverkehrspolitik machen“, hielt er dem Senator vor. Eine Anspielung darauf, dass – entgegen der Vorgabe in der 2013 vom Senat beschlossenen Radverkehrsstrategie – noch immer zehn von zwölf Bezirksämtern keinen exklusiven Radverkehrsplaner beschäftigen und die Hauptverwaltung die Bezirksämter immer wieder für verantwortlich erklärt, wenn Kleinigkeiten Jahre dauern.

Damit es künftig schneller geht, erwägt die Verwaltung eine Art Planungsgesellschaft für Radverkehr. Geisel präzisierte die bisher erst vage Idee: Die landeseigene Grün Berlin, die zahlreiche Parks managt und die Gartenschau in Marzahn vorbereitet, soll eine Tochtergesellschaft bekommen. Grün-Berlin-Chef Christoph Schmidt sei beauftragt, mit zwei Bezirksämtern exemplarisch ein paar Grundsatzfragen zu klären.

Was zu tun ist, steht im Gesetzentwurf der Initiative: 350 Kilometer sichere Fahrradstraßen, 50 Grüne Wellen für Radfahrer, 100 Kilometer Radschnellwege. Aber ist das auch das Richtige? ADAC-Vorstand Volker Krane lobt zumindest die Fahrradstraßen und gibt sich auch sonst nicht bleifüßig, sondern pragmatisch: Statt Autofahrer zu drangsalieren, sollte die Verwaltung ihnen lieber das Umsteigen erleichtern, wenn sie beispielsweise morgens aus dem Umland in die City fahren, aber ihr Auto mangels Parkmöglichkeit eben nicht am nächsten S-Bahnhof abstellen. Und Jens Wieseke, Vizevorsitzender des Fahrgastverbandes IGEB, warnt vor Pauschalvorgaben auf Kosten des sinnvollen Miteinanders: Kreuzungsfreie Radschnellwege würden Rampen erfordern, zwei Meter breite Radspuren an allen Hauptstraßen müssten an BVG-Haltestellen durch den Pulk der Wartenden geführt werden, was ausweislich der Erfahrungen in der Kastanienallee keine gute Lösung sei. Und in der Schloßstraße zeige sich, dass die Busse langsamer seien, seit eine Autospur zugunsten eines – allerdings häufig zugeparkten – Radstreifens weggefallen ist.

Foto: Kai-Uwe Heinrich
Heiß diskutiert. Rund 100 Zuhörer – interessierte Laien ebenso wie Fachleute – verfolgten die Debatte zum Radverkehr im Konferenzraum des Tagesspiegels, die vom Leitenden Redakteur Gerd Nowakowski (vorn auf dem Podium) moderiert wurde.

© Kai-Uwe Heinrich

Die Fußgänger, ganz gleich ob „echte“ Läufer, BVG-Kunden auf den ersten bzw. letzten Metern oder Autofahrer auf dem Weg zum Parkplatz, sind ohnehin allzu oft das Ende der Nahrungskette im Verkehr. Ihr oberster Lobbyist Stefan Lieb, Bundesvorsitzender des Fachverbandes FUSS e.V., unterstützt das Volksbegehren – damit die Radfahrer von den Gehwegen verschwinden. Das tun sie aber nur, wenn die Infrastruktur stimmt: „Ein schlechter Radfahrstreifen ist wirklich keine Lösung.“ Da Berlin „älter und nicht unbedingt sportlicher“ werde, sei komfortabler, barrierearmer Fußverkehr künftig eher noch wichtiger als bisher.

Da ist er sich mit Strößenreuther einig, der den Status quo so beschreibt, dass die vielen Radfahrer „so ein bisschen als Ekelpaket in der Stadt auftauchen“, weil die Infrastruktur sie dazu mache. Die Aggression vieler Autofahrer resultiere auch aus deren ständiger Angst, einen Radler umzufahren.

Strößenreuther bemerkte, Innensenator Henkel solle lieber konsequent die Radspuren von Falschparkern befreien, „statt 500 Leute in die Rigaer Straße zu schicken“. Es war einer von vielen Momenten, in denen das überwiegend wohl fahrradaffine Publikum ihm applaudierte. Mehrere Zuhörer signalisierten in der anschließenden Fragerunde ihr Unverständnis darüber, wie wenig sich Polizei und Ordnungsämter in Berlin um ständig zugeparkte Bus- und Fahrradspuren kümmern.

Wesentlich verantwortlich für die Erosion der Verkehrsmoral sind aus Strößenreuthers Sicht die Paketdienste, deren Geschäftsmodell praktisch auf permanentem, von niemandem geahndetem Falschparken beruhe. Geisel bestätigte, dass die Auswirkungen des Online-Handels in der Innenstadt ein ungelöstes Problem seien. Und er signalisierte, dass sich die Parkplatzprobleme eher verschärfen dürften: In der wachsenden, boomenden Stadt sei der Boden in der City schlicht zu wertvoll für die bisherigen großflächigen Parkplätze mit hunderten Autos. In 15 Jahren werde es die nicht mehr geben.

Umstritten blieb in der Runde, ob das Radverkehrsgesetz tatsächlich eine Verkehrsart auf Kosten aller anderen privilegiert. Initiator Strößenreuther widersprach, während Auto- und Fahrgastlobbyist ebenso wie der Senator warnten, dass pauschale Vorgaben zum Problem werden könnten, sobald es irgendwo konkret werde.

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