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Georgen-Parochial-Friedhof II an der Landsberger Allee in Berlin Friedrichshain.

© Doris Spiekermann-Klaas

Dieter Herfurth (Geb. 1951): Mit der Kamera durch die Welten

Ständig in Bewegung, kaum dass er mal saß, sprang er wieder auf, lief weiter, immer weiter. Der Nachruf auf ein Leben ohne Pause.

Flughafen Tegel, Ankunft aus Islamabad. Taxi nach Kreuzberg, Wohnungstür auf, Tasche in die Ecke. Küche, Tasse Tee. Unter die Dusche. Telefonklingeln: „Du musst los, nach Moskau!“ Keine Pause. Immer weiter. Schlittenhunde in Alaska, die Bundeswehr in Afghanistan, Katarina Witt auf Jamaika, Guerilla-Truppen in Kolumbien. Mit „Spiegel-TV“ und einer Kamera durch die Welt und die Welten.

Minus 20 Grad in Alaska, aber das hat nicht viel zu bedeuten, denn da ist noch der Windchill: gemessene Temperatur und empfundene klaffen weit auseinander. Zu zweit also in Alaska, auf dem „Iditarod“, dem längsten Hundeschlittenrennen der Welt, 1868,4 Kilometer, Dieter filmt, sein Kollege macht den Ton, minus 30 Grad, minus 40 Grad, Packeis, Tundra, Schneesturm, Schlafmangel. In Deutschland dann ein Preis für die beste Kamera.

Afghanistan, Kundus, Bundeswehrlager. Dieter und sein Tonkollege sollen die Aktivitäten der Deutschen vor Ort filmen. Aus irgendeinem Grund verzögert sich die Abfahrt Richtung Kabul, die Truppe, der sie ursprünglich zugeteilt waren, zieht allein los. Und fliegt bei einem Anschlag in die Luft.

Hatte er mal Angst?

Katarina Witt, dreifacher Rittberger, DDR-Maskottchen, anschließend amerikanischer Superstar. Für das Ende des Films wollte Stefan Aust etwas Originelles: Kati auf Jamaika, am Strand und in einem Häuschen, in dem es sich schon Paul McCartney gemütlich gemacht hatte. Dieter kennt die Insel bereits, von seiner Arbeit zu „Otto – Der Film“, genießt sie jetzt wieder, die kurze Zeit der Entspannung, die Doppelkopfabende vor allem. Weil niemand die Regeln des Spiels richtig im Kopf hat, rufen sie in Hamburg bei der „Tagesthemen“-Redaktion an.

Kolumbien, hier ist es weniger behaglich. Es wurden Geiseln genommen, zwei italienische Ingenieure sollen gegen die Zusicherung von Gesprächen und Medikamenten ausgetauscht werden. Die „Spiegel-TV“-Truppe sucht das Camp der Nationalen Befreiungsarmee mitten im Dschungel, sie schlafen im Wald, waschen sich im Fluss. Dann stehen sie vor den Guerilleros mit den roten Tüchern vorm Gesicht. Vorsichtige Annäherung, Verhandlungen. Die Italiener kommen frei, Dieter filmt.

Hatte er mal Angst? Schlug er Reisen in besonders gefährliche Regionen jemals aus? Stefan Aust erzählte auf Dieters Beerdigung, er habe ihn manchmal regelrecht zurückhalten müssen. Diese Energie, ständig in Bewegung, kaum dass er mal saß, sprang er wieder auf, lief weiter, immer weiter. Und gleichgültig, ob er auf die Anden oder den Hindukusch schaute, überall sagte er diesen halb ironisch, halb ernst gemeinten Satz: „Hier sieht’s ja aus wie im Harz.“

Der Junge bleibt sitzen

Vom Harz aus, von Osterode ist er losgezogen, um in Berlin zu landen, an der Fachhochschule für Optik und Fototechnik. Aber Osterode war nicht die verhasste Provinz und Berlin nicht das Ziel seiner Träume. In Berlin gab es schlicht diese Schule, und den Harz hat er bis zum Schluss gemocht.

Seine Eltern waren von einer erstaunlichen Toleranz. Der Junge bleibt sitzen? Er muss das Abitur nachholen? Es gibt Schlimmeres. Du willst mit meinem Auto fahren, obwohl dein Führerschein noch ganz frisch ist? Klar, nimm das Auto! Dieter nahm es und fuhr es gleich zu Schrott. Er traute sich zwei Tage lang nicht nach Hause. Was seinen Vater ganz verrückt vor Sorge machte. Dann, als der Sohn wieder da war: Hauptsache, dir ist nichts passiert! Oder 1968, als Dieter die zähen Verhandlungen um seine Totalverweigerung führte, begleitete ihn sein Vater, obwohl das seinen politischen Vorstellungen im Grunde nicht entsprach.

Nach der Schule kam die „Abendschau“ und dann „Spiegel-TV“, nach der Kreuzberger Wohngemeinschaft zog er mit seiner Frau in eine eigene Wohnung.

Es war kein schlechtes Leben

Es war schwierig, dieses Leben mit der Frau. Sie litt unter Psychosen, die Leichtigkeit der WG-Zeit war dahin, seine Kocharien, die Kneipennächte, „Paperback Writer“ von den Beatles bis zum Anschlag aufdrehen und dabei zig Taschenbücher zerreißen. Die Rillen auf einer Schallplatte mit weißer Farbe überpinseln, das war eine Coverversion von „Ruby Tuesday“, denn bei „Ruby Tuesday“ wurde ihm einmal das Herz gebrochen. Frank Zappas berühmtes Toilettenbild an der Wand, unterschrieben von Zappa höchstpersönlich nach einem Konzert.

Es war kein schlechtes Leben jetzt, mit der eigenen Familie, doch zerrte es zunehmend an ihm. Gottlob gab es ja noch seine Tochter, seine Enkelkinder. Die Arbeit, für die er nicht nur in die Krisenregionen dieser Welt musste, sondern auch mal nach Bayreuth, wo er mit der Kamera an einer speziellen Befestigung dicht über Daniel Barenboim und dem Klavier schwebte. „Barenboim“, sagte er danach, „hat mir die Ohren für die klassische Musik geöffnet.“

Es war kein schlechtes Leben, nein, doch die Leichtigkeit, die hatte sich aufgelöst. Dann kam die Krankheit und mit ihr eine Energie, sich aufzulehnen. Pläne. Endlich die Scheidung, ein neues Auto, ein neues Leben. Verzweifelte, letzte, vergebliche Energie.

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