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Schriftzug mit Leerstellen. An einem neuen Kreisverkehr will Finsterwalde auf seine Tradition als Sängerstadt hinweisen.

© Lausitzer Rundschau/Heike Lehmann

Diebe waren schon 13 Mal aktiv: Der Buchstabendiebstahl vom Finsterwalder Kreisverkehr

Die Stadt Finsterwalde wirbt mit einem Schriftzug an einem neuen Kreisverkehr für sich. Doch immer wieder werden Buchstaben gestohlen. Die Polizei ermittelt.

Von Sandra Dassler

Bei der Eröffnung am 31. Juli 2020 hatten sie noch gut noch gut lachen. Oder singen: „Der große Kreisel ist nun vollendet / und prägt die Einfahrt zum Marktplatz hin. / Im Mittelpunkt steht ein großes Kunstwerk / mit viel Gesprächsstoff, gleich zum Beginn.“

Als die Sänger von Finsterwalde – ein traditionsreiches Männerquartett – diese extra zur Eröffnungsfeier getextete Strophe vortrugen, ahnten weder sie noch die anwesenden Künstler, Politiker und Bürger, dass das Kunstwerk im neuen Kreisverkehr zwischen Bahnhof und Innenstadt noch weitaus mehr Gesprächsstoff als bisher auslösen würde. Dabei hatten es die Stadtverordneten vor einigen Jahren nur gut gemeint, als sie beschlossen, den Kreisverkehr mit einem für Finsterwalde werbenden Kunstwerk zu schmücken.

Den Zuschlag erhielt der im Landkreis Elbe-Elster lebende armenische Künstler Ararat Haydeyan. Gemeinsam mit seinen ebenfalls künstlerisch tätigen Söhnen Aram und Armen schuf er einen Sockel mit den stilisierten, farbigen Köpfen der Sänger von Finsterwalde. Auf dem Sockel bilden etwa 30 Zentimeter große Buchstaben den Schriftzug „Sängerstadt Finsterwalde“, den man sogar von vorbeifahrenden Zügen der Linie Cottbus–Leipzig sehen kann. Jedenfalls ab und zu.

Denn immer wieder werden Buchstaben gestohlen. Das erste Mal nur wenige Stunden nach der Einweihung: In der Nacht zum 1. August entwendeten die Diebe die Buchstaben S und Ä. Eine Nacht später folgte das N.

Damals vermutete die Polizei Buntmetalldiebe oder bloße Zerstörungswut. Zwei Wochen später, nachdem eine Firma die gestohlenen Lettern ersetzt hatte, kamen die Diebe wieder. Diesmal entwendeten sie den letzten Buchstaben – das E. Insgesamt seien bis heute bei 13 Diebstählen 20 Buchstaben verschwunden, sagt die Sprecherin der Stadt, Clarissa Leese.

„Ein System ist nicht erkennbar, die Buchstaben werden völlig wahllos gestohlen“

In den vergangenen Wochen schien endlich Ruhe einzukehren, aber es waren wohl nur Eis und Schnee, die den Dieben die Lust auf weitere Aktionen verdarben. Mit Beginn des Tauwetters in der vergangenen Woche schlugen sie gleich zweimal zu, sagt ein Sprecher der zuständigen Polizeidirektion Süd: In der Nacht zu Dienstag wurden das I und das N entwendet – und während sich alle noch darüber erregten, kamen die Diebe bereits in der Nacht zu Donnerstag wieder.

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„Ein System ist nicht erkennbar, die Buchstaben werden völlig wahllos gestohlen, und noch gibt es keinen Hinweis auf Tatverdächtige“, sagt der Polizeisprecher. Man ermittle in alle Richtungen und hoffe, dass irgendwann doch einmal ein Einwohner etwas bemerkt.

Insgesamt 20 Buchstaben habe man bisher neu anfertigen lassen müssen, sagt Stadtsprecherin Leese: „Die Kosten dafür belaufen sich auf einen hohen vierstelligen Betrag. Geld, das der Stadt für andere wichtige Projekte fehlt.“

„Lustig ist das jedenfalls nicht“, sagt Klaus Mayer: „Das sind Leute, die sich offenbar durch solche sinnlosen Aktionen ein wenig Aufmerksamkeit verschaffen wollen. Wahrscheinlich sind es dieselben, die hier auch Bäume absägen oder Hauswände beschmutzen.“

Die Finsterwalder Sänger, mit Frack und Zylinder: Klaus Rippe, Peter Heppe, Klaus Mayer und Günter Figur (v.l.).
Die Finsterwalder Sänger, mit Frack und Zylinder: Klaus Rippe, Peter Heppe, Klaus Mayer und Günter Figur (v.l.).

