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Anbaggern. Hinter dem Tacheles beginnt die Enttrümmerung alter Keller.

© Thomas Loy

Diesmal meint es der Investor ernst: Auf dem Tacheles-Areal wird ab sofort gebaut

1990 wollte die DDR das Tacheles noch abreißen, zehn Jahre später sollte „Klein Amerika“ entstehen. Aus alldem wurde nichts. Jetzt beginnt an der Oranienburger Straße das nächste Bauprojekt.

Tacheles-Nostalgiker müssen sich mit grünem Gewebe am Gitterzaun herumschlagen. Alles verrammelt, sogar optisch. Dann öffnet ein freundlicher Sicherheitsmann überraschend für drei Sekunden das blickdichte Metalltor an der Johannisstraße, erlaubt, Fotos mit Bagger in Richtung Tacheles-Hinterhof zu machen, dort, wo früher die Metallkünstler ihre Öfen heizten und bestätigt, was in allen Gazetten der Stadt zu lesen ist: „Wir bauen hier jetzt.“

Das allerdings haben schon ganz andere behauptet. Anfang 1990 wurde die Kaufhausruine an der Oranienburger Straße von freigeistigen Anwohnern und Künstlern besetzt, die sich den Namen Tacheles gaben. Sie bewahrten das Gebäude vor dem weiteren Abriss. Drum herum lagen Parkplätze und Ödflächen, die ebenfalls neu bebaut werden sollten.

Experimentierraum mit Hundeauslauf

Doch der Bauherr DDR war bereits in Agonie verfallen. Anschließend entwickelte sich das mehrfach amputierte Rumpfgebäude zu einem Kunsttempel der Berliner Avantgarde mit zeitweise überregionaler Ausstrahlung. Und das Drumherum zum experimentellen Freiraum mit Hundeauslauf.

So wurde in den 90er Jahren am Tacheles gefeiert.
So wurde in den 90er Jahren am Tacheles gefeiert.

© IMAGO

Lange her, das alles. An den Flanken des Tacheles sind Hotels und Billigherbergen, Bars und Restaurants für ein konsequent englischsprachiges Publikum entstanden. Eine Hightech-Tiefgarage wirbt mit einem Tagespreis von 19 Euro. Die Touristen schauen immer noch begeistert auf die geschwärzte, mit Plakaten, abstrusen Artefakten und einer alten DDR-Leuchte bestückte Schmuckfassade. Nur hinein führt kein Weg mehr ins Café Zapata mit seinem feuerspeienden Tresendrachen, in die Ateliers verschrobener Alternativkünstler oder ins Kino High End 54 mit seiner speziellen Antiblockbuster-Kultur. Die Anzeigetafel an der Fassade hält dem Filmjahrgang 2011 weiterhin die Treue: „Theater RAF, H. Müller, Anatomie Titus, 16.–18.9.11“

Existenz aus Sperrmüll und Kreativität

Damals wurde das Haus geschlossen, und es begann ein monatelanges Fingerhakeln zwischen Bewohnern und einem bevollmächtigten Anwalt, dessen Auftraggeber ungenannt blieb, um jeden Quadratmeter innerhalb und außerhalb des Gebäudes. Immer wenn eine Etage geräumt war, wurde sie versiegelt. Das Gleiche galt für die Außenflächen, den Tacheles-Hinterhof, der den Touristen genau das wild-anarchisch-groteske Berlin bot, das ihnen versprochen worden war. Menschen, die sich aus Sperrmüll und Kreativität eine Existenz aufbauten, die das bürgerliche Publikum gerne unterstützte.

Jagdfeld war mit seinem „Klein Amerika“-Projekt (Fünf-Sterne-Hotel, Shopping, Luxuswohnungen) am Tacheles gescheitert. Zur Jahrtausendwende hätte der Bau beginnen sollen, doch zehn Jahre später war die Ödnis immer noch unberührt. Es fanden sich für das damals stagnierende Berlin einfach nicht genügend Mieter und Investoren. Unter dem Druck der Banken, die bereits die Zwangsversteigerung betrieben, verkaufte Jagdfeld die 2,5 Hektar große Freifläche plus denkmalgeschützter Ruine an das US-Unternehmen Perella Weinberg Real Estate.

Eine "neue Zeitrechnung" am Tacheles

Perella Weinberg verspricht, nun aber wirklich zu bauen. Bis 2020 soll die offene Wunde zwischen Oranienburger, Johannisstraße und Friedrichstraße wieder geschlossen sein, 75 Jahre nach den Kriegszerstörungen, 30 Jahre nach der Wende. „Am 4. April beginnt eine neue Zeitrechnung für das Areal am Tacheles“, verkündet das US-Unternehmen – dieses Pathos ist ausnahmsweise mal berechtigt. Die ehemaligen „Friedrichstadtpassagen“, erbaut 1908, waren eine prominente Adresse der Kaiserzeit, daran muss sich das neue, noch namenlose Quartier messen lassen. Im November soll die Baugrube ausgehoben werden, Mitte 2018 beginnt der Hochbau und die Sanierung der Tacheles-Ruine.

450 Wohnungen sollen gebaut werden

Was für Gebäude genau entstehen, ist noch offen. Von 450 Wohnungen ist die Rede und einer neuen Passage zwischen Oranienburger und Friedrichstraße. In den nächsten Wochen werden zunächst alte, verschüttete Kellerräume der ehemaligen Friedrichstadtpassagen ausgebuddelt. Dass die Arbeiter dabei auf interessante Funde stoßen könnten, bezweifelt eine Sprecherin von Perella Weinberg. Dazu sei die alte Bebauung nicht alt genug. Im östlichen Teil der Baufläche, also an der Oranienburger Straße, könnten sich jedoch ältere Siedlungsspuren erhalten haben, erklärt die Stadtentwicklungsverwaltung. Deshalb werde es während der Erdarbeiten eine "archäologische Baubegleitung" geben.

Rund ums Tacheles stehen viele Wohnungen leer

Vor dem Tacheles, am Rand des Trottoirs, justiert David sein Kamerastativ. „Ich mache Fotos zur Erinnerung“, sagt der Theaterpädagoge aus Italien. Er hat vom Baubeginn gelesen und befürchtet, dass die Fassade bald eingerüstet wird. „Berlin ist geändert, richtig?“, fragt er, ohne eine Antwort zu erwarten. Noch ein Tacheles-Nostalgiker. Viele Läden und Lokale in der Umgebung sind verschwunden, der Shop mit den Gruselmasken, das legendäre Obst und Gemüse. Auch die Imbissbuden mussten weichen. Vor dem verbliebenen Kiosk sitzt eine Frau in mittleren Jahren und raucht. „Zwiespältig“ findet sie, dass die Ödnis jetzt wirklich zugebaut wird. In der Gegend stünden schon jetzt viele Wohnungen leer, erzählt sie, wegen der Immobilienspekulation.

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