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Eine Radlerin im Berliner Straßenverkehr.

© picture alliance / Luisa Riekes/

Die Verkehrswende findet nicht statt: Erbärmliche Jahresbilanz des Berliner Mobilitätsgesetzes

Rot-Rot-Grün will die Berliner auf Bahn und Bus, Rad- und Fußverkehr umleiten. Aber die Stadt verheddert sich in der eigenen Bürokratie. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es ist völlig irre, was in Berlin geschieht. Mit großem Pomp hat Rot-Rot-Grün vor einem Jahr die Verkehrswende verkündet. Ein Mobilitätsgesetz, das erste in Deutschland, sollte dem Bahn- und Bus-, Rad- und Fußverkehr den Weg bereiten. Im März legte die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther nach und forderte in einer Rede vor Mittelständlern, die Leute sollten ihr Auto abschaffen. Ein großes Programm. Die einen sahen ihre Hoffnungen endlich erfüllt, die anderen fühlten sich provoziert.

Und was ist passiert? Fast nichts. Stattdessen legt die Verkehrssenatorin eine Jahresbilanz vor, die das Versagen des Senats und der Bezirksämter schonungslos dokumentiert. Die amtliche Selbsteinschätzung: Die Mobilitätswende ist in jener kollektiven Verantwortungslosigkeit steckengeblieben, die die öffentliche Verwaltung Berlins traditionell prägt. Anstatt den Umweltverbund, wie der Stadtverkehr der Zukunft wohltönend heißt, in Schwung zu bringen, ringen die Behörden um Zuständigkeiten und bürokratische Verfahren zur Lösung von Problemen, die erst noch identifiziert werden müssen.

Vielleicht wäre es besser, erst einmal die Berliner Verwaltung zu reformieren. [...] Gefordert wären klare Zuständigkeiten verbunden mit Verantwortung, klare Prozesse, transparent und stringent.

schreibt NutzerIn Gophi

All dies im Rahmen der vorhandenen Ressourcen, wie Senatorin Günther sagt. Personal- und Sachmittel müssten für den Berliner Haushalt noch angemeldet werden. Moment mal! Hat der Senat nicht im Juni den Etatentwurf für 2020 und 2021 beschlossen, gingen dem nicht Chefgespräche auch mit der Verkehrsverwaltung voraus? Stehen nicht längst zweistellige Millionensummen für neue Radwege zur Verfügung?

Bei so viel Ahnungslosigkeit und Inkompetenz weiß man nicht, worüber man zuerst lachen oder weinen soll.

Jedes Jahr sterben ein Dutzend Fahrradfahrer

Es ist bisher nicht einmal gelungen, den erbärmlichen Zustand des Berliner Radwegenetzes zu katalogisieren. Auch dies schreibt das Mobilitätsgesetz verbindlich vor. In einem solchen Mängelregister müsste auch stehen, dass von den ersten grün angepinselten Radmagistralen schon wieder die Farbe abblättert. Noch immer sterben in Berlin jedes Jahr ein Dutzend Radler. Noch immer werden die Radwege zugeparkt. Anfang 2020 will Günther ein Konzept für den Fußgängerverkehr nachreichen.

Flankiert werden soll die Mobilitätswende, die bisher keine ist, von einem Nahverkehrsplan, den der Senat im Februar beschlossen hat. Um den öffentlichen Personennahverkehr bis 2035 zu sanieren und zu erweitern, sollen 28 Milliarden Euro in die Hand genommen werden. Angesichts der rot-rot-grünen Verkehrspolitik geht der Glaube verloren, dass der Plan noch in diesem Jahrhundert realisiert wird.

Vielleicht wäre es besser, erst einmal die Berliner Verwaltung zu reformieren. Ein „Zukunftspakt“ für eine funktionierende Zusammenarbeit von Haupt- und Bezirksverwaltung, die Digitalisierung der Ämter und Qualifizierung des Personals wurde vor den Sommerferien feierlich unterschrieben. In einer Stadt, in der das Staatsversagen in vielen Bereichen offenkundig wird, ist aber auch das nicht sicher.

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Der Opposition wird nicht zugetraut, es besser zu machen

Vor allem die Grünen sollten aufpassen. Die Mobilitäts- und die Klimawende sind ihre großen Themen. Die erbärmliche Jahresbilanz des Mobilitätsgesetzes wird ihnen zuerst in die Schuhe geschoben. Zumal die Verkehrssenatorin Günther das personifizierte politische Elend ist. Auch der Klimaschutz kommt unter ihrer Federführung aus der Nische nicht heraus. Die Umweltpartei wird sich aber nicht auf dem bundesweiten Umfragehoch ausruhen können, dass auch den Landes-Grünen derzeit 25 Prozent beschert.

Ihnen kommt nur entgegen, dass die Berliner gern meckern, aber seit Kriegsende 1945 in Ost und West gelernt haben, mit Provisorien zu leben. Und sie haben Glück, dass die meisten Bürger der Opposition nicht zutrauen, es besser zu machen. In der Koalition können sich SPD, Linke und Grüne jetzt wieder gegenseitig die Verantwortung zuschieben, dass es mit der Umsetzung toller Konzepte nicht klappt. Die Wähler werden sich das alles merken, egal ob sie radeln, die U-Bahn nutzen oder Auto fahren.

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