© privat

Klaus Mayer ist seit 2013 der Leiter der in der Region bekannten Sänger von Finsterwalde, die ihre Existenz bekanntlich ausgerechnet einem Berliner verdanken: Der Komponist Wilhelm Wolff führte seine Burleske über die Sänger von Finsterwalde erstmals 1899 in den Germania-Prachtsälen in der Chausseestraße auf. Das Lied „Wir sind die Sänger von Finsterwalde“ wurde ein Erfolg.

Lediglich die Einwohner von Finsterwalde waren anfangs nicht begeistert, da die aus ihrer Stadt stammenden Sänger in dem Schwank und später auch auf Postkarten eher als Karikaturen dargestellt wurden: als etwas schlampige, dem Alkohol zugetane Gesellen.

Etwa seit 1920 gab es dann die richtigen Sänger

Doch immerhin wurde die Stadt durch das Lied bekannt, und so dauerte es nicht lange, bis sich einige Finsterwalder sozusagen an die Spitze der Bewegung stellten. Bereits 1901 entrollte der Finsterwalder Männergesangsverein „Liedertafel“ auf einer Kahnfahrt im Spreewald ein Banner, auf dem stand: „Wir sind die Sänger von Finsterwalde“. Kurz darauf verwendete eine lokale Zeitung erstmals den Begriff Sängerstadt.

Etwa seit 1920 gab es dann die richtigen Sänger, sagt Klaus Mayer: „Das waren immer vier Männer: ein erster und ein zweiter Bass sowie ein erster und ein zweiter Tenor. Als ihre Markenzeichen galten schwarzer Frack und Zylinder, weißes Hemd, weiße Fliege und weiße Handschuhe sowie der Gehstock.“

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Dass die Köpfe auf dem Kunstwerk im neuen Kreisverkehr von Finsterwalde stilisiert sind, sowohl Männer als auch Frauen oder Kinder sein könnten und keine Zylinder tragen, das rief anfangs viele Kritiker auf den Plan. „Aber das ist nunmal Kunst, uns hat das nicht gestört“, sagt Klaus Mayer.

Aus der Stadtverwaltung heißt es, dass die Köpfe auch die neue Zeit, die neue Vielfalt symbolisieren sollten. Und schließlich gebe es in Finsterwalde ja viele Sänger und Sängerinnen – auch in Schulen, Kindergärten, Vereinen. Und eben nicht nur die vier Herren mit Zylinder.

Dass die Buchstaben wegen der Vorbehalte mancher Einwohner gestohlen werden, sei aber eher unwahrscheinlich, sagt Michael Miersch, Fachbereichsleiter für Bürgerservice und Soziales. „Die Köpfe haben ja auch nichts mit dem Schriftzug zu tun“, sagt er.

Buchstaben einfräsen – oder einfach eine Videokamera aufstellen?

Natürlich kennt er die Meinung vieler Bürger, dass man die Buchstaben doch besser einfräsen oder einbetonieren sollte. Oder noch simpler – nur eine Videokamera aufstellen. Doch so einfach gehe das alles nicht, sagt er. Beim Einbetonieren entstünden Risse und Vertiefungen, die den Sockel anfälliger für Witterungseinflüsse machten: „Und für das Aufstellen einer Videokamera braucht man Genehmigungen. Da geht es nicht zuletzt um Datenschutz.“

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Sänger Klaus Mayer kann das nicht nachvollziehen. „Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch keine Videokamera zu fürchten“, sagt er. Er wird das Thema Buchstabenklau am Kreisel mit Sicherheit in einer weiteren neuen Strophe des Sängerlieds aufgreifen. Wie seine Kollegen hofft er sehr auf Auftritte, sobald es wärmer wird und die Corona-Infektionszahlen zurückgehen.

Normalerweise haben die älteren Herren, die fast alle zur Risikogruppe gehören, etwa 70 Vorstellungen im Jahr. Im letzten Sommer begleiteten sie unter anderem den bekannten Pianisten Justus Frantz, der wegen Corona auf einem Tieflader spielte. Bemerkenswert war ihr Auftritt am 8. April 2020, als sie für die Marktbesucher aus vier Fenstern des Rathauses sangen.

Am wichtigsten sind Mayer allerdings die Vorstellungen für die Bewohner der Seniorenheime. „Das geht aber erst, wenn sie wieder nach draußen können“, sagt er. „Wir dürfen ja nicht hinein. Aber gerade für die alten Leute können Lieder viel Lebensfreude und Optimismus übermitteln. Und auch wenn diese Idioten noch mehr Buchstaben stehlen – wir bleiben trotzdem die Sängerstadt.“

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